Nachtrag: mein Interview von Tanja Praske

Ich erwähnte es letzte Woche bereits, dass ich da drüben ein paar Fragen beantwortet habe. Weil ich so lange über die Antworten nachgedacht habe, kommen sie jetzt auch ins eigene Blog. Nochmal Danke für die Fragen an Tanja.

1. Stelle dich doch bitte kurz mal vor: Wer bist du? Was ist dein beruflicher Hintergrund? Und was machst du aktuell?

Ich wurde 1969 in Hannover geboren und habe nach dem Abitur verschiedenes gemacht. Erstmal ein Studium abgebrochen (Anglistik und Geschichte), dann im Kino gearbeitet (als Kartenabreißerin angefangen, als stellvertretende Leiterin aufgehört) und in einer Kneipe als Servicekraft und Zapferin; ich kann also super Filmrollen und Bierfässer wechseln.

Was ich noch gemacht habe: schreiben. Schon immer. In der Schule bei der Schülerzeitung, dann bei uns auf dem Dorf für die Lokalzeitung und schließlich kurz für die Hannoversche Allgemeine Zeitung. Dann fing mein bester Freund an, als Werbetexter zu arbeiten und erzählte mir, was er den ganzen Tag so macht. Ich meinte: Das kann ich auch. Er meinte: Dann mach doch. Und vier Wochen später hatte ich einen Praktikumsplatz in Hamburg. Daraus sind dann knapp 15 Jahre in der Werbung geworden, die letzten fünf davon als selbständige Texterin.

Das ist aber alles gefühlt ein anderes Leben. Seit fünf Jahren studiere ich in München Kunstgeschichte; den Bachelor habe ich im Sommer 2015 gemacht, derzeit schreibe ich an meiner Masterarbeit.

2. Du hast als freie Werbetexterin und Autorin fest im Sattel gesessen. Deine Auftraggeber waren große Firmen. Auch für die Zeit hast du geschrieben. Warum hast du damit „gebrochen“ und dich dem Studium der Kunstgeschichte hingegeben? Wie hat dein Umfeld darauf reagiert?

Als „Autorin“ habe ich mich höchstens mal fünf Minuten lang bezeichnet, nachdem ich mein Buch übers Dicksein veröffentlich hatte. Auch fürs Zeit-Magazin habe ich nur kurz arbeitet; Kochrezepte schreibe ich doch lieber flapsig ins Blog anstatt in einem Stil, der mir nicht liegt, auf Hochglanz. Ich kam mir dabei sehr schnell albern vor.

Werbung war eine feine Sache, aber nach 15 Jahren merkte ich, dass ich mich immer öfter wiederhole. Ich habe mich auf Autokataloge oder generell Katalogliteratur, also lange Texte statt knackiger Anzeigen, spezialisiert. Und auch wenn Autobauer sagen, dass jedes neue Auto das Nonplusultra ist, ist es eben doch immer wieder nur: ein Auto. Das heißt, ich schreibe über das Design, den Innenraum, den Motor, technischen Kram, fertig. Klar macht man für jede Karre eine andere Kampagne, spricht andere Käufer*innen an, denkt sich neue Textmechaniken aus, aber ich hatte trotzdem irgendwann das Gefühl, meinen Job nur noch auf Autopilot zu machen und immer genervter von meiner Langeweile zu werden. Ich wollte wieder etwas lernen, mich herausfordern, mich wieder anstrengen, über neue Dinge nachdenken.

Durch die Selbständigkeit hatte ich ein bisschen … okay, eine Menge Geld zur Seite legen können, und ich überlegte, ob ich einfach mal ein halbes Jahr lang aussetzen sollte, vielleicht reisen, mehr lesen, öfter in Museen gehen. Daraus entstand die Idee, nochmal zu studieren, also quasi ein dreijähriges Sabbatical zu machen und dann frisch und mit vielen neuen Einsichten wieder in die Werbung zurückzukehren. Ich habe nicht wirklich damit gerechnet, irgendwo angenommen zu werden, aber ich hatte drei Zusagen von vier Unis und habe mich schließlich für München entschieden. (Meine Immatrikulation in München habe ich verbloggt; dieser Eintrag ist einer der Greatest Hits im Blog.) Blöderweise habe ich bereits im zweiten Semester gemerkt, dass mir Studieren weitaus mehr Freude macht als Werben, weswegen ich nach dem Bachelor noch den Master drangehängt habe.

