Was schön war, Dienstag, 23. Mai 2017 – Duh

Pünktlich um 9 saß ich im ZI, denn diese Woche ist Himmelfahrt, wo mein geliebtes zweites Zuhause fieserweise geschlossen ist, weswegen ich von Montag bis Mittwoch durcharbeiten wollte. Dann lasse ich die Arbeit Donnerstag in Ruhe, wobei mein Kopf ja eh weiterdenkt, und mache Freitag noch einen entspannten Ausklang.

Ich hatte gehofft, den Kiefer-Teil in dieser Woche wenigstens bis zum First Draft zu prügeln, aber ich weiß noch nicht, ob ich das schaffe. Gestern verbrachte ich nämlich vier Stunden mit … ja, mit was eigentlich? Eins der ersten Werke, die ich von Kiefer beschreibe, ist die Fotostrecke Besetzungen, die er schon 1969 als studentische Abschlussarbeit erstellt hatte, die aber erst 1975 veröffentlicht wurde, in einem Magazin namens Interfunktionen, das danach den Betrieb einstellen musste, weil alle Anzeigen zurückgezogen wurden und alle Künstler*innen, die für die Gestaltung zugesagt hatten, auch nicht mehr wollten. In Besetzungen inszeniert sich Kiefer, indem er sich in der Schweiz, in Italien und in Frankreich teilweise vor schicken Bauwerken wie dem Kolosseum, teilweise irgendwo am Vesuv fotografieren lässt, manchmal in einer Armeehose, machmal im Anzug. Das einzig wirklich Aufregende ist, dass er auf jedem Bild den Hitlergruß zeigt. Das kam 1975 nicht wirklich gut an, und damit endete die Geschichte von Interfunktionen. Marcel Broodthaers zog seine Beteiligung am Magazin mit der Frage zurück: „Who’s this fascist who thinks he’s an antifascist?“ [1]

Die Fotos, die in Besetzungen verwendet werden, nutze Kiefer 1969 noch drei weitere Male und zwar in Büchern: Heroische Sinnbilder I und II sowie Für Jean Genet (manchmal auch nur Für Genet genannt, ich habe den richtigen Werktitel noch nicht rausgefunden. Irgendwann werde ich würfeln). Über die Sinnbilder und Besetzungen gibt es ein sehr ausführliches Essay bei der Tate (mit Bildern), das mir durchaus noch was Neues erzählen konnte.

Aber auch dort fand ich nicht die kompletten 18 Bilder, aus denen Besetzungen besteht, und die hätte ich gerne mal gesehen. Ich wühlte in diversen Ausstellungskatalogen, die sich mit Kiefers Büchern befassten, aber auch die boten nur Auszüge. Ich las mich durch mehrere Bücher über Künstlerbücher, googelte, suchte, blätterte. Und nach vier Stunden, in denen ich ungefähr drei Sätze geschrieben hatte, fiel es dem kleinen, doofen Zehntsemester ein: Du sitzt hier an der Quelle, du dumme Nuss. Das ZI hat alles, ALLES. Die hauseigene Suchmaschine angeworfen, und natürlich ist die betreffende Ausgabe der Interfunktionen da. Nur als Rara-Bestand, aber das kann man ja bestellen. Ich füllte einen Bestellschein aus – und gleich noch einen für eine Ausgabe von 1943 von Die Kunst im Deutschen Reich, denn aus dem Heft bediente sich Kiefer in Sinnbilder auch noch, und freue mich nun auf heute, wo ich mal wieder in altem Zeug blättern werde.

Dann schrieb ich meine Interpretation der Werke auf, ohne sie in aller Ausführlichkeit gesehen zu haben, plötzlich war die Arbeit 10.000 Zeichen länger und ich verhungerte. Die Arbeit wie immer auf den USB-Stick gezogen, Feierabend, nach Hause geradelt, auf dem Weg die FAZ gekauft, weil ich gestern irrtümlicherweise die Rundschau im Briefkasten hatte, aber ich wollte die FAZ haben, weil ich eine Rezension zum neuen Münchner Tannhäuser erwartete. Die war auch da: „übersubventionierter Münchner Murks.“ Jetzt bin ich doch froh, keine 143 Euro für die Karte ausgegeben zu haben, gucke mir aber natürlich trotzdem den Gratis-Livestream am 9. Juli an. Alleine, um mich über den Man Bun von Klaus Florian Vogt zu amüsieren. (Trailer unterm Livestream-Link.)

Ach komm, Bonus-Pilgerchor.

[1] Mehring, Christine: „Continental Schrift. The Story of Interfunktionen“, in: Artforum 5 (2004), S. 178–183, hier S. 179.