Meine Großeltern
Weihnachten verbringe ich seit einigen Jahren immer in der alten Heimat, also dem Wohnort meiner Eltern. So setzte ich mich auch in diesem Jahr am Heiligen Abend in München in den Flieger und ließ mich vom Schwesterherz in Hannover abholen, genoss zweieinhalb ruhige und entspannte Tage und flog am späten Nachmittag des 26. Dezember wieder nach Hause. Die Zeiten, in denen wir mit Kaffee, Tee und Plätzchen oder Pralinen, Whisky und Sekt um diverse Tische saßen, nutzte ich, um meine Eltern nach ihren Eltern auszufragen. Ein paar Dinge wusste ich, aber diesen Blogeintrag der Kaltmamsell von Anfang Dezember wollte ich doch nicht kommentieren, weil ich mir bei einigen Details nicht sicher war.
Ich wusste, dass Opa (die Eltern meines Vaters heißen bei uns Oma und Opa, die meiner Mutter Omi und theoretisch Opi, denn den lernte ich nie kennen) in der Wehrmacht gewesen war, wie so viele seines Geburtsjahrgangs, und ich wusste auch, dass er ein paar Auszeichnungen bekommen hatte, die Papa im Bankschließfach aufbewahrt. Sie sind nicht sehr viel wert – ich habe bei einigen Militaria-Händlern gegoogelt –, aber da liegen sie trotzdem gut. Aus Interesse an der NS-Zeit, mit der ich mich bekanntermaßen auch in der Dissertation beschäftigen werde, bat ich Papa, sie aus dem Schließfach zu holen, damit ich sie mir anschauen könnte. Im Zuge dessen meinte Papa, er habe mir auch den Ordner rausgelegt, in dem er die Verleihungsurkunden zu den Ehrenzeichen aufbewahrte. Erster Lerneffekt über die Feiertage: Es gibt schriftliche Unterlagen zum Blech. Wusste ich nicht.
Ich verbrachte einen Teil des ersten Weihnachtstags damit, Schriftstücke zu scannen; im Ordner von Opa fand ich auch einiges von Oma, die vor ihm verstorben war und deren Unterlagen er scheinbar einfach zu seinen genommen hatte. Viel war es nicht, aber jetzt kann ich drüben endlich kommentieren bzw. auf einen anständigen Blogeintrag verlinken.
Mein Opa stammt aus Baden-Württemberg, wo er direkt nach seiner achtjährigen Schule eine vierjährige Glasschleifer-Lehre bei WMF machte; sein Gesellenstück, eine Obstschale, besitzen wir heute noch. Während der Zeit der Weltwirtschaftskrise war er als Kurzarbeiter tätig, bevor er 1934 kurzzeitig Polizist in Ulm wurde. 1935 trat Opa in die Wehrmacht ein. Er war bei der Luftwaffe, ließ sich im Laufe der Zeit zum Bordmechaniker ausbilden und verließ das Heer als Oberfeldwebel. In seinen Unterlagen finden sich zwei Verpflichtungserklärungen, eine von 1935, eine von 1938, von denen die letzte theoretisch bis September 1946 gegolten hätte. Ich fand auch die Unterlagen der Alliierten über seine Entlassung aus den Streitkräften („Certificate of Discharge“) vom 25. Juni 1945. Nach seiner Kriegsgefangenschaft, von der ich nicht weiß, wo er sie verlebt hat und wie lange sie dauerte, erlernte er das Zimmermannshandwerk, das er bis zu seinem Tod ausübte. 1957 bewarb er sich für einen Posten in der inzwischen gegründeten Bundeswehr, scheint aber abgelehnt worden zu sein. In seinen Unterlagen finden sich zwei von ihm handgeschriebene Lebensläufe, einer von August 1945, in dem seine Gefangenschaft noch nicht erwähnt wird, und einer von 1957, der für die Bewerbung zur Bundeswehr erstellt wurde. Wofür der erste war, weiß ich leider nicht.
