Konföderierte Reiterstandbilder im Süden der USA – eine kleine kunsthistorische Annäherung
Gestern twitterte ich einen Artikel aus dem Atlantic, der sich mit den diversen Statuen und Denkmälern von Südstaatengenerälen, vor allem Robert E. Lee, beschäftigt und dafür argumentiert, sie endlich alle abzureißen oder einzumotten. Mich hat die Menge an Denkmälern erstaunt, die anscheinend noch stehen und an die konföderierten Südstaaten des amerikanischen Bürgerkriegs erinnern:
„As of August 2016, there were still more than 1,500 public commemorations of the Confederacy, even excluding the battlefields and cemeteries: 718 monuments and statutes still stood, and 109 public schools, 80 counties and cities, and 10 U.S. military bases bore the names of Lee, Jefferson Davis, and other Confederate icons, according to a tally by the Southern Poverty Law Center. More than 200 of these were in Virginia alone.“
Ich ahne, dass ich nicht mehr erklären muss, in welchem Bundesstaat Charlottesville liegt, das gerade in den Nachrichten Schlagzeilen macht. Ich mach’s trotzdem: Es liegt in Virginia. Virginia ist einer der dreizehn Gründungsstaaten der USA und gehörte im Bürgerkrieg zu den Südstaaten; die Hauptstadt der Konföderation war Richmond (Va). In Richmond wurde recht schnell nach dem Ende des Bürgerkriegs (1861–1865) über ein Denkmal zu Ehren von Robert E. Lee nachgedacht; bereits 1870 begann man mit den Planungen. 1890 wurde das Denkmal in Richmond schließlich eingeweiht; es bildet heute einen Teil der sogenannten Monument Avenue.
Das Denkmal zeigt den General zu Pferd und steht damit in der Tradition eines anderen Reiterstandbilds in Richmond. Es orientiert sich bewusst am Monument von Thomas Crawford, das George Washington zeigt, der ebenfalls zu Pferd skulptiert wurde. (Wenn ich der Wikipedia glauben darf, wurden Teile des Denkmals in München gegossen.) Washington kam aus Virginia; das Standbild betont dann auch eher seine Rolle als Einwohner Virginias anstatt der eines Einwohners der Vereinigten Staaten. Zur Zeit des Baubeginns des Standbilds (1850, fertiggestellt 1869) bestanden bereits große Spannungen zwischen den zukünftigen Nord- und Südstaaten. Um Washington herum wurden nach und nach weitere sechs Einwohner Virginias gruppiert, so dass das Denkmal primär nicht den Staatsgründer Washington zeigt, sondern einen bzw. sieben Kämpfer aus Virginia.
Wie sehr die Betonung auf Virginia und dessen Politik und nicht den USA galt, zeigt auch die Diskussion um die Materialauswahl. Einer der Abgeordneten Virginias fragte, ob Bronze statt Marmor wirklich das beste Material für die Statue sei: „[It] would look like so many negroes.“ Der Künstler Crawford versicherte, dass die Statue durch Nutzung von goldenen Details, zum Beispiel an der Uniform, eine „rich and beautiful color“ bekommen würde; ein Journalist schrieb 1850 im Richmond Enquirer, „pure bronze can never become black.“ Dadurch, dass es eine metallische Verbindung sei, „is it easy for the artist to produce a variety of colors, darker or brighter.“ (McInnis 131) Bronze als Material strahlt zudem mehr Härte und Stärke aus als Marmor, dessen Erscheinung weicher oder sogar weiblicher wahrgenommen wird.
Bei der Einweihung der Statue erklärte Senator James M. Mason: „We have brought the memory of Washington back to Virginia.“ (McInnis 133) Im Vorfeld des Bürgerkriegs betonten Politiker der zukünftigen Südstaaten stets, dass es ihnen nicht darum ging, die Union zu spalten, sondern stattdessen das Vermächtnis der ersten Revolution zu erhalten – ähnlich wie heutige White-Pride-Ideologen sich auf eben diese Revolution beziehen, wenn sie davon sprechen, sich Dinge oder Fakten oder Status zurückzuholen, von denen sie glauben, sie seien verloren.
