Was schön war, Donnerstag, 2. März 2017 – Die Bücher neben den Büchern

Morgens radelte ich in die Unibibliothek, um Bücher abzugeben und weitere abzuholen. Zunächst ging ich aber schuldbewusst zum Zahlautomaten, denn ich hatte völlig vergessen, dass ein Buch bereits Mittwoch fällig gewesen war. Als ich meine Bibliothekskarte unter den Scanner hielt, sagte mir das freundliche Bedienfeld aber: Ich will kein Geld von dir, alles prima. (Looking at you, Stabi, die sofort 7 Euro verlangt.)

Ich ging zur Rückgabestelle, gab ab, was ich nicht mehr brauchte und fragte, ob ich das überfällige Buch nochmal verlängern könnte, denn das brauchte ich für die Masterarbeit. Für die hatte ich in den letzten Wochen schon lustig querbeet ausgeliehen, war aber natürlich zu kaum etwas gekommen, weil ich ja noch an Leo bastelte. Die Aufsicht verneinte, fragte aber, ob ich es nochmal kurz haben wolle, um jetzt noch was zu kopieren oder zu scannen. Das fand ich sehr nett, gab das Buch aber ab und bestellte es mir zuhause einfach für in drei Wochen vor. Das reicht vermutlich. Es handelt von Vergangenheitsbewältigung, unter anderem der der NS-Zeit, aber da ich meine Lesestündchen mit Markus Lüpertz in den 1960er Jahren beginne, kann das Thema noch ein bisschen warten.

Dann radelte ich ins ZI und bastelte meine Hausarbeit fertig. Mir waren gestern beim letzten Korrekturgang noch ein paar Ungereimtheiten aufgefallen, die Zitate betrafen, daher wollte ich die lieber nochmal im Original gegenchecken. Außerdem fehlte mir bei einigen Grafiken von Conrad Felixmüller, die ich erwähne, der Aufbewahrungsort; Maße und Erstellungsdatum hatte ich, aber der Ort fehlte. (Also in welchem Museum das Werk hängt oder ob es Privatbesitz ist.) Ich suchte mir die Signaturen der zwei Bücher raus, aus denen ich die Werkangaben hatte und ging ans Regal. Dort leuchteten mir zwei dicke, grüne Bände entgegen – der Gesamtkatalog der Gemälde von Felixmüller.

Kleiner Flashback zu irgendwann in den 90ern, als ich mal in Dresden war und dort, ich meine im Albertinum, meinen ersten Felixmüller gesehen hatte. Den Namen hatte ich vorher nicht gekannt, aber mir fiel ein Frauenporträt auf, dessen Titel ich mir natürlich nicht merkte, das ich aber seitdem als „Das war von Felixmüller und das war toll“ mit mir rumtrug. Gestern dachte ich mir, ey, blätter doch einfach mal sein Werkverzeichnis durch, du hast ja Zeit, und guck, ob du es wiederfindest. Das tat ich, und ich fand das Bild auch wieder – es war das Bildnis von Frau Dr. Stegmann aus den 20ern –, aber ich war ein winziges bisschen enttäuscht. Was ich in den 90ern so toll gefunden hatte, fand ich jetzt okay. Ästhetisch, ansprechend, aber schlicht nicht mehr meins.

Ich brauchte noch ein anderes Buch von Felixmüller, in dem sich politische grafische Arbeiten befanden. Das stand nicht bei den Monografien von ihm, sondern auf einem anderen Stockwerk. Dort angekommen, sah ich direkt neben dem gesuchten Buch (Kritische Grafik aus der Weimarer Republik) noch eins, das Kapitalistischer Realismus hieß, und weil ich ja, wie gesagt, Zeit hatte, nahm ich das einfach mal mit. Den Begriff hatte ich schon mal gehört, mich aber nicht genauer damit beschäftigt.

Als ich mit der Hausarbeit fertig war, blätterte ich darin rum und sah als Bebilderung zu einem Text von Edward Kienholz zu seinem A Portable War Memorial (hier 4 Minuten vom WDR dazu) ein Bild, das ich gerade vor ein paar Tagen im Haus der Kunst gesehen hatte. Ich fotografierte die Buchseite und schickte sie F., der auch schon in Postwar gewesen war, deswegen ist das Bild so aus dem Handgelenk.

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Zuhause blätterte ich im Ausstellungsführer zu Postwar nochmal nach. Normalerweise drückt einem das Haus der Kunst netterweise ein kostenloses Faltblatt in die Hand für jede Ausstellung, wo viele oder sogar alle Werke verzeichnet sind. Da in Postwar aber gefühlt eine Million Bilder und Skulpturen zu sehen sind, kostete das Ding diesmal etwas, und man bekommt für zehn Euro ein über 300 Seiten dickes Werkverzeichnis. Der Katalog kostet 69 Euro und wiegt ungefähr zehn Kilo, ich habe ihn schon mal durchs ZI geschleppt.

Hier ist das Bild nochmal in schick, aus eben diesem Ausstellungsführer fotografiert:

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Die Seiten sind mit dem Namen des oder der Künstler*in überschrieben. Bei Geliy Korzhev fand ich seine Daten dazu noch bemerkenswert: „Geb. 1925 in Moskau, Sowjetunion. Gest. 2012 in Moskau, Russland.“ Was in zwei Zeilen schon an Geschichte drinsteckt.

Das Bild zeigt einen Kämpfer der russischen Revolution von 1917, der das Banner aufhebt, das seinem getöteten Kameraden aus den Händen fiel. Es ist die Mitteltafel eins Triptychons; die anderen Tafeln, die nicht ausgestellt waren, zeigen links eine Szene aus dem Bürgerkrieg, auf den die Oktoberrevolution folgte, die rechte „einen ehemaligen proletarischen Revolutionär, der eine Tonbüste Homers nach einer Marmorstatue modellierte. Offenkundig war diese Entwicklung des Sowjetmenschen vom Revolutionär zum Soldaten und zum humanistischen Künstler im Dialog mit der Antike das, was Korzhevs zeitgenössische Kritiker faszinierte.“ Das Bild erhielt 1961 eine Goldmedaille der Sowjetischen Akademie der Künste und 1966 „wurde ihm der Staatspreis für Vorzüglichkeit in den bildenden Künsten verliehen.“ [1]

Im Haus der Kunst hing es im Themengebiet „Realismen“, in dem sozialistischer Realismus aus Südamerika und der DDR neben französischer proletarischer Malerei und chinesischem Realismus hing. Kann man als Propaganda abtun, kann man aber auch mal in einen Kontext mit zeitgenössischer Nicht-Staatskunst hängen. Fand ich sehr spannend.

Zum Abschluss holte ich mir noch einen Katalog von Jonathan Meese aus dem Regal, weil ich endlich kapieren will, was an ihm so toll sein soll, aber ich habe es wieder nicht geschafft.

[1] Beide Zitate Daniel Milnes: „Geliy Korzhev“, in: Haus der Kunst (Hrsg.): Postwar 1945–1965. Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, München 2016, S. 153.