Mein Umfeld war geteilter Meinung: Alle Freund*innen und Kolleg*innen fanden es super, und von jeder zweiten kam ein Satz à la „Ach, ich wünschte, ich könnte das auch.“ Mein damaliger Lebensgefährte fand es eher doof, weil wir plötzlich eine Wochenendbeziehung hatten – unter anderem deswegen heißt der gute Mann jetzt leider auch „damaliger“ Lebensgefährte. Womit ich gar nicht gerechnet hatte: Mein Vater hat das erste und bis jetzt einzige Mal seine Papa-gibt-Töchterlein-wichtige-Lebensratschläge-Stimme aufgesetzt und mich versucht, davon abzubringen. Seine Argumente, die ich natürlich auch alle nachvollziehen konnte, waren das gute Geld, der sichere Job (Texter*innen werden so ziemlich überall gesucht, nur so als Tipp) und die alte Weisheit, dass Arbeit halt nicht immer Spaß macht. Mein einziges Argument dagegen, und ich halte es immer noch für wichtiger als alle anderen: Ich habe nur dieses eine Leben. Und jetzt gerade verfüge ich über das Geld und die Zeit, etwas zu machen, was ich machen möchte. Also mache ich das auch.

3. Wie finanzierst du dich und das Studium? Arbeitest du noch als Texterin? Was sind deine kurzfristigen Ziele?

Ich gönne mir seit fünf Jahren den Luxus, fast ausschließlich von meinen Ersparnissen zu leben, die jetzt aber auch so gut wie aufgezehrt sind. Anfangs habe ich noch nebenbei getextet, das aber schnell gelassen. Der naive Plan, der sich schon im ersten Semester erledigt hatte, war: 20 Stunden die Woche für die Uni, 20 Stunden texten. Ich merkte aber schnell, dass ich auf Autotexten sowas von überhaupt keine Lust habe, wenn mein Kopf gerade über Kathedralen nachdenkt. Und da ich nicht wirklich arbeiten musste, habe ich irgendwann alle Jobs abgesagt und nur noch studiert. Das war ein großes Geschenk, das man vermutlich erst zu schätzen weiß, wenn man 15 Jahre lang sinnlose Meetings überlebt hat. Ich habe mich jedenfalls oft gefragt, wieso ich mit 20 Studieren so langweilig fand, während ich heute nichts lieber tun würde als noch zu promovieren und weiter über Kunst nachzudenken.

Ich erwähnte meine Spezialisierung auf Autokataloge. Das sind langfristige Projekte, die (zumindest damals vor fünf Jahren, als ich den letzten geschrieben habe) zwischen sechs und zwölf Monate dauerten. Deswegen wurde ich als Texterin auch nicht mal eben für drei Tage, sondern eher für drei Wochen oder sogar Monate gebucht. Das war zum Geldverdienen sehr schön, aber als Job neben dem Studium ging es leider nicht. Oder ich hätte meine Ansprüche an mich selbst herunterschrauben müssen, denn damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet – wie gerne ich in der Bibliothek sitze und stundenlang vor mich hinlese. Und wie gerne ich eben nicht nach den ersten Erkenntnissen sage, so, fertig, das schreiben wir runter und dann gehen wir in den Biergarten, sondern stattdessen sage, ja, das klingt gut, aber lass mal gucken, ob wir noch eine Gegenstimme finden. Und natürlich finde ich eine und kann weiter stundenlang lesen. Ich kann aber nicht entspannt lesen, wenn ein Katalog geschrieben werden muss, und ich kann keinen guten Katalog schreiben, wenn ich lieber in der Bibliothek wäre. Also habe ich mich für eins von beiden entschieden.