Das Staatssiegel des konföderierten Virginias zeigte die Statue Washingtons in Richmond. Dass er zu Pferde abgebildet ist, ist kein Zufall. Diese Abbildung erweckt nicht nur Assoziationen an seinen militärischen Kampf gegen die Briten, sondern zeigt schlicht einen Mann, der über anderen steht. Zugleich erinnert die Pose an berittene Aufseher auf Plantagen der Südstaaten, auf denen Millionen von Sklav*innen Zwangsarbeit leisteten. In einem Entwurf zu einen Giebel des neuen State Houses in South Carolina waren neben antikisierten Darstellungen von Frauen auch ein Aufseher zu Pferd sowie gebückt kauernde Sklaven zu sehen. Der Entwurf wurde nie umgesetzt. (Kleiner Exkurs zu den Plantagen: Der Historiker Peter H. Wood schlug vor, nicht mehr das idyllisch konnotierte plantation als Begriff zu nutzen, sondern slave labor camps. (Vlach 24))
Genau diese Art der herrischen Abbildung wurde auch für das Denkmal von Robert E. Lee in Richmond gewählt. Auch er war Kriegsteilnehmer, aber seine Darstellung zu Pferd steht mehr in der Tradition von weißer Vorherrschaft als in der eines Mannes im Militär. Lee war ein Kriegsverlierer, genau wie Jefferson Davis, der Präsident der Konföderierten, von dem kolportiert wird, dass er versuchte, in Frauenkleidern zu fliehen, um sich einer Verhaftung durch die Nordstaaten zu entziehen. Davis konnte also in der Logik der Unterlegenen nicht als Vorbild dienen, weder als siegreicher Präsident noch als jemand, der die klassische Männlichkeit verkörperte. Lee hingegen wurde sehr schnell die irreale Abbildung von alter Südstaatenüberlegenheit, weißer Vorherrschaft und siegreichem Freiheitskampf. Frederick Douglass schrieb bereits 1870: „We can scarcely take up a newspaper … that is not filled with nauseating flatteries of the late Robert E. Lee.“ (Terrono 153) Zur Jahrhundertwende galt Lee anstatt Ulysses S. Grant zusammen mit Abraham Lincoln als eine der wichtigsten Figuren des Bürgerkriegs.
„The fundamental effect of installing Lee als the South’s premier representative was that it depoliticized the Confederacy after the fact. With Lee as the major historical actor, the story of the Lost Cause became a glorious military record rather than a political struggle to secure a slaveholding nation. The white South’s urgent need to dissociate the Confederacy from slavery after the war dictated this strategy of depolitization. […] [Lee] was less vitally attached to the institution than the typical Southern planter and he could more credibly claim afterward that he had not fought to defend it. In the late 1860s he was a living example of the white South’s collective reversal on slavery. His historical role as a leader of soldiers – not a maker of policy – complemented and enhanced that personal example. In some ways he fit the classical mold of the reluctant leader, as George Washington had, and like Washington […] he was thought to be above politics. For all these reasons he was the obvious man to personify a newly revised, newly remembered Confederacy – a Confederacy that pretended to have fought a heroic struggle not for slavery but for liberty, defined as the right of states to self-determination.“ (Savage 131)
Diese Stimmung des reinen Freiheitskampfes hielt nicht lange. Die Reconstruction wurde schnell zurückgedrängt, die Idee von white supremacy erstarkte wieder. Das Lee-Monument in Richmond wurde von der Zeit seiner Enthüllung 1890 bis 1932 der Schauplatz einer jährlichen „Confederate reunion“ und machte vor allem der schwarzen Bevölkerung stets die Rassendynamik und ihre Rolle klar. „In a column at the time of the unveiling, the editor of the Planet answered the question ‚What it means‘ that Richmond had been decorated with emblems of the ‚Lost Cause‘. Contrary to what some Northern papers reported, the Planet said, ‚No flags of the Union ornamented the procession. Only the stars and bars could be seen, the ‚rebel yell‘, under the flag of the secession which waved proudly.‘“ (McInnis 139) 1902 hatte Virginia eine neue Verfassung, die die Zeit der Reconstruction fast vergessen machte und Jim-Crow-Laws etablierte. Spätestens jetzt war die Idee der angeblich freiheitlichen Südstaaten der einer Rassenideologie gewichen bzw. zu ihr zurückgekehrt.
Die Reiterstandbilder blieben als deutliches Symbol für white supremacy weithin sichtbar. Noch 2012 veranstalteten die Sons of Confederate Veterans eine sogenannte Heritage Rally – zu Füßen des Standbilds von Lee in Richmond.
Das Denkmal von Lee in Charlottesville wurde laut Atlantic 1924 eingeweiht. In den 1920er und 1930er Jahren gab es mehrere Kampagnen, in denen im Süden vor allem Lee und Thomas J. „Stonewall“ Jackson neu und historisch mythologisierend positioniert werden sollten. Die Kampagnen waren ein bundesweiter Versuch, die noch junge Vergangenheit zu nutzen, um in der Zeit der Great Depression positive Lehren zu ziehen. Geplant war, erstmals alle Teilnehmer*innen des Bürgerkriegs zu würdigen; in den Südstaaten führten diese Kampagnen aber zum Gegenteil – sie riefen Gefühle von Verbundenheit für den Lost Cause sowie regional begrenzten Patriotismus hervor. Die neuen Statuen, die errichtet wurden, zeugten nun nicht von Lees und Jacksons Kampf für einen rassistischen Sklavenhalterstaat; stattdessen bewunderte man die Standhaftigkeit ihrer Überzeugungen, für die sie eingetreten waren und die nun als eine Tugend hochgehalten wurden. Auch ihre christliche Religion wurde in Inschriften hervorgehoben, während ihr Mitwirken an der weißen Vorherrschaft schlicht ignoriert wurde. In dieser Zeit entstanden auch verstärkt Abbildungen von angeblich dankbaren, treuen Sklav*innen, während ein 1923 geplantes Monument in Washington für die „Faithful Colored Mammy of the Southland“ gerade noch durch engagierte Widerrede von Schwarzen Amerikaner*innen abgewendet werden konnte.
