Master and Commander
Master and Commander: The Far Side of the World
(Master and Commander: Bis ans Ende der Welt, USA 2003)
Darsteller: Russell Crowe, Paul Bettany, Billy Boyd, James D’Arcy, Edward Woodall, Chris Larkin, Max Pirkis, Lee Ingleby
Musik: Klaus Badelt, Iva Davies, Christopher Gordon, Richard Tognetti
Kamera: Russell Boyd
Drehbuch: Peter Weir & John Collee, nach den Romanen von Patrick O’Brian
Regie: Peter Weir
Was macht eigentlich ein Epos aus? Für mich ist ein Epos ein Film, der meist einen historischen Hintergrund hat und der eine relativ klar strukturierte Geschichte erzählt, in deren Verlauf viele kleine menschliche Begebenheiten aus eben dieser klaren Geschichte ein ganzes Panorama zeichnen.
Master and Commander ist ein Epos. Und was für eins.
Der historische Hintergrund des Films sind die napoleonischen Kriege. Es geht um das englische Kriegsschiff HMS Surprise, das den Auftrag hat, das französische Schiff Archeron zu stoppen. Vor der Küste Brasiliens liefern die beiden Schiffe sich ein Gefecht, das die Surprise verliert. Aber anstatt nun geschlagen nach England zurückzukehren, lässt Kapitän Jack Aubrey (Russell Crowe) sein Schiff auf See reparieren und nimmt die Verfolgung der Archeron auf.
Master and Commander erzählt von dieser Verfolgungsjagd, aber eigentlich rückt diese Geschichte in den Hintergrund; viel eher erzählt der Film vom Leben an Bord. Wir begegnen mehreren einzelnen Charakteren, von denen jeder eine Art Blaupause für viele ist. Der Offizier, dem seine Männer keinen Respekt entgegenbringen. Der kleine Junge, der durch seine adlige Abstammung einen höheren Rang einnimmt als Männer, die doppelt so alt sind wie er. Der Koch, der weiß, dass er eine kleine Sonderstellung an Bord hat. Die Mannschaft, von denen jeder einzelne weiß, dass er sein Bestes geben muss, damit niemand zu Schaden kommt. Und natürlich der Kapitän, der stets ein Vorbild sein muss, der aber auch für Disziplin sorgen und daher manchmal sehr unpopuläre Entscheidungen treffen muss.
Allein die Tatsache, dass die Surprise nicht nach Hause zurückkehrt, ist eine solche Entscheidung; ebenso die Tatsache, dass man sehenden Auges einem Feind entgegentritt, der stärker und besser ausgerüstet ist als man selbst. An Bord gibt es nur einen, der es wagt, dem Kapitän ab und zu zu widersprechen: Stephen Maturin, der Schiffsarzt (Paul Bettany), der ebenfalls ein Sonderling an Bord ist. Als Nicht-Seemann ist er allerlei Späßen ausgesetzt, die er aber gutmütig und anscheinend fasziniert von der menschlichen Natur hinnimmt.
Aus der Dynamik dieser beiden Männer ergibt sich die Spannung, die den ganzen Film durchzieht und aus ihm mehr macht als ein reines Seefahrer-Abenteuer. Während der Kapitän Schlagworte wie Vaterland, Stolz und Disziplin im Munde führt, ist der Arzt eher ein Forscher, ein Denker, jemand, dem sein Vaterland ziemlich egal ist, wenn er knietief im Blut stehend seine Mannschaft verarztet. Sein Verständnis von Fortschritt und Humanität ist ein anderes als das des Kapitäns, und obwohl die beiden Männer alte Freunde sind, ist klar, wer an Bord das Sagen hat und wer stets zurückstecken muss.