Eines meiner kurzfristigen Ziele wäre, beides wieder zu verbinden, aber schlauer als in den Anfangssemestern, wo ich schlicht genug damit zu tun hatte zu verstehen, was Studieren und wissenschaftliches Arbeiten überhaupt bedeuten. Wie gesagt, ich würde gerne noch promovieren, muss aber dringend mal wieder das Konto auffüllen. Bis ich ein eventuelles Stipendium bekomme, würde ich wieder werben wollen, aber vielleicht nur drei oder vier Tage die Woche – die anderen wäre ich komplett unerreichbar, weil ich in meiner Lieblingsbibliothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte sitze und selig ein Buch nach dem anderen verschlinge.

4. Du hast 2015 zwei spannende Semesterarbeiten verfasst über a) Heimatbezug in Blogs und auf Instagram, und b) Open Access, wissenschaftliches Bloggen und Software als Chance für Kunsthistoriker. Wie schätzt du die Entwicklung der Digitalen Kunstgeschichte ein? Diese ist sehr vielfältig mit neuen Forschungsrichtungen, die nicht nur etablierte Kunsthistoriker verunsichern. Muss es das? Wo liegen für dich die Chancen und Risiken des Digitalen für die Forschung?

Die Chancen habe ich ganz gut in der Hausarbeit zu Open Access zusammengefasst, daher hier nur einige Aspekte, die mich persönlich betreffen. Durch wissenschaftliches Bloggen zum Beispiel zwingt man sich, öfter über sein Thema nachzudenken und macht es sichtbar. Durch das Blog sind Menschen auf mich aufmerksam geworden, mit denen ich gar nicht gerechnet hätte: Ich habe über meine Hausarbeit zu Anselm Kiefer geschrieben, über den ich jetzt auch meine Masterarbeit schreibe, und wurde von der Albertina eingeladen, ihre Kiefer-Ausstellung als Pressevertreterin anzuschauen – also schön ohne Publikum, das vor den Bildern rumsteht. Alleine für diese (bezahlte) Reise hätte sich das Bloggen schon gelohnt, aber auch das Art Centre Basel ist auf mich aufmerksam geworden und hat mich um einen längeren Katalogbeitrag gebeten; der Katalog erscheint im Mai.

Ich habe also durch mein Blog meinen ersten ernstzunehmenden kunsthistorischen Auftrag bekommen. In der ersten Mail des Art Centres stand ein schöner Satz, über den ich mich immer noch freue: „Ich mag Ihren klaren Schreibstil, gerade auch bei den akademischen Texten für die Uni.“ Den habe ich mir eher durch Werbung und Bloggen erarbeitet als durch die Uni, kann ihn aber anscheinend auch wissenschaftlich umsetzen.

Publizieren ist natürlich nicht alles. Auch in der Forschung sehe ich eher Chancen als Risiken durch das Digitale, denn es ermöglicht uns, Fragen zu stellen, die wir ohne die neuen Hilfsmittel nicht gehabt hätten oder nicht beantworten könnten. Hier sehe ich aber auch meine ganz persönliche Grenze. In meiner Bachelorarbeit habe ich mich mit digitalen Architekturmodellen im Vergleich zu klassischen Architekturdarstellungen auseinandergesetzt. In der Architektur macht das Digitale immer noch am meisten für mich Sinn – in den anderen Bereichen der Kunstgeschichte hadere ich inzwischen ein bisschen damit. Wenn ich mir die Angebote zu digitaler Kunstgeschichte an meiner Uni anschaue, nehme ich sie entweder als Marketing für Museen wahr (z.B. App-Entwicklung), als neue, bildliche Dokumentationsform (gescannte Deckengemälde statt fotografierte) oder als sehr nah an der Informatik. Ich finde es spannend, als Kunsthistorikerin mehr übers Coden erfahren zu können, aber ich frage mich, warum man dafür Kunstgeschichte studieren soll. Für derartige Problemstellungen gibt es ja Informatikerinnen, die ich fragen kann.

