Für Emilia zum vierten Geburtstag

Liebe Emilia,

heute wirst du vier Jahre alt. Das ist schon ziemlich alt, und du kannst auch schon ziemlich viel: Du kannst vor allem „Nein!“ sagen, was du wirklich erst lernen musstest.

Seit zwei Jahren ist nämlich Lotta da, deine kleine Schwester. Und weil die noch nicht so viel weiß wie du und so gut erzogen ist wie du, nimmt sie sich einfach dein Spielzeug, obwohl sie das nicht darf, oder will deinen Trinkbecher haben, obwohl sie selbst auch einen hat. So sind kleine Schwestern eben. Ich kenne das. Und so wie deine Eltern ab und zu „Nein“ zu dir sagen, wenn du auf viel zu hohe Dinge raufklettern oder von ihnen runterspringen willst, sagst du jetzt laut und deutlich „Nein“ zu Lotta, damit die kleine Nervensäge endlich dein Spielzeug in Ruhe lässt. Richtig so.

Eins der Dinge, von denen du bitte nicht runterspringen sollst, ist dein neues Hochbett. Oben drauf kann man prima schlafen oder lesen (GUTES KIND!), und unten drunter sind deine Tonnen von Spielzeug. Deine Eltern haben mir gesagt, dass du sehr gerne oben im Bett liegst und runterguckst. Ich muss dir allerdings ein Geheimnis verraten: Als ich einmal deine Mutter besucht habe, als du im Kindergarten warst, saß Lotta in deinem Bett und hat eins deiner Bilderbücher durchgeblättert. Und es sah nicht so aus, als wäre es das erste Mal, dass sie da sitzt … ich hoffe, du nimmst ihr das jetzt nicht übel. So ein Hochbett ist aber auch zu toll, um es nicht zu teilen. Gewöhn dich lieber jetzt schon daran, dass dir nichts mehr allein gehört. Ich kenne das.

Wenigstens dein Weihnachtsgeschenk musstest du nicht teilen. Deine Eltern haben mir aufgetragen, dir ein Wichtelbuch zu schenken, das ich natürlich erstmal selbst lesen musste, bevor ich es dir geschenkt habe. Ich hoffe, das war okay. Zu Weihnachten hast du es dann auch vorgelesen bekommen – während Lotta sich an deinem Puppenhaus zu schaffen gemacht hat und mit dem kleinen Puppenwandschrank geschmust hat. Mein zweites Geschenk war ein riesiger Schokoladenweihnachtsmann, der aber nicht ganz deinen Geschmack getroffen hat. Du fandest die goldene Glocke, die dem Weihnachtsmann als Gürtel diente, viel spannender. Gut für mich: Nächstes Jahr behalte ich die Schokolade und schenke dir nur die Glocke.

Wir haben dieses Jahr auch einige Male miteinander gespielt. Du hast neuerdings eine Holzeisenbahn, deren Schienen man zusammenstecken muss, bevor man die kleinen Waggons darauf fahren lassen kann. Das Spannende daran ist, dass man die Schienen hinlegen kann wo man will. Und wenn die Patentante schon mal da ist, kann man die Schienen ja um sie herumlegen. Wofür man auf der Patentante rumklettern muss. Zum ersten Mal in meinem Leben fand ich es toll, eine gewisse Körperfülle zu besitzen, denn anscheinend fasse ich mich ganz anders an als deine schlanken Eltern. Jedenfalls bist du fröhlich quietschend auf mir rumgekrabbelt und konntest es anscheinend gar nicht glauben, wie lange es dauern kann, über einen Erwachsenen rüberzukommen. Vor allem, wenn der sich dauernd bewegt und dir Knie oder Schultern in den Weg stellt. Kein Wunder, dass unsere Bahn nie fertig geworden ist.

Seit einiger Zeit gehst du in den Kindergarten. Und das ist ein ganz besonderer, denn es ist ein Waldkindergarten. Du kannst den ganzen Tag draußen herumtoben und buddeln und Fangen spielen … was du aber nicht machst. Anscheinend findest du es viel schöner, alleine im Wald herumzustehen und dich einfach nur umzugucken. Dein bester Freund Bruno ist genauso drauf, und so steht ihr zusammen wie zwei kleine Fliegenpilzmännchen im Wald und seht euch die Natur an. Die Betreuerinnen haben euch ein drittes Kind „dazugestellt“, damit ihr beiden Träumerle mal ein bisschen mehr in Schwung kommt, aber stattdessen habt ihr dieses Kind friedlich assimiliert, und so ist es jetzt auch ein Fliegenpilz und schaut mit euch entspannt Himmel, Bäume und Vögel an, ohne sich vom Rest der wuselnden Kindergruppe beeindrucken zu lassen.

Bruno ist meiner Meinung nach etwas mehr als dein bester Freund. Du verbringst des Öfteren deine Nachmittage bei ihm, während deine und seine Mutter ein bisschen plaudern. Ich glaube, er hat dir ziemlich den Kopf verdreht, denn wenn du bei ihm bist, vergisst du, dass du eigentlich schon aufs Töpfchen gehen kannst – weswegen deine Mutter auch immer Sicherheitswindeln dabeihat. Auch daran kannst du dich schon mal gewöhnen. Also nicht, dass deine Mutter dich mit Windeln zu deinem Freund begleitet, sondern dass Kerle dir den Kopf verdrehen und dich Dinge vergessen lassen. Zum Beispiel, dass du total toll bist und es gar nicht nötig hast, dir von irgendwelchen Kerlen den Kopf verdrehen zu lassen. Aber da reden wir in zehn Jahren nochmal drüber. Oder in 20, wenn’s nach deinem Vater ginge.

Vielleicht verliebst du dich aber nicht in einen Mann oder eine Frau, sondern in – eine Krankheit! Denn als du vor ein paar Monaten Windpocken hattest, fandest du die vielen kleinen roten Punkte zwar nervig und kratzig und überhaupt ist das Leben eines der schwersten, aber zugleich total schön. Jedenfalls hast du deinem Vater gesagt, dass, wenn du den Schlafanzug zuhalten würdest, deine Windpocken nicht rausfallen und verschwinden könnten.

Liebe Emilia, ich wünsche dir immer so viel Fantasie (auch ohne Fieber), gute Freunde, kleine Schwestern (in 30 Jahren wirst du Lotta total toll finden. Versprochen. Ich kenne das) und Eltern, die dich mit Spielzeug überschütten, so dass für mich nie was zum Kaufen übrig bleibt. Und ich wünsche dir vor allem weiterhin die Gelassenheit, deine Welt erstmal in Ruhe anzugucken anstatt hektisch mit Eimerchen und Schäufelchen in ihr rumzuwühlen.

Alles Liebe von deiner Patentante
Anke