Was schön war, Donnerstag/Freitag, 18./19. August 2016 – Wühlen

Am Donnerstag radelte ich gegen halb 11 (zu lange im Internet gedaddelt) ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Die am Mittwoch geschriebene Einleitung zur Hausarbeit gefiel mir, mein Plan war, mich nun mit der akademischen Ausbildung von Weldens zu befassen, genauer gesagt, mit der Académie Julian und der Akademie der Bildenden Künste in München. Natürlich fand ich zu beiden Themen wieder hübsche Aufsätze in der Bibliothek, schleppte Buch um Buch an meinen Arbeitsplatz und versank am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Bisher ist meine Hausarbeit in drei Zeitabschnitte geteilt (mal sehen, ob ich das noch über den Haufen werfe): 1914 bis 1933 (Ausbildungs- und Zwischenkriegszeit), 1933 bis 1945 (knickknack), 1945 bis 1967, von Weldens Todesjahr. Zu jedem Abschnitt beschreibe ich ein Bild, das für mich stellvertretend für diese Zeit steht, sofern das möglich ist, denn 1943 wurde von Weldens Atelier durch eine Bombe zerstört, was die Zeit davor etwas schwierig macht. Aber einige seiner Werke befinden sich in Münchner Sammlungen wie dem Lenbachhaus, andere durfte ich gerade erst vor ein paar Tagen sichten und wiederum andere sind in den wenigen Publikationen abgedruckt, die es über ihn gibt.

Ich beschrieb eine Radierung, hatte dann aber keine Lust auf den Abschluss des ersten Kapitels, in dem ich dieses Bild in den Zeitkontext einordnen wollte, sondern griff mir ein Buch, das uns unser Dozent empfohlen hatte. In diesem Buch stehen alle, alle, alle Ausstellungen von 1933 bis 1945 in Deutschland, in denen damalige Gegenwartskunst ausgestellt wurde, schön geordnet nach Städten und Künstler*innen. In der, ich erwähne das dauernd, ich weiß, wenigen Literatur über von Welden wurden gerade mal zwei Einzelausstellungen in Berlin und Stuttgart in dieser Zeit erwähnt und die Gemeinschaftausstellung GDK ignoriert. Nachdem ich das tolle Buch durchgearbeitet hatte, konnte ich in der Hausarbeit zusätzliche sieben Gemeinschaftsausstellungen in München aufführen und jeweils eine in Berlin, Köln und Hamburg, die zwischen 1937 und 1943 stattfanden. Das Tolle: bis auf die Hamburger Ausstellung hatten wir für alle weiteren die Kataloge im ZI stehen, und so konnte ich sogar zu jeder Ausstellung angeben, welche Werke in welchem Material von Welden ausgestellt hatte. Für den Hamburger Katalog bat ich eine Twitterbekanntschaft um Hilfe, nämlich den Herrn @textundblog, der an der dortigen Stabi arbeitet. Der betreffende Katalog schien nur dort vorrätig zu sein, also fragte ich ihn vorsichtig, ob er mir die betreffende Seite fotografieren könnte, bevor ich eine olle Fernleihbestellung aufgebe und eine Woche warten müsste, wo doch digital alles viel schneller ging. Ging es auch, denn am gestrigen Freitag hatte Markus den Katalog schon vorliegen, DMte mir die nötigen Infos als Bild und ich konnte die Arbeit ergänzen. Nochmals vielen Dank! (Internet, ey!)