Ich stehe Studiengängen wie Digital Art History oder Digital Humanities ein wenig kritisch gegenüber, weil ich einen Studiengang Analoge Kunstgeschichte auch nicht belegen wollen würde, beides zusammen aber für sehr sinnvoll halte. Für mich sind die neuen digitalen Möglichkeiten erst einmal Arbeitsmittel, genau wie Kugelschreiber und Notizblock, und keine Forschungsrichtung, in die ich gehen will – auch weil ich die Beschäftigung mit dem digitalen Bild eher bei den Bildwissenschaften oder den Visual Studies sehe als in der guten, alten Kunstgeschichte. Wobei ja seit Jahren diskutiert wird, diese Fächer alle unter einen Hut zu bekommen. Ich persönlich bleibe bei der Geschichte, freue mich aber, dass mein Fach auf einmal irre modern ist.

5. Was ist dein Themenschwerpunkt in der Kunstgeschichte? Was fasziniert dich daran? Was glaubst du, damit beruflich anfangen zu können bzw. was sind deine Ziele?

Meine Masterarbeit beschäftigt sich mit dem Frühwerk von Markus Lüpertz und Anselm Kiefer, ich bewege mich also Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre. Ich vergleiche den Umgang der beiden Künstler mit der nicht-bewältigten NS-Vergangenheit der jungen Bundesrepublik. In den Semestern davor habe ich viel zur Kunst des Nationalsozialismus gearbeitet. Mich interessiert dabei weniger die Kunst, die in dieser Zeit entstand, sondern, unser Dozent drückte es so schön aus, das „Betriebssystem Kunst“. Also wie funktioniert Kunst in einer Diktatur im Gegensatz zu einer Demokratie? Welche Rolle spielten neben den Künstler*innen Auktionshäuser, Museen, Kunstvereine, der Staat, die Kunstgeschichte oder die Kunstkritik?

Mein Nebenfach im Studium war Geschichte, und je länger ich studiere, desto mehr merke ich – das klang in der letzten Frage schon an –, dass mich das „-geschichte“ einen Hauch mehr interessiert als das „Kunst-“.

Ob ich jemals etwas damit anfangen kann, weiß ich nicht. Für eine klassische Kunsthistorikerinnenkarriere bin ich schlicht zu alt, und ehrlich gesagt will ich auch nicht mehr für einen Volontärshungerlohn arbeiten; die Summen, die ich in Stellenausschreibungen sehe, grenzen für mich an Unverschämtheit für jemanden, der eine fünfjährige Ausbildung hinter sich hat. Ich hoffe darauf, dass eine kulturelle Institution oder Agentur mit einer nicht-klassischen Kunsthistorikerin zusammenarbeiten möchte, die zwar keine 25 mehr ist, aber dafür einen Riesenberg an Enthusiasmus und Lebenserfahrung aus diversen Bereichen mitbringt. (Ich kann auf der Weihnachtsfeier die Bierfässer wechseln!) Ich habe durchaus Ideen, wie man Museumsmarketing, Social-Media-Aktivitäten, Besucherbespaßung und wissenschaftliche Forschung in einem Haus gestalten könnte, die meine Kenntnisse aus dem Studium mit denen aus der Werbung verbinden.

Ich ahne aber, dass ich mir diesen Job selbst backen muss und dass einige Museen eventuell kein Geld für ihn haben werden. Mal sehen. Ich mache jetzt meine Masterarbeit fertig, überdenke mein Promotionsthema, bewerbe mich um Stipendien und dann gucke ich, wie’s weitergeht.

6. Du bloggst seit 2002 auf www.ankegroener.de. Ein Weblog im ursprünglichen Sinne, das heißt es ist ein Webtagebuch. Du schreibst das, was dich an dem Tag beschäftigt hat, ins Web. Deine Themen sind sehr vielfältig und aktuell konzentriert auf: Kunstgeschichte, Zeitgeschehen, FC Bayern, Food und Filmkritiken. Ich kann das gar nicht alles auflisten. Hat sich das Bloggen, die Art und Weise, das Reden darüber seit deiner Podiumsdiskussion auf der re:publica 2011 nennenswert verändert?