Was sich anhört wie eine simple Charakterstudie, ist mehr. Beide Männer überraschen den Zuschauer mit Regungen, die wir nicht erwartet haben. Ab und zu entdeckt man unter der strengen Schale des Kapitäns eine sehr weiche Seite, sei es beim Geigenspiel oder als er einem verletzten Jungen ein Buch ans Krankenlager bringt und ihm erzählt, dass es einige sehr hübsche Illustrationen zu bieten habe. Genauso kommt beim Arzt, der sich deutlich gegen die Mission des Kapitäns ausspricht, auf einmal ein Pflichtgefühl durch, das ihn dazu bringt, seine eigenen Wünsche für das Wohl der Gemeinschaft zurückzustellen.
Master and Commander lebt von seiner unaufdringlichen, aber eindrucksvollen Inszenierung. Man wird nicht mit üppigen Geigen zugeschmettert, und die Kameraarbeit ist fast altmodisch gradlinig. Man könnte erwarten, dass einem nach 20 Minuten der Anblick von Holzplanken, Großsegeln und Wasser, Wasser, Wasser langweilig wird. Dem ist aber nicht so. Die ruhige Kamera sorgt sowohl für atemberaubende Weiten als auch für sehr intime Blicke in die Gesichter und Herzen der Charaktere. Außerdem ist es Kameramann Russell Boyd gelungen, durch viele verschiedene Perspektiven ein sehr ausführliches Bild vom Schiff zu zeichnen. Man bekommt ein sehr gutes Gefühl für die Surprise und verliert sich so nie an Bord, wobei der Detailreichtum des Sets und die vielen kleinen Gesten und Handlungen der Mannschaft den Eindruck noch vervollständigen.
Aber bei aller Liebe zur Story und zur Ausstattung – was Master and Commander so außergewöhnlich macht, sind seine Darsteller. Russell Crowe ist für mich einer der wenigen Schauspieler, der durch seine reine Präsenz beeindruckt. Ich habe bei ihm nie das Gefühl, dass er spielt; im Gegenteil, ich nehme ihm jede seiner Rollen ab, weil er mindestens einmal in jedem seiner Filme diesen zwingenden Gesichtsausdruck draufhat, der mir sagt: Das hier ist kein Spaß. Crowe spielt den Kapitän nicht nur, er ist es. Jeder Blick von ihm kommandiert ein ganzes Schiff – und die Zuschauer. Man glaubt ihm einfach, was er tut und sagt, ohne dass er uns erklären muss, warum.
Paul Bettany als sein Gegenpart Stephen beeindruckt durch eine leicht spöttische Zurückhaltung, die seinen Sinneswandel in Richtung Pflichtgefühl umso dramatischer macht. Beide zusammen ergeben ein perfektes Gespann, dem wir atemlos und gleichzeitig voller Vertrauen um die halbe Welt folgen.
Master and Commander ist ein altmodischer Film. Er lässt sich Zeit, um seine Geschichte zu entwickeln, er führt uns erst in alle Gepflogenheiten an Bord ein, bevor er langsam an Dramatik zunimmt, und immer, wenn man glaubt, jetzt kommt ein bisschen Tempo in den Film, geschieht genau das Gegenteil. Die Story läuft zwar zwingend auf die erneute Auseinandersetzung mit der Archeron hinaus, aber auf dem Weg dahin haben wir genug Gelegenheit, uns an Bord umzusehen. Der Film besteht eher aus vielen einzelnen Momenten als aus einer langen Geschichte. Aber genau das macht ihn zum Schluss beim großen Gefecht so mitreißend – alle an Bord sind uns inzwischen ans Herz gewachsen, und ganz plötzlich entfaltet sich die Hingabe der Mannschaft an ihren Kapitän und seine Mission in ihrer ganzen epischen Breite. Und auf einmal wird man fast selbst zum Teil der Mannschaft, fiebert mit, leidet mit, erlebt mit, während man vorher nur ein Zuschauer, ein Gast an Bord war. Und deswegen fällt es einem zum Schluss sehr schwer, sich von dieser Mannschaft zu verabschieden, mit der man so viel mitgemacht hat. Ein ganzes Epos, um genau zu sein.
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Anke am 13. March 2005