Kein Kalauer mit „beckmessern“, versprochen
Gestern gab es zum ersten Mal eine Oper aus Bayreuth als Livestream zu sehen: Die Meistersinger von Nürnberg. Das ganze hat mich 49 Euro gekostet, was einige Leute, denen ich davon erzählt habe (you know who you are), zu der Frage bewegt hat, ob es das denn wert sei. Man konnte den Stream nämlich nicht aufzeichnen, und ich kann ihn jetzt nur noch einmal bis zum 2. August angucken; dann verfällt mein Zugangscode.
Die Frage kann ich trotzdem locker mit „Aber hallo“ beantworten. Wenn ich ins Theater, ins Popkonzert oder ins Musical gehe, zahle ich ähnliche Preise, meistens sogar mehr, und kann davon auch nichts mitnehmen außer ein paar wackelige Handyfotos. Dafür hat man natürlich das Live-Erlebnis – was ein gutes Argument gegen den Stream aus Bayreuth gewesen wäre, wenn es denn so einfach wäre, an Karten dafür ranzukommen, um es einmal live zu sehen. Soweit ich weiß, liegt die Wartezeit momentan bei sieben bis zehn Jahren (Promibonus mal ausgeschlossen), und daher fand ich die Idee mit dem Stream sehr gut, um auch den Leuten, die noch nie da waren, einen kleinen Einblick in die besondere Atmosphäre des Festspielhauses zu geben.
Nachdem ich gestern also von 16 bis kurz vor 23 Uhr vor dem Rechner gesessen habe, muss ich allerdings sagen, dass der Stream doch eher was für Leute ist, die schon mal da waren – alleine, weil ich mir die Akustik wenigstens vorstellen konnte, die meine Kopfhörer natürlich nur absolut unzureichend wiedergeben konnten. Ich hatte schon mehrmals das Glück, vor Ort zu sein (danke, Mama) und konnte mich an diese magischen Augenblicke erinnern, wenn das Licht langsam gedimmt wird, es schließlich stockfinster ist und dann aus dem geschlossenen Orchestergraben die ersten Töne der Ouvertüre dringen, ganz zart oder mächtig, je nach Stück, in die Dunkelheit hinein. Ich musste bis jetzt jedesmal heulen, sobald es losging, und ich muss gestehen: Gestern beim Stream habe ich schon angefangen zu flennen, als das erste Bild aus dem Festspielhaus zu sehen war. Man sah über die Zuschauer hinweg auf die Bühne, hörte das übliche Stimmengewirr und die sich einspielenden Musiker, und es hat sich mit ein bisschen Vorstellungskraft fast so angefühlt, als wäre ich da. Und auch wenn Bayreuth-Bashing immer beliebter wird – für mich war es jedesmal etwas Einmaliges, dabei sein zu dürfen. Und so ging es mir gestern auch.
Der Unterschied zur DVD, die angeblich im November auf den Markt kommen soll, war ganz einfach der, dass ich hier auch die Pausen von jeweils einer Stunde mitgemacht habe. Dass ich warten musste, bis es weiterging, anstatt vorskippen zu können. Dass ich mich auch mit den Teilen der Meistersinger auseinandersetzen musste, die ich nicht ganz so mag. Ich gestehe, dass ich in der letzten halben Stunde immer etwas nölig werde, weil das Stück so gar nicht aufhören will. Die gestrige Aufführung war die dritte, ich ich mitgemacht habe, und ich ahne, dass dieses nölige Gefühl anscheinend immer so ist.
In den Pausen haben die Macher ein kleines, aber schickes Rahmenprogramm angeboten. So haben die zwei Kerle, die durch den Abend geführt haben, sich die Sänger geschnappt, die gerade von der Bühne kamen und sie zu ihrer Rolle befragt; sie haben sich in den heißen Orchestergraben gesetzt und mit einem Hornisten gesprochen, der, wie alle Teilnehmer, für Bayreuth seinen Sommerurlaub geopfert hat, sie haben uns beim Umbau zugucken lassen, beim Schminken und hatten noch ein paar vorbereitete Filmchen über die Besonderheiten des Opernhauses dabei. Davon kannte ich zwar schon einiges aus den Führungen, die ich mitgemacht hatte, sehe es aber immer wieder gerne. Und was die Sänger und Musiker erzählt haben, war mir dann auch neu: wie man sich die Kräfte für eine so lange Partie einteilt und wie sie ihre Rollen sehen und sie mit Leben füllen.
Die Inszenierung ist vom letzten Jahr und das Bayreuth-Debüt von Katharina Wagner, der Urenkelin Richard Wagners, die demnächst mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier die Leitung der Festspiele übernehmen wird. Die ersten beiden Akte fand ich sehr gelungen, den dritten dann wieder unnütz auf Krawall gebürstet (immerhin gab’s nicht nur nackte Mädels, sondern auch einen unbekleideten Herrn), und so gab es nach den ersten beiden Vorhängen auch eher Bravo-Rufe aus dem Publikum, während am Ende das übliche Gebuhe anfing.
Auch schön: der Stream ist wirklich bis zum Ende draufgeblieben, also bis der letzte Applaus verklungen war. Meine Mutter und ich bleiben auch immer zum Schluss, selbst wenn es uns nicht gefallen hat – man ist ja schließlich nicht alle Tage da. So konnte ich dann auch die Jubelarien für den Darsteller des Sixtus Beckmesser ansehen, die von lautem Füßegetrampel begleitet wurden – und auch hier dachte ich mir, schön, dass ich schon mal da war, denn mein Körper hat sich sofort an das Gefühl erinnert, wenn man auf den Folterstühlchen sitzt und der Holzboden unter einem zu beben beginnt, wenn das ganze Publikum trampelt.
—
Edit: SpOn über das Public Viewing der Meistersinger.