Tagebuch, Montag, 26. September 2016
Gestern begann die zweiwöchige Phase, in der wir online unsere Kurse und Vorlesungen belegen können – jedenfalls in Kunstgeschichte. Das historische Seminar macht bei diesem neumodischen Kram immer noch nicht so ganz mit, da schickt man einfach eine E-Mail an den oder die Dozent:in und hofft, dass man rechtzeitig auf „Absenden“ geklickt hat, um noch einen Platz zu kriegen. (Hat bis jetzt immer funktioniert.)
Ich habe nicht mehr viele Kurse abzuleisten, aber wie das fiese Detailteufelchen es will, lag eine meiner zwei Vorlesungen genau parallel zu meinem Forschungsseminar. Das war eine recht neue Entwicklung, den eigentlich bastele ich meinen Plan schon Wochen vor der Belegungsphase. Daher saß ich gestern sehr überrascht am Rechner und musste auf die Suche nach Ersatz für die schöne Vorlesung zur Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts gehen. Mein nächster Liebling „Cézanne und seine Zeit“ (wegen des 19. Jahrhunderts) lag – ich begann zu knurren – parallel zu meinem einzigen Hauptseminar in Geschichte, in dem ich mich in Archiven rumtreiben werde, um dem Kunsthandel in München während der NS-Zeit nachzuspüren. (Über diesen Kurs musste ich ungefähr keine Sekunde nachdenken, als ich ihn belegte.) Ich habe jetzt „Architektur des Osmanischen Reichs“ belegt, was ein totaler Ausbrecher ist, denn obwohl islamische Kunst ein möglicher Schwerpunkt des Kunstgeschichtsstudiums an der LMU ist, konnte ich mich bisher um sie drücken; ich hatte schon genug mit der westlichen Kunst zu tun, eine weitere Baustelle wollte ich nicht aufmachen. Da es aber um Architektur geht, schien sie mir recht reizvoll. So richtig überzeugt bin ich allerdings noch nicht, ich lasse das ein paar Tage liegen und klicke notfalls auf eine weitere Alternative, die aber dann gar nichts mehr mit meinen Themen Architektur, Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, Fokus auf die NS-Zeit zu tun hat.
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Ich lese seit Monaten (!) an diesem wunderbaren Buch herum, kriege es aber irgendwie nicht durch, was nicht daran liegt, dass es langweilig ist – ganz im Gegenteil –, sondern weil ich mir anscheinend angewöhnt habe, nur noch häppchenweise zu lesen, das sofort zu verschriftlichen und dann ein weiteres Häppchen zu mir zu nehmen. Ich habe es durch das Studium verlernt, einfach nur stundenlang zum Vergnügen auf dem Sofa zu sitzen und zu lesen. Sonntag abend hatte ich das Buch wieder vor der Nase und wie jedesmal, wenn ich zehn, fünfzehn Seiten gelesen habe, bin ich wieder drin in der historischen Erzählung – aber dann lege ich es wieder weg und ignoriere es tagelang, weil ich kunsthistorische Häppchen lese. Gestern erinnerte ich mich aber an meine alten Leserituale, kochte mir eine schöne Schale Milchkaffee, legte eine von den Sonntagszimtschnecken auf Omis schönes Geschirr und setzte mich aufs Sofa. Der Rechner wurde bewusst ausgemacht und ich las mehrere Stunden genussvoll vor mich hin. Sofern man über die Irrwitzigkeit von Kolonialisierung und die Aufhebung derselben genussvoll lesen kann.
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Um 17 Uhr hatte F. einen Wiesntisch reserviert und wir saßen zu zehnt im Festzelt Tradition. Das steht in diesem Jahr nicht auf der Oidn Wiesn, sondern war Teil des dusseligen Zentralen Landwirtschaftsfestes, das eine Woche stattfand und tagsüber 14,50 Euro Eintritt kostete. Ab 18 Uhr waren es nur noch drei, für die man auf das abgesperrte Gelände und damit ins Festzelt kam. In den Zelten der Oidn Wiesn (Tradition, Herzkasperzelt) wird eher traditionelle Volksmusik gespielt, es gibt einen Tanzboden, ab und zu stehen Goaßlschnoizer auf den Tischen, das Bier kommt in Steinkrügen und bleibt damit deutlich länger kühl – kurz, es ist alles weniger oktoberfestig, sondern mehr volksfestig und damit genau mein Ding. Weil es in diesem Jahr so abgeriegelt wurde, war das Zelt letzte Woche schon recht leer und ich hatte gehofft, es würde diese Woche etwas voller werden, jetzt wo das Landwirtschaftsfest vorbei war. Wurde es leider nicht; wir saßen in einem gut zur Hälfte gefüllten Zelt, was äußerst ungewohnt fürs Oktoberfest ist. Die Stimmung war trotzdem gut, aber der generelle Eindruck war doch eher traurig. Münchner:innen – kommt ins Festzelt Tradition und füllt die Hütte!
Im Deutschunterricht übers Oktoberfest reden und spontan Instagramfotos von @ankegroener zeigen. Klappt sehr gut :)
— Regina Phalange (@isabellio_) 26. September 2016
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Nach zwei Maß und einer Radlermaß verabschiedete ich mich, kaufte auf dem Weg zur U-Bahn noch gebrannte Mandeln (Frühstücksvorfreude) und war gegen 22 Uhr zuhause. Bis 23 Uhr lungerte ich noch angeschickert rum, dann ging ich ins Bett und stellte mir den Wecker auf 2 Uhr 55, um die erste Präsidentschaftsdebatte zu gucken.
Ich habe bisher von Trumps Reden nur minutenweise Ausschnitte gesehen, bis ich irgendwann nicht mehr auf derartige Links klickte, weil mich seine Art zu sprechen schlicht wahnsinnig macht. Das fragte ich gestern auch auf Twitter: Wie kann man sich ernsthaft mit jemandem auseinandersetzen, der einen Quatschsatz nach dem nächsten absondert? Wie kann man mit Fakten und Gelassenheit einem Bully, der eine Lüge auf die nächste stapelt, entgegentreten? In den ersten Minuten kam mir Trump fast zurückhaltend vor, aber nach nur gut einer Viertelstunde war der alte Schreihals wieder da, der Clinton 29mal unterbrach, während sie ihn irgendwann einfach nur noch brabbeln ließ anstatt es ihm gleichzutun.
Logisch gesehen, müsste Clinton die klare Gewinnerin der Debatte sein, aber ich ahne, dass die Menschen, die Trump wählen, sich sowieso nicht von ihr überzeugen lassen. Ich hoffe, dass unentschlossene Wähler:innen ein paar gute Argumente gegen eine Wahl Trumps erhalten habe, aber auch da bin ich mir nicht sicher. Trumps selbstsicheres, substanzloses Gewäsch hat ihn schließlich zum Nominierten gemacht – wieso sollte es dann nicht auch für die Präsidentschaft reichen? Mir ist seit heute nacht noch weniger wohl, wenn ich an den Wahltermin denke.