Was schön war, Donnerstag, 1. Dezember 2016 – „Lady Macbeth von Mzensk“
Gestern war Weihnachten – jedenfalls bekam ich mein Weihnachtsgeschenk in Form einer Oper. F. führte mich in Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk aus; wir saßen äußerst angenehm mit hervorragender Sicht und sehr gutem Klang im ersten Rang, nur Sekunden entfernt von Sektstand, Klo und Garderobe und diversen beeindruckenden Kronleuchtern, die ich in der Pause anschmachten konnte. Endlich mal mit Profis arbeiten.
Ich überlegte die komplette erste Hälfte, wie ich die Inszenierung beschreiben würde. Als der Vorhang sich öffnete, rollte ich innerlich ein winziges bisschen mit den Augen, weil der Standort „Industriebrache“ jetzt echt nichts Revolutionäres ist und gerne für alles als Tapete herhalten darf. Man sieht zentral einen Raum auf Stelzen, der mit gelben Querbalken überdeckt ist, eine Metalltreppe führt zu ihm hinauf, darin befindet sich nur ein Bett. Um den Raum herum erstrecken sich weitere Metalltreppen und füllen die gesamte Bühne über gefühlt drei Stockwerke kreuz und quer; der Hintergrund ist ein Schwarzweißbild einer heruntergerockten Fabrikhalle. Im Laufe des Stücks werden die Treppen immer weniger, bis sie zum Schluss fast nur noch Deko sind und ins Leere gehen. In der Pause nannten F. und ich das Bild „unaufdringlich“ und waren abschließend der Meinung, dass es sich ganz der Musik und den Stimmen unterordnet, ohne aber unterzugehen. So fühlte sich die ganze Inszenierung an: nach der ersten Irritation sehr stimmig.
Die Bühne wurde sehr effizient, aber auch effektiv genutzt. Der Raum auf Stelzen hob sich manchmal in die Luft, so dass darunter etwas stattfinden konnte; in einem weiteren Bild stand an diesem Ort eine Hochzeitstafel, die ebenfalls in die Höhe gefahren wurde – darunter wurde eine Polizeistation sichtbar, in der, schönes Bild, jeweils ein Polizist einen weiteren auf Drehstühlen hin und her schob, was erstens eine schöne Dynamik war, zweitens ein bisschen comic relief, den man in diesem Stück wirklich brauchen kann, um nicht an der Deppigkeit der Menschheit zu verzweifeln, und drittens ganz subtil Rangunterschiede der blöden Untertanengesellschaft klarmachte, wo immer einer buckelt und einer tritt. Im letzten Bild war dieser Teil der Bühne leicht versunken, die Treppen kaum noch sichtbar, und aus der zunächst geschlossenen, dann offenen Fabrikhalle wurde nun ein unendliches Meer, weiterhin in Schwarzweiß.
Auch die Farbigkeit der Bühne und der Akteur*innen hat mir gefallen. Sieht man zunächst den gelblichen Raum, in dem sich die Hauptfigur Katerina in einem hellroten Kleid bewegt, wird das Gesamtbild im Verlauf immer farbloser. Aus dem roten Kleid wird ein gelbgrüner Mantel, schließlich ein weißes Hochzeitskleid und zum Schluss, auf dem Weg nach Sibirien ins Straflager, ein graues Bündel Stoff. Das letzte Bild mochte ich besonders, die Aufseher in grau, schwarz und dunkelblau, die Gefangenen in ähnlich gedeckten Farben, hier mal ein dunkelgrüner Tupfer, da etwas Grellgelbes und -rotes von Katerinas Nebenbuhlerin, womit sich der Kreis auch farblich schloss, ohne dass das Gesamtbild der hoffnungslosen Einöde zerstört wurde.
Ich kann mich nicht erinnern, bewusst schon einmal Schostakowitsch im Konzert gehört zu haben, daher wusste ich nicht, was musikalisch auf mich zukommt. Ich mochte die Musik sehr, die an einigen Stellen noch nach romantischer Oper des 19. Jahrhunderts klang, aber schon eindeutig im 20. Jahrhundert verortet war. Besonders beeindruckt hat mich der Hochzeitstanz, bei dem man viele Paare in heiterem Treiben auf der Bühne sieht und es rhythmisch lebhaft zugeht, aber trotzdem klang der Tanz eher nach The Walking Dead meets Red Wedding als nach ausgelassener Heiterkeit.
Als olle Wagnerianerin war es für mich außerdem ungewohnt, eine zügige Handlungsfortführung auf der Bühne zu erleben; der Richard lässt sich ja bekanntlich mit allem sehr viel Zeit, während hier in einem Akt so viel passiert wie bei Wagner im gesamten Ring. Auch ungewohnt: eine selbstbewusste Frauenfigur. Während sich bei Wagner die Damen gerne theatralisch für Kerle, Götter oder Ideologien opfern, singt Katerina lieber darüber, dass sie es schade findet, dass niemand ihre weißen Brüste berührt. Außerdem erlebten wir einen Orgasmus, gespielt und musikalisch, auf offener Bühne, und ich habe auch noch nie gesehen, wie dramatisch man einen Mann entkleiden kann. (Ich beherrsche mich gerade sehr, jedes Wortspiel mit „Bläsereinsatz“ zu vermeiden.)
Wo wir gerade bei den Bläsern sind: acht von ihnen, wenn ich richtig gezählt habe, saßen außerhalb des Orchestergrabens auf die vier kleinen Logen direkt an der Bühne verteilt. Die haben sich wahrscheinlich auch gedacht, endlich mal anständige Sitzplätze statt der fiesen Holzstühle im Graben. Und wenig zu tun. Ich konnte sie klanglich aber nicht von dem unterscheiden, was aus dem Graben kam, was mich bei jedem ihrer Einsätze fasziniert hat. Außerdem erwischte ich mich erstmals in der Oper bei dem Gedanken, meine Güte, ist das Orchester wunderbar. Dass die Damen und Herren ihren Job können, setze ich voraus und beklatsche den*die Dirigent*in auch immer gerne besonders laut, wenn er oder sie auf die Bühne zum Schlussapplaus kommt, aber gestern dachte ich des Öfteren, dass das alles schlicht perfekt war. Es hat sich sehr aus einem Guss angehört, trotzdem voller Dynamik, mit Höhen, Tiefen und verschiedenen Lautstärken, es war nie eine Konkurrenz zu den Stimmen, aber es war weit mehr als nur eine Begleitung. Ich habe zu wenig Ahnung davon, wie ein Orchester klingen muss, vielleicht lag es schlicht an der Komposition oder an den Sitzplätzen, aber wie gesagt, so bewusst wahrgenommen, wie großartig das gerade alles ist, habe ich es noch nie.
Auch die Übertitel haben sehr viel Spaß gemacht. Zwei neue Lieblingssätze: „Ich werde ein ganzes Jahrhundert lang trinken, ich bin ein herzlicher Mensch.“ Und:
„Küss mich, dass die Ikonen aus den Rahmen fallen!“ Oper ist super. #bso_mzensk
— ankegroener (@ankegroener) 1. Dezember 2016
Abschluss des Abends bei einem schmackigen Crémant bei Kerzenlicht. Das war gestern alles ein großes Glück.
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Edit: Auf dem YouTube-Kanal der Staatsoper gibt’s Ausschnitte und Vlogs zum Stück, und am 4. Dezember um 19 Uhr könnt ihr euch das alles entspannt im Livestream anschauen.