Der Felsen

Der Felsen (2002)

Darsteller: Karoline Eichhorn, Antonio Wannek, Peter Lohmeyer, Ralph Herforth
Drehbuch: Markus Busch, Dominik Graf
Kamera: Benedikt Neuenfels
Musik: Dieter Schleip
Regie: Dominik Graf

Der Felsen, der neue Film von Dominik Graf, spielt auf Korsika, wo Menschen sich voneinander verabschieden, sich wiedertreffen, neue Menschen finden und sich auch von ihnen verabschieden müssen. Katrin, Mitte 30, hat ein Verhältnis mit ihrem Chef, dessen Frau schwanger ist. Sie verbringen einen letzten gemeinsamen Urlaub auf Korsika, verabschieden sich voneinander. Ihre Wege trennen sich. Er will wieder nach Deutschland, hält die letzten Tage mit ihr nicht mehr aus, sie bleibt auf der Insel und lässt sich treiben. Sie trifft unter anderem Malte, einen 17jährigen Jugendlichen, der in einem Camp auf der Insel lebt. Wer er genau ist, was das Camp zu bedeuten hat, erfahren wir als Zuschauer genauso spät, zu spät, wie Katrin, die da schon mitten in einer Geschichte gelandet ist, die ihr über den Kopf wachsen wird. Am Ende des Films wird keiner der drei Hauptpersonen sein persönliches Ziel für diese wenigen Tage erreicht haben. Alles wird plötzlich anders, wenn die Realität den Urlaub wieder eingeholt hat.

Der ganze Film kommt einem wie ein alter Super-8-Film vor, der irgendwann in den Ferien gedreht wurde und nun wieder hervorgeholt wird, um noch einmal sentimentalen Erinnerungen nachzuhängen. Seine Farbigkeit ist gelb, heiß, flirrend – eine lähmende, staubige, surreale Atmosphäre legt sich über die Bilder, selbst über die, die gute Laune und Freude ausdrücken sollen. Alles verwäscht sich, nichts bleibt klar, weder in den Bildern noch in der Handlung. Man lässt sich einfach mitziehen, schaut den Akteuren zu, wie sie durch ihren Tag irren, ohne zu wissen, wo sie hinwollen. Diese Unentschlossenheit entwickelt einen so starken Sog, dass wir die Distanz des Zuschauens verlieren. Wir sind plötzlich mit auf der Insel, lernen Katrin viel zu gut kennen, sehen die bedingungslose, rücksichtslose Liebe, die Malte ihr entgegenwirft und der sie sich nicht entziehen kann.

Die Geschichte handelt von Kleinigkeiten. Ein Straßenverkäufer erzählt immer wieder dasselbe Märchen, um Touristen seinen Plunder anzudrehen: In seinem afrikanischen Dorf wäre es Tradition, dass Gegenstände, egal welcher Art, als Ausgangspunkt für Geschichten dienen. Die Spieler müssen um diese Gegenstände eine Story spinnen, dann einen neuen Gegenstand ins Spiel bringen, den dann der nächste Erzähler in seiner Geschichte aufgreifen muss. Der letzte Spieler muss den letzten und den ersten Gegenstand wieder zusammenfügen, sonst ist er der Verlierer und bezahlt entweder mit seinem Hab und Gut oder mit dem Leben.

Die Charaktere in Der Felsen werden auch auf Gegenstände reduziert: eine Brieftasche, ein Ring, eine Pistole. Sie sind miteinander verwoben, genau wie die Geschichten, in denen die drei Mitspieler sind, ohne es zu wollen. Jeder von ihnen hat im Laufe des Films diese Gegenstände, und jedesmal wird es die Geschichte verändern.

Was sich wie ein langatmiges Experiment einer Filmhochschule anhört, ist ein sehr sehenswerter Film geworden. Die manchmal arg wackelige Kamera und das unwirkliche Licht sind diesmal keine albernen Spielereien, wie ich sie den meisten Dogma-Filmen vorwerfe, sondern sie dienen einzig dazu, die seltsam zeitlose Stimmung eines Urlaubs festzuhalten. Sie hebt die Distanz auf, die ein perfekt komponiertes Filmbild zu den Zuschauern aufbaut. Sie lässt uns sehr nah an die Emotionen der Akteure, die seltsam zäh durch den Film wandeln. Im Gegensatz zu den ausgeklügelten Scriptwendungen, die die sonstige Arbeit von Dominik Graf auszeichnen, hat man hier das Gefühl, er hätte einfach ein paar Drehbuchseiten herausgerissen und den Charakteren freien Lauf gelassen: Macht einfach. Geht irgendwohin, wir kommen hinterher. Und netterweise verliert sich der Film nie in diesem improvisations-artig anmutenden Treiben, sondern er steuert gnadenlos auf sein Ziel zu, das für uns überraschend kommt, aber im Endeffekt doch absolut logisch ist.

Der Felsen beschäftigt sich mit vielen Themen: der Unbekümmertheit und Ahnungslosigkeit der Jugend, die auf die Reife und die Verantwortung des Erwachsenseins trifft. Die Unwissenheit der Erwachsenen, die nicht wissen, wie weise die Jugend manchmal schon sein muss. Die Träume, die man hat und die Realität, die dazwischenkommt. Der Fakt, dass alles seinen Preis hat: für Sex gibt es Geld, für Geld gibt es eine ungewisse Zukunft, und die absolute Freiheit kostet manchmal das Leben.

Der Film kommt nie mit dem erhobenen, deutschen Autorenfilm-Zeigefinger daher. Er schafft es, eine Moral und einen Sinn in allen Handlungen der Akteure zu transportieren, ohne aufdringlich zu werden. Einziges Manko: der manchmal arg belehrende Off-Text. Manches, was dem Zuschauer erzählt wird, hätte er gerne selbst herausfinden dürfen.

Und damit endet der Urlaubsfilm. Man macht den Projektor aus, denkt noch einmal kurz über die Zeit nach, die schon viel zu lange her ist und erinnert sich an die Träume, die man selber einmal hatte und für die man ebenfalls bezahlen musste. Manche sind wahr geworden. Manche blieben unerfüllt. Und manche tun einfach nur weh.