Was interessant war, Mittwoch, 29. März 2017 – Abstrakt vs. realistisch
Für meine Masterarbeit lese ich auf diversen Baustellen herum. Eine davon ist die Zeit, in der Lüpertz und Kiefer ihre Werke erstellten, die sich mit der NS-Vergangenheit befassten. Beide gehören zu den ersten westdeutschen Malern (ich habe immer noch keine Malerin gefunden und warte, dass sie mir in der Literatur über den Weg läuft), die nach 1945 wieder figurativ arbeiteten. Auch für meine Leo-von-Welden-Hausarbeit hatte ich mich für das Thema „Abstrakt versus realisistisch“ interessiert, weil ich wissen wollte, wie sehr von Welden neben dem Zeitgeist hermalte. In dieser Arbeit reichte es nur für einen kurzen Absatz, ich zitiere mich mal selbst:
„Trotz der großflächigen Zerstörung deutscher Städte begann der kulturelle Aufbau sehr schnell. Im Juli 1945 wurde der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründet,[1] die erste Galerieeröffnung nach Kriegsende fand im August 1945 in Berlin statt,[2] und bereits im Dezember 1945 wurde auf Initiative der amerikanischen Militärregierung im Augsburger Schaezlerpalais eine Ausstellung mit dem Titel „Maler der Gegenwart“ gezeigt.[3] Im Februar 1947 wurde am gleichen Ort erstmals in der amerikanischen Besatzungszone abstrakte Kunst ausgestellt.[4]“
(Ja, ich brauche endlich ein Fußnoten-Plugin, ich weiß.)
Im Postwar-Katalog standen natürlich auch einige Aufsätze zur Situation nach 1945, nicht nur auf Deutschland bezogen:
„Im Bereich der Kunst markiert die Nachkriegsperiode einen historischen und kulturellen Wendepunkt, der das Schwinden der Dominanz der westlichen europäischen Kunstzentren und den Aufsteig der internationalen Präsenz und Hegemonie der zeitgenössischen amerikanischen Kunst, Populärkultur und Massenmedien einleitete.“[5]
Einige Jahre später hatte sich diese Präsenz zementiert und strahlte auf Europa zurück:
„Zu diesem Zeitpunkt [1960] fanden die Territorialgefechte zwischen New York und Paris bereits seit Langem im Kontext des Kalten Krieges statt. Aus diesem Blickwinkel lag das offensichtlichste künstlerische (eher territoriale) Problem in dem vorgeblich rein stilistischen Konflikt zwischen Abstraktion und Figuration. Dieses Gegensatzpaar – das sich schnell zum Klischee entwickelte, ohne tatsächlich analysiert zu werden – hat der Maler Georg Baselitz mit klaren Worten benannt: ‚Im Westen gab es Abstraktion, im Osten Realismus.‘ Auf der Ebene von offzieller Politik, Vorschriften und der nationalen Förderung der Künste wurde in der Tat eine strenge Linie zwischen diesen beiden Seiten gezogen, da man in den Vereinigten Staaten die Abstraktion als Ausdruck demokratischer Freiheit feierte und in der Sowjetunion leicht lesbare, erbauliche Bilder von Arbeit und gesundem Leben im Kommunismus beauftragte. Diese institutionelle Geschichte aus diplomatischen Berichten und Museumskorrespondenzen hat die Kunstgeschichtsschreibung geprägt. Aber im Alltag der Künstler waren die Praktiken nur selten so festgelegt, wie es in den Diskursen über diese Praktiken der Fall war. Obgleich Kritiker bezüglich der historischen Notwendigkeit und der Definition von Abstraktion durchaus schulmeisterlich sein konnten, waren viele Künstler an dieser nicht als einem expliziten Programm oder am Ende der Malerei interessiert. Abstraktion als absolutes Diktat – wie im Falle von Ad Reinhardt – war selten, und einigen erschien dies völlig absurd.“[6]
Auf Deutschland – und seine Vergangenheit – bezogen, las sich das so:
