Was schön war, Dienstag, 16. August – In Kunst wühlen
Meine zweite Hausarbeit in diesem Semester beschäftigt sich mit dem Maler und Grafiker Leo von Welden. Über den Herrn gibt es recht wenig Forschungsliteratur, was daran liegen könnte, dass er, wenn überhaupt, nur eine lokale Bekanntheit genießt, Rosenheim, Bad Aibling, Feilnbach, eventuell noch München. Ich hatte seinen Namen noch nie gehört, als ich ihn in der Themenliste für unser Rosenheim-Seminar entdeckte, nahm ihn einfach, weil ich mich mal mit einem Künstler auseinandersetzen wollte und nicht mit einem Sachthema (Kunstkritik in der NS-Zeit, Architektur der Galerie Rosenheim – okay, das hätte ich auch sofort genommen, aber das wollte noch jemand anders –, Provenienzforschung, Kunstverein Rosenheim, Max Bram etc.).
Die wenige Literatur besteht hauptsächlich aus Ausstellungskatalogen, in denen fast ausschließlich Freunde und Bekannte von Weldens zu Wort kommen, die ihn natürlich ganz großartig aussehen lassen. Die einzige kunsthistorische Auseinandersetzung ist das Buch von Ingrid von der Dollen von 2008, die Vorsitzende des Förderkreises Expressiver Realismus ist, ein Label, das sie auch von Welden überstülpt und mit dem ich einige Probleme habe (nicht nur ich). In ihrem Buch drückt sie sich komplett um die Große Deutsche Kunstausstellung und befasst sich hauptsächlich mit seinem Spätwerk nach 1945.
Wenn man von Weldens Entwicklung extrem knapp überreißen würde, könnte das so aussehen: Akademieausbildung 1920 bis 1925 in München, viel Grafik und Radierungen. Danach Grafik und Öl, Ausstellungen in Berlin und Stuttgart, dazu die GDK. Nach 1945, meiner Meinung nach eher aus ökonomischen denn aus künstlerischen Gründen Arbeiten in Caparol, eigentlich eine Wandfarbe, die von Welden kurzerhand als Malfarbe nutzte und die ihn für mich auch kunsthistorisch spannend werden lässt, weiterhin viele Zeichnungen, Grafiken und Aquarelle. Von Anfang an bis in die 1950er Jahre hinein hat er ausschließlich figürlich gearbeitet, dann, im Zuge der Neuausrichtung der Kunst in der Bundesrepublik, begann er zusätzlich mit abstrakten Werken, die aber noch nirgends publiziert wurden und von denen ich nur einige wenige Bilder kannte, die ich in Zeitungsartikeln zu Ausstellungseröffnungen rund um Rosenheim als Bebilderung in schwarzweiß und pixelig gesehen hatte. Von der Dollen ist die gesamte Abstraktion nur eine Fußnote wert, vermutlich weil sie auch das Label als expressiver Realist ein bisschen ankratzen würde.
Gestern hatte ich die Gelegenheit, im Nachlass von Weldens zu stöbern. Seine Tochter, knapp 80, wartete mit Butterbrezn und Wasser auf mich, die ich bitter nötig hatte, weil ich morgens vergebens dem Zug hinterhergerannt war, den ich verpasste, weil meine U-Bahn ausgefallen war. Wie im schlechten Film: vier Rolltreppen im Bahnhof hochgehechtet, dann gehumpelt-gehüpft zum Gleis (ich kann ja nicht richtig laufen wegen uralter Bandscheiben-OP, egal, dann hüpfe ich halt), wo der Zug noch stand, ich erwischte den letzten Wagen, drückte auf den Türöffner, der aber schon nicht mehr grün leuchtete, und noch während ich sinnlos auf den Knopf hämmerte, setzte sich der Zug in Zeitlupe in Bewegung, und ich war pissig und sinnlos verschwitzt. Dann spuckte mir die Bahn-Website auch noch eine Verbindung aus, die es nicht gab (ich fragte lieber noch mal nach, denn in der MVV-App wurde sie nicht angezeigt), schließlich fand ich eine Verbindung, die es gab und meldete mich kleinlaut bei meiner Gastgeberin, dass ich mich um eine Stunde verspäten würde. Das sei alles kein Problem, sie kenne das, sie sei ja auch Zugfahrerin. Ein Stündchen später genoss ich dann gefühlt umsonst, weil Semesterticket, die malerische Strecke zwischen Freising und Moosburg, wo sich überdachte Holzbrücken mit geweißten Kirchleins abwechselten. Verdammtes Klischeebayern, you are so pretty.
