Nói Albinói

Nói Albinói
(IS, 2003)

Darsteller: Tómas Lemarquis, Thröstur Léo Gunnarsson, Elín Hansdóttir, Anna Fridriksdottir, Hjalti Rögnvaldsson
Musik: slow blow
Kamera: Rasmus Videbæk
Drehbuch: Dagur Kári
Regie: Dagur Kári

Als das Musikvideo noch eine ganz junge Kunstrichtung war, gab es eigentlich nur zwei Möglichkeiten, einen Song zu bebildern: Entweder es tanzten lustig gewandete Hupfdohlen im Hintergrund, während die Band bedeutungsschwanger im Vordergrund agierte oder man erzählte eine Geschichte zum Lied. Die dauerte netterweise meist nur vier Minuten. Das hätte sich Nói Albinói mal zu Herzen nehmen sollen.

Der Film ist quasi die isländische Version von Elvis’ „In the Ghetto“. Wir erleben, wie aus einem child, das eine helping hand braucht, ein angry young man wird, weil alle um ihn herum die Masche „simply turn our heads and look the other way“ fahren.

Das Kind, das eine helfende Hand braucht, ist Nói, ein 17jähriger Rebell, sofern man in einem vereisten isländischen Dörfchen einer sein kann. Das einzige, was er machen kann, ist, die Schule zu schwänzen und Münzautomaten zu leeren und sich dafür Malzbier zu kaufen. Er träumt davon wegzulaufen, am besten mit Iris, dem Mädchen, das an der Tankstelle arbeitet.

Nóis Vater gibt die Klammer vor, die der Film versucht zu bebildern: Er singt im örtlichen Restaurant „In the Ghetto“, er singt es auf ein Diktiergerät, das er in seinem Taxi bei sich führt, er singt es einfach so vor sich hin. Und zu allem Überfluss heißt seine Katze auch noch Elvis Aaron (soviel Zeit muss sein).

Der Film erzählt sehr ausführlich, aber dabei leider ziemlich unspektakulär, wie Nói von der Schule fliegt, wie er Iris näherkommt, wie er bei seiner Oma lebt, wie er sich gerne in den Keller zurückzieht, um ein bisschen ganz für sich zu sein, wie sein Vater dem Alkohol verfällt und sein Klavier zertrümmert, weil angeblich kein Stück Musik darin sei.

Das alles hätten gefühlvolle Szenen werden können, wenn sie nicht so völlig unemotional zusammengeschnitten worden wären und vor allem, wenn die wenigen Szenen, die wirklich die Geschichte voranbringen, nicht ständig durch pseudo-bedeutungsschwangere Bilder unterbrochen worden wären. Das ist ja schön, dass Nói stundenlang eine Fliege auf seiner Hand entlanglaufen lässt oder ihm der Topf mit Tierblut ausrutscht, aus dem sein Vater gerade wer weiß was kochen will und dieses Blut sich über Papa und Oma ergießt und wir mal kurz schmunzeln, weil man sich plötzlich wie bei Tarantino fühlt – aber was sollte das?

Dann plötzlich erleben wir wieder Szenen, die kurz die Einsamkeit und Außergewöhnlichkeit von Nói klar machen – weder der Schule noch seiner Umgebung ist wirklich klar, ob er nun einfach ein Idiot oder ein Genie ist. Dann berührt einen der Film plötzlich und man wünscht sich, noch näher an die Figuren herankommen zu dürfen. Das wird einem aber leider nicht vergönnt.

Man hat nie das Gefühl, einen Spannungsbogen zu erkennen. Die Bilder laufen lakonisch an einem vorbei, man schaut zu, aber man hätte auch nebenbei Zeitung lesen können – man hätte nichts versäumt. Selbst die eigentlich aufwühlenden Szenen wie das Zertrümmern des Klaviers oder den Wutausbruch Noís einem Wahrsager gegenüber, der ihm erzählt, dass er den Tod sehen würde, wirken seltsam farblos, ganz so, als ob die Lichtstimmung des Films auf die Handlung eingewirkt hätte. Alles ist stets gräulich, hellblau, verwaschen, verweht, unkonzentriert, kein Licht, kein Schatten. Man nimmt kaum noch Anteil, weil alle seltsam deprimiert vor sich hinleben. Selbst die kurze Liebesgeschichte zwischen Nói und Iris wirkt kraftlos, so, als ob von vornherein klar ist, dass es kein Happy End geben wird.

Erst kurz vor Schluss wacht der Film auf, und wir erleben, wie sich die Prophezeihung des Wahrsagers erfüllt – allerdings ganz anders, als wir gedacht haben. Und plötzlich fühlt sich der Film nicht mehr kraftlos, sondern niederträchtig an, so, als ob uns der Regisseur mit auf den Weg geben wollte: Es kommt immer anders, als man denkt und nie so, wie man will.

Wenn das die Botschaft ist, die ich aus Nói Albinói mitnehmen soll, dann danke. Erstens wusste ich das schon vorher, und zweitens ist Elvis echt sowas von out.

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