„Die Deutschen mussten sich für eine Seite entscheiden: Osten oder Westen. Einige Kritiker zementierten die Kluft, indem sie kulturelle Eigenarten mit geografischen Regionen gleichsetzten. Im Osten förderte der Berliner Kulturmagistrat ein Menschenbild nach sowjetischem Vorbild, in dem die Kameraden solidarisch einer verheißungsvollen Zukunft entgegenstrebten, die ihnen der Sozialismus versprach. Das Menschenbild des Westens war ein anderes: Der Kapitalismus fördert nicht die aufgeschobene Befriedigung einer messianischen Weltsicht, sondern er funktioniert mit sofortiger Belohnung. Sein idealer ‚Mensch‘ ist das bürgerliche, liberale Individuum, zu dem ehemalige Nazis umerzogen werden mussten. Das bedeutet nicht, dass die Amerikanisierung Westdeutschland eingeschläfert hat, aber viele Deutsche begrüßten diese Möglichkeit, den Leichnam der Geschichte durch dessen Transsubstation in einen analgetischen Geist zu begraben. Wenn die darauffolgende Form der Moderne die Tapete war, war dies keineswegs zum Schlechten.“[7]
Gestern las ich einen Aufsatz, der dem ganzen noch eine Dimension hinzufügte, aber ich kann mich noch nicht entscheiden, ob die Autorin einen Aluhut im Bezug auf die CIA trägt; Haftmanns Engagement für die Abstraktion war mir bekannt, auch durch seine Mitarbeit an der documenta I:
„Da die Kunstgeschichtsschreibung die Moderne ursächlich mit dem Fortschrittsgedanken verknüpft, werden mit derartigen Zuweisungen [Westen abstrakt, Osten figurativ] in subtiler Weise Qualitätsurteile insinuiert. Als Folie, vor der die Artefakte zu betrachten sind, fungiert damit die Kunst des Westens; sie ist es, welche die gültigen Wertmaßstäbe setzt. Diese Wertmaßstäbe sind aber zugleich auch jene der Siegermächte. Hinlänglich bekant ist die Tatsache, dass die […] vermeintliche Vorherrschaft der Abstraktion im Westen eine gezielte Konstruktion der Geschichtsschreibung ist, woran sowohl der CIA maßgeblich beteiligt war, als auch einflussreiche Persönlichkeiten der Bundesrepublik, allen voran Werner Haftmann. Kulturpolitische Intentionen (Westintegration) und persönliche Ambitionen, die die Abstraktion als neue ‚Weltsprache‘ etablieren wollten (Werner Haftmann), arbeiteten erfolgreich Hand in Hand. Erhellend ist es, zudem in Erinnerung zu rufen, dass die westdeutsche Abstraktion als eine Ãœbernahme der US-amerikanischen Avantgarde ausgegeben wurde. Diese zum Sachverhalt konstruierte Deutungsbehauptung entbehrte jeglicher Evidenz, ließ sich aber dahingehend instrumentalisieren, dass die westdeutsche Abstraktion als bildhafter Ausdruck einer erfolgreichen, politischen Integrationsgeschichte gedeutet werden konnte.“[8]
Hofer nennt in ihrem Aufsatz zwei Bücher, die ich mir morgen vornehmen werde, denn sie stehen natürlich brav im ZI und warten auf meine wissbegierigen Fingerchen: Frances Stonor Saunders: The Cultural World War. The CIA and the World of Arts and Letters, New York 2000 sowie Serge Gilbaut: Wie New York die Idee der Modernen Kunst gestohlen hat, Amsterdam 1997.
1 Zuschlag, Christoph: „Die theoretischen Diskurse über moderne Kunst in der Nachkriegszeit“, in: Bambi, Andrea/Friedrich, Julia/Prinzing, Andreas (Hrsg.): „So fing man einfach an, ohne viele Worte.“ Ausstellungswesen und Sammlungspolitik in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 2013, S. 18–25, hier S. 18.
2 Ebd.
3 Dengler, Steffen: Die Kunst der Freiheit? Die westdeutsche Malerei im Kalten Krieg und im wiedervereinigten Deutschland, München 2010, S. 83.
4 Ebd., S. 85.
5 Enwezor, Okwui: „Zur Beurteilung von Kunst: Postwar und künstlerische Weltlichkeit“, in: Ders./Siegel, Katy/Wilmes, Ulrich (Hrsg.): Postwar. Kunst zwischen Pazifik und Atlantik 1945–1965, München/London/New York 2016, S. 20–41, hier S. 36.
6 Siegel, Katy: „Kunst, Welt, Geschichte“, in: Postwar 2016, S. 42–57, hier S. 48.
7 Heibel, Yule: „Deutschlands Suche nach dem neuen Menschenbild in der Nachkriegszeit“, in: Postwar 2016, S. 340–343, hier S. 343.
8 Hofer, Sigrid: „Die Macht der Macher oder Wie man Wirklichkeit in Ausstellungen konstruiert. Eine Kritik der Ausstellung ‚Kunst und Kalter Krieg‘ in Los Angeles, Nürnberg und Berlin 2009/2010“, in: Rehberg, Karl-Siegbert/Kaiser, Paul (Hrsg.): Bilderstreit und Gesellschaftsumbruch, Die Debatten um die Kunst der DDR im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, Berlin/Kassel 2013, S. 180–191, hier S. 184.