Was schön war, Montag, 1. Februar 2016
Barock- und Klassizismusklausur.
Ja, das war eine schöne Klausur. Die war vom freundlichen Dozenten aber auch auf „Ihr besteht das alle, außer ihr seid totale Trottel oder wart kein einziges Mal anwesend“ hin konzipiert. Die ersten gaben bereits nach drei von 45 möglichen Minuten ab. Normalerweise wäre das mein Job gewesen – deswegen sitze ich in Klausuren auch immer am Rand –, aber bei einem Kirchlein musste ich so lange überlegen wie ich für den gesamten Rest der circa 20 Fragen brauchte. Wir bekamen einen Grundriss vorgelegt –
– und mussten nun antworten, welche Kirche das ist, wer sie gebaut hat und wie man diesen Bautypus bezeichnet. Beim Typ war ich schon leicht verwirrt und entschied mich dämlicherweise für einen Zentralbau, was natürlich falsch ist, denn bei einem Zentralbau sind alle Achsen gleich lang. Das war mir Blödfrau aber entfallen. Stattdessen hätte ich natürlich Saalkirche hinschreiben müssen, was sogar mein erster Impuls war, aber ach ich weiß auch nicht. Knurr. Den Baumeister wusste ich immerhin sofort, das ist der gute alte Bernini. Und auch beim Namen setzte ich schwungvoll an und schrieb „S. Andrea …“, dank meiner Eselsbrücke „Bernini hat drei Silben und diese kleine ovale Kirche mit dem Frauennamen hat im ersten Teil auch drei Silben, im Gegensatz zu S. Agnes in Piazza Navona, die von Borromini gebaut wurde“, aber dann wusste ich schlagartig nicht weiter. Ich wusste, hinter S. Andrea kommt noch was, aber mein Kopf hatte sich kurzfristig verabschiedet. (Vermutlich war er vom Nachdenken über den falschen Zentralbau schockiert.) Den Rest der Klausur hatte ich schon ausgefüllt, ich konnte mich nicht mehr mit anderen Fragen ablenken, starrte daher minutenlang aus dem Fenster und ging alle anderen Kirchen in Rom durch, die wir hatten: alla Sapienza? Nee. Alle Quattro Fontane? Nee. In Piazza Navona? Nee. Della Pace? Nee. Ich bohrte in meinen Hirnwindungen nach Buchstaben, nach Eselsbrücken, die ich noch nicht abgerufen hatte – und da war eine: Es gibt eine Kirche, deren Präposition ich mir nie merken konnte, bis mir auffiel, dass sie im Kirchennamen zweimal vorkam: Sant’Andrea al Quirinale. Fuck YEAH!
Okay, dafür ist mir der Architekt des Panthéon nicht mehr eingefallen, scheiß drauf, und ich habe das Theatermotiv mit der Ädikula verwechselt, was mich noch in 20 Jahren ärgern wird, weil das Begriffe sind, die ich seit dem ersten Semester drauf habe. Aber: Klausur ist unbenotet, bestanden ist bestanden. Die ersten ECTS-Punkte im Master sind seit gestern abend auf dem Konto. Schnellste Korrektur ever. Respekt.
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Für gut.
Arthurs Tochter schrieb am Wochenende etwas zu Dingen, die man für später, für besondere Gelegenheiten, „für gut“ aufhebt. (Einschub: Die Kaltmamsell beschrieb ein besonders bizarres Beispiel dafür, vorletzter Absatz.)
„Als meine Patchwork-Oma starb, hinterließ sie ein Haus vom Keller bis zum Dachboden voll mit aufbewahrten Dingen. Bettdecken, Tischdecken, Laken, Tafeltücher, alle originalverpackt. Für gut. Als P.s Patentante starb, hinterließ sie eine Wohnung voll vom Keller bis unter die Wohnzimmerdecke mit aufbewahrten Dingen. Bücher, Tischdecken, Servietten, Laken, Bettwäsche, Tafeltücher und ja, ganz besonders Servietten, originalverpackt. Berge von Silberbesteck, dick und mehrfach in Alufolie gewickelt um ein Anlaufen zu verhindern, was nichts nützte über so viele Jahre, in denen das Besteck unbenutzt herumlag. Für gut.
