Was schön war, Dienstag, 20. Dezember 2016 – Zuhören

Morgens war mir nicht nach osmanischer Architektur. Vorlesung geschwänzt, lieber mit Tee an den Schreibtisch gesetzt und weiter in Leos Briefen gelesen und sie transkribiert. Je mehr Werke ich von ihm kenne, desto spannender finde ich es zu lesen, was er zu seiner Kunst – oder Kunst generell – zu sagen hatte. Manchmal kommen mir seine Zeilen wie Untertitel im Kino vor.

Von Twitter gelernt, dass in alten Poststempeln die Uhrzeit vorkam.

Weiter im Kershaw gelesen, den will ich über Weihnachten und Neujahr endlich durchkriegen. Ich erinnere mich noch an mein großmäuliges „Was, nur zwei Bücher für den Lektürekurs?“, und bis jetzt habe ich noch nicht mal eins durch. Deadline ist der 31. Januar, dann trifft sich unser Kurs wieder und redet über die Werke. Zu Kershaw könnte ich zwar schon jetzt nach 200 Seiten was Fundiertes sagen, und ich ahne, dass das auch auf die restlichen 400 Seiten zutrifft, aber der Mann schreibt so gut, das will ich halt lesen.

Abends wieder Menschenrechtsseminar. Das erste Referat ging um Chile und wieso dieses Land bzw. der Umgang der Welt mit dem Pinochet-Regime eine hübsche Übung war: Das Land war politisch weder dem westlichen noch dem Ostblock zuzurechnen und es hatte nichts Spannendes für den Export, weswegen sich alle Systeme hier ausprobieren ließen – kirchliche und Menschenrechtsorganisationen, Parteien und Regierungen, jeder versuchte sich an Solidarität oder Boykotten. Keiner von den globalen Akteuren hatte etwas zu verlieren, um es zynisch auszudrücken. Der Kurs war sich auch recht einig darin, dass viele Aktionen nur wenig gebracht hätten, wobei der Aspekt der Hoffnung, des nicht Alleinseins, weil die Welt immerhin weiß, was in Chile passiert, erwähnt wurde.

Das zweite Referat handelte von Südafrika und dem ANC, wobei hier recht ausführlich auf die internationale Isolation eingegangen wurde. Dass es seit 1983 eine UN-Liste von Künstler*innen gegeben hatte, die den Boykott ignoriert hatte, hatte ich schon wieder vergessen, dass man damals Chiquita statt Dole gekauft hat, wusste ich allerdings noch. Nach der Stunde hatte ich einen fiesen Ain’t gonna play Sun City-Ohrwurm. Der Referent hatte Biko angespielt.

Ich kam wieder sehr vollgepackt mit Eindrücken aus dem Kurs. Ich trauere zwar immer noch dem Münchner Kunsthandel zwischen 1920 und 1960 hinterher, was meine erste Wahl war, die ja leider wegen mangelndem Interesse nicht stattgefunden hatte, aber der Menschenrechtskurs ist ein ganz hervorragender Ersatz. Es ist auch das erste Mal, dass ich mich in Geschichte mit gefühlt für mich noch aktuellen Ereignissen beschäftige bzw. mit Geschichte, die ich selbst miterlebt habe. Ich bin endlich eine von den Seniorinnen, die im Kurs sagen könnte: „Das habe ich aber ganz anders in Erinnerung.“ Ha! (Bis jetzt hat noch niemand was nach mir geworfen.)