Ich betrat dann ein bisschen nervös das Atelier, wo Mappen um Mappen auf mich warteten, gerahmte Bilder, ungerahmte Bilder, Schubladen voller Grafiken und noch mehr Mappen und Mappen. Damit begann ich dann auch: Ich wollte gerne die abstrakten Werke sehen. Ich blätterte ein Werk nach dem nächsten durch, guckte, ordnete im Kopf ein, versuchte Ähnlichkeiten oder Referenzen an das Werk zu erkennen, das ich bereits abgespeichert hatte, fotografierte einiges, was für mich herausstach, und fand es sehr aufregend, Werke zu sehen, die ich eben noch nie gesehen hatte, weil sich noch niemand die Mühe gemacht hatte, sie auszuwerten. Das werde ich leider auch nicht leisten können, weil es schlicht zu viel für eine kleine Hausarbeit ist, aber sie haben mein Bild vom Gesamtwerk von Weldens entscheidend verdichtet.
Danach besah ich mir noch Radierungen aus seiner Studienzeit und versuchte vor allem die Zeit vor 1943 aufzufüllen; 1943 war das von Welden’sche Atelier in der Amalienstraße (quasi gegenüber vom heutigen Historicum) durch einen Bombentreffer zerstört worden und damit ein Großteil seiner Werke. Wir blätterten durch Fotoalben, wo ich auch Neues entdeckte, ich bekam alle Kataloge geschenkt, die ich zwar auch im ZI und in der Stabi habe, aber jetzt habe ich sie zuhause, ha! und ganz zum Schluss erhielt ich noch die Abschrift eines Schriftstücks, das ich für sehr wichtig halte. Die meines Wissens nach einzige Ablehnung, die von Welden zur NS-Zeit bekam (außer den Bildern auf der GDK, die nicht angenommen wurden), stammte vom Kunstverein Freiburg, der von Weldens Freund, der dessen Bilder vorgelegt hatte, 1937 schrieb:
„Unterdessen haben die Herren die Graphik von Welden angesehen. Man war allgemein der Meinung, dass es sich um eine Begabung handelt, aber man hatte das Bedenken, dass die Groteske, zu der er neigt, leicht Anlass gibt[,] uns der Unterstützung einer Kunst zu bezichtigen, die den „Untermenschen“ zum Objekt der Darstellung habe.“
Das Zitat hatte ich in Auszügen schon bei Frau von der Dollen gelesen, wollte es aber gerne im Kontext haben. Ich fand es sehr spannend, dass der Verein sich selbst nicht ganz so klar darüber ist, was eigentlich ein sogenannter „Untermensch“ ist, sonst hätten sie ihn nicht in Anführungszeichen gesetzt, und ob sich dieser Typus dann überhaupt in von Weldens Grafiken zeigt. Im Brief wird auch noch von einem Wechsel in der Kreisleitung geschrieben, was für mich darauf hindeutet, dass der Kunstverein noch nicht so recht weiß, welcher neue Wind jetzt in Freiburg weht und was man noch ausstellen kann und was nicht – wieder ein Beleg für die sehr inkonsistente NS-Kunstpolitik, die niemals eine Art Ratifizierungskatalog darüber erstellt hat, was denn nun deutsche Kunst sei. Die einzigen, auch eher weichgefassten Kriterien waren höchstens die, was keine deutsche Kunst sei, aber auch hier waren sich nicht alle einig. (Ich schrieb schon mal kurz über den Fall Rudolf Belling, der gleichzeitig in der Ausstellung über „entartete“ Kunst und in der GDK hing.)
Nach knapp vier Stunden waren mein Kopf voll und meine iPhone-Kamera leer. Das war ein sehr hilfreicher und spannender Tag, der mein Gesamturteil über von Welden verfestigte und an einigen Stellen schön ausbauen konnte. Ich schreibe das mal eben alles auf – auch die Dinge, die ich hier im Blog nicht aufschreibe, weil ich sie brav wissenschaftlich einordnen will. Dafür müsst ihr dann die Hausarbeit lesen, SO SORRY! (Hehe.)