Tagebuch, Montag, 19. Juni 2017 – Jalousien

Morgens zur Stabi geradelt. Radeln ist ja bekanntlich großartig, aber ich vergesse immer, dass im Sommer die Straßenseite, auf der ich morgens zur Stabi und nachmittags von ihr wegfahre, in der Sonne liegt. Und wo viele ja gerne dieses Gefühl auf den Armen spüren, von der Sonne geküsst zu werden, denke ich immer an meine armen Hautzellen, die panisch die Flammen abwehren, die sie gerade abkriegen.

Will Herbst. Jetzt! Oder ich suche endlich mal langärmelige Kleidungsstücke, in denen ich mich nicht totschwitze. Stupid Sonne.

In der Stabi wieder in alten Nazibüchern gelesen und spannende Dinge in meine Masterarbeit eingefügt. Ich war allerdings viel zu schnell mit meiner Arbeit fertig; ich musste bis 10 warten, bis im Erdgeschoss die Buchrückgabe öffnet, denn das wollte ich auch noch erledigen. Also las ich zum fünfzigsten Mal meine Arbeit durch und fand natürlich noch Dinge, die man hübscher formulieren könnte.

Um 10 dann aber runtergegangen, Bücher abgegeben, zur UB geradelt (stupid Sonne), dort ebenfalls Bücher abgegeben und einen neuen Schwung ausgeliehen. Die haben alle nichts mehr mit der Uni zu tun, die darf ich jetzt lesen, weil ich Zeit habe, yay!

Neuerdings lese ich in Blogs oder auf Twitter darüber, dass man Menschen nicht von vornherein Bösartigkeit unterstellen sollte, bei dem, was sie tun und was mich vielleicht nervt oder stört. Stattdessen soll ich davon ausgehen, dass sie nur gedankenlos sind. Das habe ich gestern am lebenden Objekt ausprobieren können, als ich neben einer Dame am Fußgängerüberweg vor der Ludwigskirche stand und auf die andere Straßenseite zur UB wollte.

Ich war schon vom Rad abgestiegen, denn ich wollte es schieben; auf der anderen Straßenseite befindet sich nämlich der U-Bahn-Ausgang der Station Universität, aus dem und in den immer irrwitzig viele Menschen kommen und gehen. Der Fußweg ist dort sehr schmal, der Radweg auch, und außerdem steht noch ein Blumenstand in der Gegend rum, der noch mehr Platz wegnimmt. Der Dame war das egal, sie fuhr über den Fußgängerübergang und stieg auch drüben nicht vom Rad, sondern radelte fröhlich durch die Fußgänger durch, die ihr notgedrungen auswichen. Dann stellte sie ihr Rad an der UB ab und schaffte es, dabei den Eingang zum Fahrstuhl zu blockieren, mit dem Rollstuhlfahrer*innen oder Menschen mit Kinderwägen zum Bahnsteig kommen. Darauf machte sie netterweise jemand aufmerksam, bevor ich das tun konnte. Ich schloss mein Rad an und ging in die UB, genau wie die Dame. Dort blieb ich kurz an den neu befüllten Schaukästen stehen, in denen Bücher über und von Luther liegen – sehr spannend, man bekommt einen schönen Ãœberblick, wer seit 500 Jahren wie mit Luther argumentiert; direkt nebeneinander lagen zwei Bücher aus dem 19. (oder war’s noch das 18.?) Jahrhundert, die mit „aufklärerisch“ und „antiaufklärerisch“ überschrieben waren.

Dann ging ich zum Rückgabeschalter, wo schon zwei Leute warteten – und jetzt auch die Dame von eben, die sich einfach von der falschen Seite angestellt hatte, um vor den beiden dran zu sein. Dann fiel ihr auch noch irgendein Einleger aus einem ihrer Bücher, auf den sie drauftrat, bevor einer der beiden Wartenden sie darauf aufmerksam machte. Sie legte das Blättchen ins Buch und trat dann einfach an den Schalter, während der freundliche Mensch, der ihr gesagt hatte, dass sie gerade auf Bibliotheksgut rumtrampelt, verwirrt guckte, aber wartete.

„Gedankenlos“ ist mir hier vielleicht doch ein bisschen zu schwach. Vielleich trifft „komplett blind für alles außer einen selber“ es besser.

Ich fuhr nach Hause und freute mich über die Jalousien, die dafür sorgen, dass in meiner Wohnung erträgliche Temperaturen herrschten, während es draußen langsam auf die 30 Grad zuging. Am Schreibtisch quengelte ich dann wieder über das Stylesheet, mit dem die Lektorin unseres Katalogs uns versorgt hat und nach dem wir unsere Texte jetzt ausrichten. Das besteht nämlich quasi nur aus Kommata, wo ich gerne Doppelpunkte mache und will auch keine kursiven Auszeichnungen. Ein Beispiel, wie schlimmschlimmschlimm das alles aussieht:

Frédéric Hartweg, Von der Entfremdung zur Annäherung. Die deutsch-französische Erbfeindschaft, in: Kirchliche Zeitgeschichte 14, 2002, S. 313–372

Während ich sonst immer schreibe:

Frédéric Hartweg: „Von der Entfremdung zur Annäherung. Die deutsch-französische Erbfeindschaft“, in: Kirchliche Zeitgeschichte 14 (2002), S. 313–372.

Mit Punkt am Ende. Dass nirgends ein Punkt steht, macht mich extrawahnsinnig.

Es hat mich sehr gefreut, dass ich mit meinem Gejammer nicht alleine bin.