Amüsantes, intimes, schönes Interview mit Rolando Villazón aus der Zeit.
„ZEIT: Sie beschreiben Ihre Stimme immer als ein wildes Pferd.
Villazón: Von dem ich verlange, dass es seine wilden Seiten behält und gleichzeitig mir gehorcht. Wenn ich sage: rechtsrum, dann muss es rechtsrum gehen. Mein Ideal ist, dass wir zu einem Zentauren verschmelzen, man sieht nicht mehr, wo der Mensch beginnt und wo das Pferd. Und jetzt war es so, dass mein Pferd gekränkt war. Ich musste sein Vertrauen wieder zurückgewinnen. Der Arzt sagte: Du brauchst fünf Wochen Pause. Und ich kam nach Hause und sagte: Ich brauche fünf Monate Pause. Die Stille ist Teil der Musik. Am Ende habe ich wieder etwas Zucker in meine Hand gelegt und fast geweint, als das Pferd zurückkam und mir wieder aus der Hand fraß. (…)
Villazón: Singen und Literatur, das waren meine Leidenschaften von Anfang an. Ich hatte immer das Gefühl, dass man mit der Literatur die Seele der Menschen viel direkter ansprechen kann.
ZEIT: Was suchen Sie in der Literatur?
Villazón: Vergnügen. Früher hätte ich gesagt: Erkenntnis. Weisheit. Tatsache aber ist, dass ich all das vergesse, wenn ich lese. Auch wenn ich immer eifrig unterstreiche.
ZEIT: Was unterstreichen Sie?
Villazón: Dinge, mit denen ich einverstanden bin, und Dinge, mit denen ich nicht einverstanden bin. Aber im Grunde ist es eine Art von Besitznahme des Buches, ich muss Bücher fühlen, ich muss sie riechen, sie mit Kaffee beflecken, dann wird das Buch zu meinem Freund. Ich spreche mit den Büchern, ich diskutiere mit ihnen. Deshalb hasse ich auch Schmuckausgaben und gebundene Ausgaben. Ich liebe Taschenbücher. (…)
Villazón: Meine Frau sagte: „Ich glaube, dass in dir ein großes Potenzial steckt, aber du stellst dir selbst ein Bein. Um das Beste aus dir herauszuholen, solltest du das tun.“ Ich sagte: „Nein!“ Und bin einen Monat später doch hingegangen. Zu Alejandro Radchik – mehr als seinen Namen weiß ich über ihn nicht, wie es sich für einen freudianischen Analytiker gehört. Ich hoffe nur, dass wir eines Tages zu einem Ende kommen.
ZEIT: Wenn sogar Woody Allen zu einem Ende gekommen ist, sollten Sie das auch schaffen.
Villazón: Und das Ergebnis war, dass er seine Adoptivtochter geheiratet hat, ohne Gewissensbisse zu haben! Wissen Sie, man sagt: Wenn eine Eidechse zum Analytiker geht, dann kommt sie nicht als Krokodil raus, sondern als analysierte Eidechse!“