Ich habe 2002 mit Filmkritiken angefangen, inzwischen gehe ich kaum noch ins Kino, daher ist das kein Thema mehr für mich. Auch über Fußball schreibe ich meist nur, wenn ich die Qualität von Stadionwürstchen vergleiche (der FC Augsburg gewinnt knapp vor Altona 93). Aber im Prinzip hast du recht: Ich schreibe darüber, was mich beschäftigt. Das war in den letzten Jahren hauptsächlich der große Umbruch in meinem Leben: ein neuer Job, wenn man das Studium so bezeichnen möchte, eine neue Stadt, eine andere Wohnung, ein neuer Mann an meiner Seite und eine deutlich unsichere Zukunft als vorher – und davon war nur das Studium geplant, der Rest ist eben passiert.

Um mir selbst über einiges klar zu werden und vor allem, um nicht zu vergessen, was sich gerade alles ändert und wie es mich beeinflusst, habe ich angefangen, wieder ganz klassisch Tagebuch zu schreiben, wie 2002. Jeden Tag. Inzwischen nenne ich die Einträge „Was schön war“, um mich bei allem Durcheinander vor allem daran zu erinnern, was die Tage gut gemacht hat. Und das war manchmal eben mein Mittagessen oder ein Bayernsieg.

Ob sich das Bloggen verändert hat, ist schwierig zu sagen, weil ich nicht mehr viele Blogs lese und auch die Diskussionen um dieses Medium nicht mehr aktiv verfolge (Oma Gröner hat schon alles gesehen). Früher hatte ich mindestens 50 Blogs, die ich jeden Tag angeklickt habe, heute sind es fünf, die Pflicht und Vergnügen sind. Ich lese außer diesen wenigen nur noch ausgewählte Artikel, auf die mich Twitter oder Facebook aufmerksam machen.

Generell sind mir Blog-Moden immer egaler geworden; die Diskussionen, ob man mit Blogs Geld verdienen darf oder muss, ob man Werbung schalten darf oder muss, ob man Kommentare haben darf oder muss – ist mir alles egal. Ich schreibe für mich, und anscheinend wollen es Menschen lesen, was mich freut. Siehe nächste Frage.

7. Warum gibt es bei dir keine Kommentarfunktion? Wie kommen deine Leser mit deinem „Themen-Bauchladen“ klar? Berührt dich das überhaupt, ob sie damit klarkommen? Was bedeutet dir das Bloggen?

Meine Leser*innen kommen mit meinem Bauchladen ganz hervorragend klar. Die Zugriffszahlen sind seit Jahren halbwegs konstant, ganz egal, worüber ich schreibe. Mit den Filmkritiken ging’s los, dann kam irgendwann Pärchenkram dazu, dann habe ich angefangen, Golf zu spielen, worüber ich seitenlang bloggen musste (ich habe nie wieder so viele Mails zu einem Thema bekommen und der Tenor der meisten war: Das interessiert mich überhaupt nicht, aber ich lese es trotzdem!), dann fing ich an, anständig zu kochen und mich für Wein zu interessieren, dann kamen Fat Acceptance und Feminismus und schließlich Kunstgeschichte. Und selbst das lesen die Leute, was mich natürlich freut. Eine meiner Lieblingsmails zu diesem Thema lautete – ich zitiere ausschnittsweise:

„Es macht mir großen Spaß, regelmäßig die Einträge zu lesen und dabei fast jedesmal etwas spannendes zu lernen […] [Ich] hatte mich bisher nicht für Kunstgeschichte und Kunst im spezielleren (also mehr als im Urlaub mal durch ein Museum schlurfen, um die Bilder anhand ihrer Farbigkeit zu loben und noch aus dem Schul-Kunstunterricht erhalten gebliebenes gefährliches Halbwissen -> „van Gogh, das war doch der mit dem Ohr?!?“ o_O…) interessiert. Seit die Freundin und ich das Blog lesen, behaupten wir bei jedem porösen Gesteinsanteil älterer Bauwerke vehement, dass das Nagelfluh ist (soll erstmal einer das Gegenteil beweisen, haha […], wollen auch dringend mal in dieses ZI [Zentralinstitut für Kunstgeschichte] und dort alles bewundern und ich hab zumindest die eine Wissenslücke geschlossen, dass Guernica nicht (nur) ein Lied der Manic Street Preachers ist.“