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Das ganze begeisterte Rumwühlen hatte mich völlig die Zeit vergessen lassen. Wo ich sonst meist nach vier, fünf Stunden nichts mehr lesen kann, stellte ich hier irgendwann anhand meines nicht mehr zu ignorierenden Magenknurrens fest, dass ich seit über sieben Stunden im ZI saß. In dem Moment, in dem ich den Rechner zuklappen wollte, kam allerdings eine Mail des Bundesarchivs in Berlin, die ich erstmal lesen musste. Dort hatte ich nachgefragt, ob sich klären ließe, ob von Welden Mitglied in der Reichskammer der bildenden Künste gewesen war; in der WENIGEN LITERATUR wird nämlich der Eindruck erweckt, von Welden wäre wegen seiner Kunst nicht zugelassen worden. Meine Vermutung war eher, dass es daran lag, dass er staatenlos war; seine Eltern waren Deutsche und damit war auch er deutsch, obwohl er in Paris geboren wurde. 1915 wurde die Familie aus Frankreich ausgewiesen, sie zog nach München, war nun aber staatenlos (warum sie nicht Deutsche waren, erschließt sich mir immer noch nicht, da muss ich noch rumlesen). In die Reichskulturkammer oder ihre Unterkammern durften aber nur Deutsche aufgenommen werden; also fragte ich nach, ob es einen Aufnahmeantrag oder ähnliches gab. Gab es nicht, sondern etwas viel Spannenderes, wie ich aus den der Mail anhängenden Scans erfahren durfte. In den Beständen der Reichskulturkammer fand sich eine Karteikarte, auf der er als BeKA bezeichnet wurde – „besondere Kulturaufgaben“. Ich zitiere mal die Mail, deren Ausführlichkeit mich sehr positiv überrascht hat: „Die Abteilung BeKA bildete die Nachfolgerin der Abteilung IIA (Überwachung der kulturellen Betätigung von Nichtariern) im RMVP. Ariernachweise bzw. -bestätigungen oder gegenteiliges sind ebenfalls nicht in der Akteneinheit.“ Die Karte scheint vom August 1939 zu stammen; bereits 1938 hing ein Bild von Weldens mit eindeutig nationalsozialistischem Bildinhalt auf der GDK. (Einschub: Die Abteilung wurde von Hans Hinkel geleitet, dessen Name mich sehr hat lachen lassen.)

Dazu gab’s noch einen Brief an die Schwabinger Ortsgruppe der NSDAP, in der die politische Zuverlässigkeit von Weldens beurteilt werden sollte, damit man ihn eventuell doch in die Kammer aufnehmen könnte. Die Anfrage ist vom 21. November 1938, bearbeitet wurde sie am 16. Dezember. Einen Satz fand ich spannend: „In Anbetracht der Dringlichkeit der Angelegenheit ersuche ich um Einhaltung des gestellten Termins.“ Da von Welden zum Zeitpunkt des Briefes schon in Gemeinschaftsausstellungen vertreten war, meine ich, dass es hier um die GDK geht, wo man eben nicht jeden Hans und Franz an die Wand hängt. Dass die Kameradschaft Münchner Künstler vielleicht noch wen mitschleppt, der nicht Mitglied in der Kammer ist, okay. Aber dass so jemand in der Ausstellung für deutsche Kunst vertreten ist – das geht halt nicht.

Anscheinend ging es doch, denn der Archivar tippt auf „keine Mitgliedschaft“, auch wenn er es nicht nachweisen kann. Ich hatte bei von Weldens Tochter auch schon seinen französischen Geburtsschein gesehen, den er 1936 beim Standesamt München vorlegen musste, um zu heiraten. Das ging anscheinend auch ohne Ariernachweis oder ähnliches, was mich verwundert, aber nun gut. Das hat alles nur wenig mit meiner stilkritischen Hausarbeit zu tun, aber für mich persönlich sind die ganzen historischen Details ungemein interessant.

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Ich mochte auch den französischen Stempel des Dokuments gern. Stempeln die Franzosen heute immer noch mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? (Und schreiben sie endlich ihre Zahlen als Ziffern? Das halbe Dokument besteht aus ausgeschriebenen Zahlen, was auf Französisch ja immer ewig dauert. „Mil huit cent quatre-vingt-Dix-neuf.“ [sic!])

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Am gestrigen Freitag hatte ich die Gelegenheit, mit dem Archivar zu telefonieren und fragte noch ein bisschen nach. Das schreibe ich jetzt nicht alles auf, aber ich fand es sehr hilfreich (und ziemlich toll), dass sich da jemand eine halbe Stunde Zeit für mich nimmt, mir Verwaltungsvorgänge des Dritten Reichs erklärt und wo ich welche Akte finden könnte (oder auch nicht). Er hatte auch noch einen schönen Tipp: die Entnazifizierungsakte, in der von Welden angeben musste, in welchen NS-Verbänden er Mitglied war. Die liegt, wie sich’s gehört, im Hauptstaatsarchiv in München – merke: Entnazifizierungsakten liegen immer am Wohnort und nicht in Berlin – und da gehe ich nächste Woche mal vorbei. Vielleicht erwische ich dann auch endlich mal jemand im Haus der Kunst, wo eine Mail seit zwei Wochen nicht beantwortet wurde und ich die ganze letzte Woche niemanden aus dem Archiv ans Telefon gekriegt habe. Das wäre für mich auch deutlich wichtiger als jedes andere Archiv, aber ich ahne, dass ich da nicht ganz so einfach Zugang bekomme.