Während seiner Wehrmachtszeit wurde Opa nach Norddeutschland versetzt, wo er meine Oma kennenlernte. Sie stammte aus Oldenburg und war nach ihrer Schulzeit als Küchenhilfe tätig. Ich fand Unterlagen bzw. Zeugnisse von verschiedenen Orten, zum Beispiel einer Heil- und Pflegeanstalt sowie von einem Gasthof auf Wangerooge. Ich erinnere mich, dass Oma manchmal von ihrer Zeit „auf der Insel“ erzählt hatte. Eine berufliche Ausbildung hat sie anscheinend nicht gemacht, sie ging, wie es für viele Frauen ihrer Zeit üblich war, nach der Schule „in Stellung“. Während des Kriegs arbeitete sie als Köchin, unter anderem in einem Gefangenenlager für französische Soldaten. Mit mindestens einem von ihnen hatte sie noch jahrzehntelang brieflichen Kontakt, aber Genaueres wusste mein Vater auch nicht. Ich habe auch keine Briefe gefunden. Ich kannte Oma als immer beschäftigte Frau, auch wenn sie, soweit ich das verstanden habe, nach 1945 keinen Beruf mehr ausübte, sondern sich um Haus, Familie, Garten und Kleinvieh kümmerte; ich kenne noch den Hühnerhof bei Oma und Opa, aber auf alten Fotos sind auch noch Ziegen, Schweine und Schafe zu sehen. Sie engagierte sich beim Aufbau des DRK in ihrem Wohnort und wurde dafür mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet; ich weiß peinlicherweise gerade das Jahr nicht, aber Ernst Albrecht war Ministerpräsident, es müsste also irgendwann in den 1980er Jahren gewesen sein. Sie ist 1989 gestorben.
Auch meine Omi ging nach ihrer Schulzeit „in Stellung“; sie kam aus der Nähe von Bartenstein, dem heutigen Bartoszyce. Soweit ich weiß, war sie als Hausmädchen bzw. Hauswirtschafterin tätig. Auf dem Foto ist sie links zu sehen, recht von ihr steht ihre Schwester, deren Mann 1944 fiel (glaube ich). Mein Großvater fiel bereits 1943 bei Leningrad. Die Schwestern blieben für den Rest ihres Lebens zusammen und heiraten beide nicht mehr. Meine Mutter erzählte, dass Omi eigentlich ihren Schwager hätte heiraten sollen, was sie aber nicht wollte. Sie hatte danach auch keinen Kontakt mehr zur Familie ihres Mannes; meine Mutter konnte sich auch nicht wirklich an ihre Großeltern erinnern. Ihr Großvater floh irgendwann in den Westen. 1948 flohen auch Omi, ihre Schwester und ihre insgesamt vier Kleinkinder in die damalige sowjetisch besetzte Zone, bevor sie 1951 (1953?) nach Westdeutschland zu einer Verwandten übersiedeln konnten. Meine Mutter erzählte mir, dass sie anfangs zu neunt auf zwei Zimmern gewohnt hatten. Meine Omi war danach als Hauswirtschafterin bei einer Familie im Ort angestellt, die ein für mich irrwitzig großes Haus mit ebenso irrwitzig großem Garten besaßen. Meine Schwester und ich durften manchmal dort vorbeischauen, wenn unsere Schule vorbei war und Mama noch arbeitete. Ich war immer sehr vom Klavier beeindruckt, an das ich mich aber nur selten rantraute, und ich weiß noch, wie sehr ich den blöden Boxer gehasst habe, der immer sabbernd auf einen zusprang.
Meine Mutter erzählte, dass sie bereits nach der Volksschule in die Lehre gehen musste, weil das Schulgeld für eine weiterführende Schule nicht zu bezahlen war. Auch deswegen habe sie sehr darauf geachtet, dass meine Schwester und ich die bestmögliche Bildung bekamen. Wir sind beide auf dem Gymnasium gewesen, meine Schwester hat neben ihrer Angestelltentätigkeit noch ein Abendstudium gemacht und ich bin die erste Doktorandin unserer Familie.
Über meinen Opi, wenn ich ihn denn hätte so nennen dürfen, weiß ich leider gar nichts.