Es freut mich sehr, dass meine Begeisterung für mein Fach auch auf Menschen überspringt, die damit eigentlich nichts am Hut haben. Ein größeres Kompliment kann man meinen Texten nicht machen. Trotzdem brauche ich nicht unter jedem Eintrag Beifall (oder auch Schulterzucken oder Kritik), gerade wenn ich über sehr persönliche Dinge schreibe. Menschen, die mir daraufhin etwas mitteilen möchten, schreiben mir Mails oder sprechen mich auf Twitter an, und das sind meistens sehr sinnvolle oder hilfreiche Anmerkungen. Hassmails bekomme ich extrem wenige und wenn, dann garantiert bei Themen wie Feminismus oder Fat Acceptance; das scheinen immer noch ganz fürchterliche Aufreger zu sein, obwohl beide unser Zusammenleben um so vieles einfacher machen würden.

Ich habe seit 2005 keine Kommentare mehr im Blog und es hat weder die Zugriffszahlen verändert noch die Wahrnehmung meines Blogs. Ich persönlich mag die Ruhe unter den Einträgen sehr gerne und lese auch äußerst selten in anderen Blogs Kommentare, geschweige denn auf Nachrichtenseiten. Vielleicht mag ich auch deshalb das Lesen in der Bibliothek so gerne: Ich kann mich auf die Stimme einer Autorin konzentrieren und stehe nicht mitten in einer Kakophonie aus Meinungen. Ich muss allerdings gestehen, dass mir bei den kunsthistorischen Einträgen ein fachlicher Austausch schon manchmal fehlt. Das hatte ich vorher bei keinem anderen Thema.

Bloggen bedeutet für mich vor allem, eine Meinung zu haben. Oder eine Stimme. Natürlich könnte ich meine ganzen schönen Erkenntnisse über die Städtische Galerie Rosenheim (die mit dem Nagelfluh im Portikus) auch in ein nicht-öffentliches Dokument schreiben, aber dann würden mindestens zwei Leute nicht wissen, wie beeindruckend Picasso ist.

8. Mich interessieren naturgemäß vor allem deine kunsthistorischen Texte bzw. dein Schreiben über Kunst. Hier mag ich auch sehr gerne deine Favorite Entries im Archiv. Fließen Ideen daraus in deiner wissenschaftlichen Arbeit mit ein, oder ist es eher ein befreiendes Brainstorming und Verarbeiten einer anderen Ideenwelt? Werden diese Texte genau so viel gelesen wie deine anderen? Bei mir explodieren die Zugriffe auf Beiträge über die ultimativen Blogger- oder Social-Media-Tipps, während Ausstellungs-/Museumsbesprechungen generell weniger gelesen werden. Aber mein Blog ist anders aufgebaut als deines. Trotzdem, ist das bei dir ähnlich oder anders, weil deine Leserschaft eine andere ist? Du schreibst „Tagesberichte“ und lässt die Leser nah an deine Gedanken- und Gefühlswelt heran.

Ich weiß nicht genau, welche Einträge mehr Zugriffe bekommen als andere, ich ahne es nur anhand der Reaktionen darauf. Ansonsten habe ich einen schraddeligen Umsonst-Counter auf der Seite, nicht mal Google Analytics, weil es mir eher wurscht ist, wer was liest und woher jemand dabei kommt. Anscheinend lesen irgendwelche Menschen meine Texte, schicken nette Mails oder Amazon-Päckchen oder haben durch meine Begeisterung wieder mehr Motivation fürs eigene Studium. Das reicht mir als Bestätigung und als Ansporn, weiter zu schreiben.

Ich weiß, das klingt immer wie Pseudo-Bescheidenheit oder gleichgültige Lässigkeit, aber ich schreibe in erster Linie für mich, um meine Entwicklung festzuhalten. Da ich aber öffentlich schreibe, habe ich natürlich meine Leserschaft im Hinterkopf. Das heißt, ich schreibe so, dass es lesbar, spannend, interessant, unterhaltsam ist. Das heißt auch, dass ich über manches nicht schreibe, weil es den Rest der Welt schlicht nichts angeht. Ich mache aber auch viel Persönliches öffentlich, weil ich weiß, dass ich mit kaum einer Gefühlsregung alleine auf der Welt bin. Ich habe von persönlichen Blogs in den letzten 15 Jahren so viel gelernt, bin auf so viele Themen gestoßen oder habe Hilfe erfahren, dass ich einfach etwas zurückgebe.