Ich arbeite einige Stunden im Monat für die Zwiesel Kristallglas AG. Dort kaufen Menschen Gläser, mundgeblasen, keines unter € 20,00 das Stück. Diese Gläser stehen 364 Tage im Jahr im Schrank. Für gut.“
Ihr ahnt, wo der schöne Blogeintrag (unter anderem) hingeht: Benutzt das gute Zeug, denn es macht Freude, das gute Zeug zu benutzen.
Als ich aus meiner 3-Zimmer-Wohnung in Hannover in meine 1-Zimmer-Wohnung nach Hamburg zog, die ich mir als Textpraktikantin von meinen Eltern finanzieren lassen musste, kaufte ich ein Schlafsofa und nahm – natürlich – alle Bücher mit, alle Klamotten, meinen Schreibtisch, meinen Rechner und: das Goldrandgeschirr meiner Großeltern plus mein Silberbesteck. Ich habe es, wenn’s hochkommt, einmal benutzt, vermutlich, als ich den Kerl das erste Mal bekochte. Ansonsten stand es unbenutzt im Schrank, aber es musste in meiner Nähe sein, weil ich es schön fand, es bei mir zu haben.
Danach zog es von Wohnung zu Wohnung; als der Kerl und ich standesgemäß in vier Zimmer zusammenzogen, hatte ich auch endlich wieder Platz für den alten Schrank meiner Großeltern und darin Abstellfläche für das Teeservice meiner Omi.
Vor ein paar Monaten musste ich aus 120 Quadratmetern 44 machen – und überlegte beim Einpacken keine Sekunde: Das Goldrandgeschirr und das Teeservice kamen für sechs Personen mit (mehr haben an meinem Tisch geschweige denn in meiner Wohnung eh nicht Platz) und meine Silberkästen natürlich auch. Und dann passierte etwas: Ich benutzte Omis Teeservice. Ich gehe zwar mit der Teekanne in Zeitlupe vom Wasserkocher zum Tisch oder zum Sofa, damit sie mir bloß nicht runterfällt, und ich halte die winzigen, zarten Tässchen gerne mal mit beiden Händen fest, aber: Ich benutze sie. Weil ich mich jedesmal über das Geschirr freue, weil sich die Tasse im Mund besser anfühlt als die Ikea-Tasse, weil ich mir einbilde, der Tee bliebe länger darin warm, was auch immer. Weil ich an Omi denke, ist sicher auch ein Grund.
Aber das Goldrandgeschirr und das Silberbesteck stehen in der Abstellkammer. Das wurde bisher nur rausgeholt, wenn Besuch bekocht wurde oder wenn ich der Meinung war, ich müsste für Instagram mal einen hübscheren Teller ablichten als den weißen Alltags-Ikea-Teller.
Nach dem Eintrag bei Arthurs Tochter fragte ich mich dann aber: Was mache ich hier eigentlich für einen Quatsch? Ich habe doch gerade erst gesehen, dass nichts für ewig ist, auch wenn man sehr lange daran geglaubt hat. Ich habe keine Kinder, für die ich Geschirr und Besteck schonen müsste, damit sie es erben können. Und: Ich liebe es, mit meinem Silberbesteck zu essen. Die Messergriffe haben genau die kühle Schwere, die ich als angenehm empfinde, sie liegen richtig gut in der Hand. Ich mag auch das Gefühl, mit Silber zu essen, ich behaupte, es ist weicher im Mundgefühl als Stahl oder Chromargan. Und auch hier: Ich denke an die Menschen, die es vor mir besessen haben.
Und so habe ich gestern alltägliche Rostbratwürstchen mit Hausmannskost-Kartoffelpüree und Dosensauerkraut auf meinen Goldrandteller geschichtet und das Silberbesteck benutzt.
Ich glaube, das mache ich heute wieder.
PS: Mein Studium fällt natürlich auch in die Kategorie „Für jetzt und nicht für gut“. Ich wollte keine 20 Jahre mehr unter Schmerzen Werbung machen, bevor ich als Seniorin bei den KuGis sitze. Ich wollte das *jetzt* machen. Weil jetzt gut ist.