1948 wurde ein Denkmal der beiden Generäle in Baltimore eingeweiht; im Sinne der Zeitströmung direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie als „glorious heritage of all freedom-loving people“ bezeichnet. Die Reaktion des Schwarzen Amerikas klang anders: Ein Autor des Afro-American, der in Baltimore erschien, verglich Lee und Jackson mit Hitler, der genau wie die beiden Generäle eine Politik von Rassenauslöschung und Versklavung betrieben habe.
Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen sind auch heute noch vorhanden. Die zweite der beiden Lesarten ist meiner Meinung nach einen Hauch überzeichnet, weist aber in die richtige Richtung. Die andere ist historisch schlicht nicht haltbar. Der Atlantic schreibt sehr treffend:
„The statues in public squares, the names on street signs, the generals honored with military bases – these are the ways in which we, as a society, tell each other what we value, and build the common heritage around which we construct a nation.
The white nationalists who gathered in Charlottesville saw this perhaps more clearly than the rest of us. They understood the stakes of what they were defending. They knew that Lee was honored not for making peace per se, but for defending a society built upon white supremacy – first by taking up arms, and then when the war was lost, by laying them down in such a way as to preserve what he could.“
Arthur C. Danto schrieb 1985 über den Unterschied zwischen monuments und memorials, der im deutschen Denkmal nicht ganz so trennscharf ist:
„We erect monuments so that we shall always remember, and build memorials so that we shall never forget. […] Monuments commemorate the memorable and embody the myths of beginnings. Memorials ritualize remembrance and mark the reality of ends.“ (Danto 152)
Ich bin mir bei den vielen Denkmälern für konföderierte Generäle und Soldaten immer noch nicht sicher, an was sich erinnert werden soll. Ich kann die Memorials an Kriegsschauplätzen verstehen, genau wie ich deutsche Soldatenfriedhöfe in der Sowjetunion verstehen kann. Auch wenn der Anlass für den Kampf grundfalsch war, ist es meiner Meinung nach verständlich, dass Nachkommen einen Platz für ihre Trauer haben möchten. Dass man Generälen Standbilder errichtete, die von Anfang an entweder eine rassistische Ideologie verherrlichten oder schlicht Geschichtsfälschung bebildern, ist im Nachhinein leider auch nachvollziehbar – nicht nachvollziehbar ist es aber, sie heute nicht in einen musealen, didaktischen Kontext zu betten.
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Literatur für diesen Eintrag:
Abousnnouga, Gill/Machin, David: The Language of War Monuments, London/New York 2013.
Danto, Arthur C.: „The Vietnam Veterans Memorial“, in: The Nation, 31.8.1985, S. 152–155.
Foner, Eric: Reconstruction: America’s Unfinished Revolution, 1863–1877, New York 1988.
McInnis, Maurie D.: „‚To Strike Terror‘: Equestrian Monuments and Southern Power“, in: Savage, Kirk (Hrsg.): The Civil War in Art and Memory, Washington 2016, S. 125–146. (Der ganze Band ist sehr lesenswert.)
Mcpherson, James M.: Battle Cry of Freedom. The Civil War Era, Oxford 1988. (Meine ewige Empfehlung in diesem Blog für eine gute Einführung in den Bürgerkrieg. Gibt’s auch auf Deutsch.)
Savage, Kirk: Standing Soldiers, Kneeling Slaves. Race, War, and Monument in Nineteenth-Century America, Princeton 1997.
Terrono, Evie: „‚Great Generals and Christian Soldiers‘: Commemorations of Robert E. Lee and Stonewall Jackson in the Civil Rights Era“, in: Savage, Kirk (Hrsg.): The Civil War in Art and Memory, Washington 2016, S. 147–170.
Vlach, John Michael: „Perpetuating the Past. Plantation Landscape Paintings Then and Now“, in: Kat. Ausst. Landscape of Slavery. The Plantation in American Art. University of Virginia Art Museum, Charlottesville (Va)/Gibbes Museum of Art, Charleston (S.C.)/Morris Museum of Art, Augusta (Ga), Columbia 2008, S. 16–29.