Deswegen bin ich auch überhaupt kein Fan von Blogs, die auf Teufel komm raus etwas von mir wollen oder mir erzählen, wie ich mein Leben zu leben habe. Dazu gehört auch „10 Tipps, wie Museen soziale Medien besser nutzen können“ oder ähnliches, weil jedes Museum anders ist, eine andere Zielgruppe hat und vielleicht auch einfach auf Snapchat verzichten kann, ohne dass die Welt untergeht. Das ist jetzt keine Kritik an speziell deinen Listen – jede*r sollte schreiben, worauf er oder sie Lust hat, das ist ja das Tolle am Bloggen –, aber ich persönlich überfliege das meist ohne großen Erkenntnisgewinn. Gerade solche Listen wie „10 Dinge, die jedes Museum auf Instagram machen sollte“ rufen bei mir nur Augenrollen hervor. Macht auf Instagram, was ihr wollt – außer vielleicht als große Institution miese Fotos zu posten, wenn ihr euch schon auf einer Fotoplattform bewegt. Aussagen wie „10 Dinge, die in jeder Werbeanzeige vertreten sein sollten“ würde auch niemand ernstnehmen, weil klar ist, dass jedes Produkt einen einzigartigen Auftritt haben muss.

Tipps wie „Beteiligen Sie sich am #lampenmittwoch und am #treppenhausfreitag, weil das Ihrem Publikum zeigt, dass Sie das Medium verstanden haben“ machen mich irre. Nach 20 Leuchtmitteln im Stream habe ich eh vergessen, zu wem jetzt welche gehören. Nebenbei ist es mir als eventuelle Besucherin eures Hauses auch ziemlich egal, wie bei euch die Beleuchtung aussieht. Vor allem die in der Kantine. (Die Alte Pinakothek darf von mir aus aber gerne jeden Freitag Hans Döllgasts irrwitzige Treppe herzeigen.)

Ich würde mir von jedem Museum einen persönlichen Stil wünschen, sowohl inhaltlich als auch in der Bildauffassung und beim Text. Aber das kostet natürlich Zeit und Geld und die geistige Arbeit für ein Konzept und die haben viele Institutionen für Social Media nicht. Dann frage ich mich, ob man es nicht lieber lassen sollte, diese Medien weiter halbgar zu bespielen, nur um irgendwie dabei zu sein.

Zurück zu meinem Blog: Meine Texte über Kunst dienen mir gerne als Verlaufskurve, gerade wenn ich länger an einem Thema knabbere. In den vergangenen zwei Semestern habe ich mich mit dem Maler Leo von Welden (1899–1967) beschäftigt, der in der Nähe von Rosenheim gelebt hat. Mir war am Anfang der Arbeit noch überhaupt nicht klar, welche Fragen ich an sein Werk hatte, und mir hat es sehr geholfen, einfach runterzuschreiben, was ich am jeweiligen Tag gelernt oder gelesen hatte – und zwar so, dass meine Leser*innen es nachvollziehen können. Besonders geliebt habe ich die Archivarbeit – das wusste ich vorher auch nicht, dass ich neben bergeweise Büchern auch wirklich gerne bergeweise alte Akten und Aufzeichnungen lese. (Falls irgendeine Münchner Institution mal ihre Geschichte aufgearbeitet haben möchte – Mail an mich!) Auch dazu gab’s natürlich Leserpost, je mehr ich über von Welden herausfinden konnte: „Die Recherchen für Ihre Hausarbeit sind spannender als jeder Krimi!“

Meist entstehen beim Aufschreiben fürs Blog konkretere Gedankengänge zu einem Thema. Dinge etwas flapsiger und mit einer unbekannten Leserin statt dem Dozenten im Hinterkopf aufzuschreiben, der eh alles weiß, hat mir bisher immer geholfen.

9. Museumsfrage: Du hast kürzlich sehr differenziert über die neue Online-Sammlung der Pinakotheken geschrieben. Es ist richtig, dass Museen ihre Sammlungen digital verfügbar machen. Dabei ist es in meinen Augen kein Beinbruch, wenn am Anfang nicht alles perfekt ist. Wo siehst du die Aufgaben von Museen im digitalen Raum? Was ist sinnvoll, was weniger bzw. was wünschst du dir von Museen, auch gerne ganz analog?

Da ähnelt meine Antwort dem Satz, den ich eben schon aufgeschrieben habe: Jedes Museum ist anders. Daher kann ich kaum generell sagen, was jedes Museum für mich tun soll. Ich teile mich zudem auch gerne in zwei Persönlichkeiten: die Kunsthistorikerin, die mit einem Detektivblick durch die Räume geht, und die Besucherin, die gerne zwischendurch mal sitzen und Kaffee trinken möchte. Obwohl, hey, das ist eine Anforderung an alle Museen: SOFAS! Das kunsthistorische Museum in Wien ist wundervoll und ich habe nach meinem Besuch ewig allen Interessierten davon vorgeschwärmt, aber was bei allen hängengeblieben ist, ist: DIE HABEN DA SOFAS!

Ganz generell erwarte ich von Museen, dass sie mich darüber informieren, was man bei ihnen sehen kann. Klingt so simpel, aber bei vielen Museumswebsites fühlt es sich so an, als sollten die Besucher doch bitte froh sein, dass überhaupt die Öffnungszeiten zu finden sind. Als Kunsthistorikerin hätte ich gerne die ganze Sammlung, als Besucherin wenigstens ein paar Meisterwerke (oder was immer die betreffenden Kurator*innen dafür halten). Meine Mutter fragte mich neulich, ob ich wüsste, ob was von Lüpertz oder Kiefer im Hannoverschen Sprengel-Museum hinge, damit sie sich mal angucken könne, womit sich das Kind so beschäftigt. Und das konnte ich ihr nach dem Besuch der Website leider nicht sagen.

Ich weiß, dass Abbildungen schwierig sind, aber eine Datenbank aus MuseumPlus generiert, die wenigstens den Titel des Werks und ob es ausgestellt ist, ausspuckt? Ist das möglich? (Wenn ich jetzt digitale Kunstgeschichte studiert hätte, wüsste ich das vielleicht selber.)

Ich wünsche mir von Museen außerdem, dass sie nicht jeder App besinnungslos hinterherhecheln, und dass sie, im Bemühen, die jungen hippen Digital Natives abzuholen, nicht ihre Stammkundschaft vergessen, die vielleicht lieber ein Faltblatt als ein Tablet in der Hand hat und sich vor dem Besuch auch keine Führung aufs iPhone laden möchte. Trotzdem erwarte ich eine Neugier auf neue Medien und die Möglichkeiten, die sie bieten, aber das erwarte ich eigentlich in jedem Lebensbereich. Eine Bank, bei der ich persönlich vorbeikommen muss, um eine Überweisung zu tätigen, oder einen Autohersteller, bei dem ich mir einen Katalog nicht online herunterladen kann, kann ich nicht ernstnehmen.

Zu guter Letzt wünsche ich mir mehr Forschung zur eigenen Sammlung und eine publikumswirksame Aufbereitung (vielleicht in einem Blog, hint, hint). Aber das mag ein sehr persönliches Interesse sein. Dieser Promotionsstudiengang der Leuphana-Universität klingt für mich wie das Paradies, und wenn wir sowas in München hätten, würde ich dafür vor der Studierendenkanzlei campieren. (Alternativ vor dem Lenbachhaus oder der Pinakothek der Moderne.)

10. Dein Lebensmotto für die LeserInnen: Was möchtest du ihnen mitgeben?

In den letzten fünf Jahren, die mein Leben gehörig durcheinander gebracht, aber mich definitiv zu einem glücklicheren Menschen gemacht haben, dachte ich oft an einen Satz von Arthur Ashe: „Start where you are. Use what you have. Do what you can.“ Das hat mir bei Trennungsschmerz, Prüfungspanik und Zukunftsangst bis jetzt sehr gute Dienste geleistet. Geh einfach los, mit allen Talenten, die du hast, und streng dich an. Du wirst schon irgendwo ankommen.