Punch-Drunk Love
Punch-Drunk Love
(USA, 2002)
Darsteller: Adam Sandler, Emily Watson, Philip Seymor Hoffman, Luis Guzmán
Drehbuch: Paul Thomas Anderson
Kamera: Robert Elswit
Musik: Jon Brion
Regie: Paul Thomas Anderson
Manche Dinge passieren einfach. Autounfälle. Geburtstagspartys. Missgeschicke. Herzensangelegenheiten. Und manchmal steht auch einfach ein Harmonium vor deiner Tür und wartet darauf, dass du es spielst. Solche Dinge passieren, und keiner fragt, warum. Wozu auch? Es würde nichts daran ändern, dass sie passiert sind.
In Punch-Drunk Love, dem neuen Film von Paul Thomas Anderson, passieren genau solche Dinge. Bis jetzt hatte ich in seinen Filmen (Boogie Nights, Magnolia) immer das Gefühl, dass er so fasziniert von der Menschheit und all ihren seltsamen Eigenarten ist, dass er sie sehr neutral und distanziert von außen betrachtet. In beiden Werken fühlte ich mich als Zuschauer immer wie ein, ja, Zuschauer, wie jemand, der bis an den Rand des Löwenkäfigs darf, aber keinen Schritt weiter – es könnte mir ja etwas passieren.
In Punch-Drunk Love gibt es keine Barrieren mehr. Anderson wirft uns mitten hinein in das skurrile Leben von Barry Egan (überraschenderweise sehr passend: Adam Sandler), dessen Schwestern ihn verkuppeln wollen, dessen Job ein Witz ist und der seinen Schwager, einen Zahnarzt, um Hilfe bei seinem Problem bittet, dass er sich selber manchmal nicht mag und aus keinem ersichtlichen Grund zu weinen anfängt. Und Anderson sitzt nun am Rand des Löwenkäfigs von Barrys Leben, und er schaut uns, den Zuschauern, erwartungsvoll dabei zu, was wir mit diesem Leben, dieser Story und diesem Film machen: Umarmen wir den Löwen oder fliehen wir? Lassen wir uns ein auf eine gefühlvolle, sehr intensive und im Endeffekt heillos romantische Geschichte? Oder sezieren wir das Ganze, distanzieren uns von seinen Hauptdarstellern und versuchen wir, in diesen Film eine Logik zu bringen? Versuchen wir etwa gerade, Antworten zu finden: Warum passiert dieses und jenes? Es wird nicht funktionieren. Und das soll es erst einmal auch gar nicht.
Adam Sandler ist in fast jeder Szene im Bild, und wenn wir ihn nicht sehen, wissen wir ihn doch mindestens im Hintergrund oder am anderen Ende einer Telefonleitung. Wir sitzen ihm quasi die ganze Zeit im Nacken, als er sich in Lena (die wundervolle Emily Watson) verliebt und sich gleichzeitig einer Erpressung von einem Telefonsexanbieter erwehren muss. Diese beiden Dinge, die ihm passieren, spiegeln ein Spektrum menschlicher Gefühle en miniature wider: die überwältigende Großherzigkeit der Liebe und die brachiale Skrupellosigkeit der Gier. Beiden Dingen begegnet Barry mit seiner eigenen, kindlichen, ehrlichen Art, und bei beiden findet er eine ganz einfache Lösung, die komischerweise nicht deplatziert wirkt, weil sie eben dieser seiner eigenen Art entspricht. Und beide Lösungen sind gut und hoffnungsvoll und damit unerwartet. Wir kennen aus unserem eigenen, wahren Leben genug Enttäuschungen und Schmerzen; die muss auch Barry erfahren, aber er befreit sich aus diesen Zwängen, diesem „So ist das Leben eben“, kämpft seinen eigenen, simplen Kampf – und gewinnt. Und wir können es fast nicht glauben, wir warten immer noch darauf, dass das Böse wieder zurückkommt – aber das tut es nicht. Denn Barry hat eine Gefährtin gefunden und mit diesem geliebten Menschen eine Stärke, die ihn unverwundbar macht gegenüber aller Realität.
Manchmal sind wir fast zu nahe an diesen beiden Menschen dran, und das sind die Momente, in denen uns klar wird, wie groß und unheimlich und gleichzeitig unerwartet wundervoll das Leben sein kann. Das sind im Film die Momente, in denen ich mich wirklich erschreckt habe, weil ich mit dem, was auf der Leinwand passiert, überhaupt nicht gerechnet habe. Aber das sind eben auch genau die Momente, die das wahre Leben ausmachen.
Manchmal küsst es dich, und manchmal reißt es dir das Herz aus dem Leib; manchmal stärkt es dir den Rücken, und manchmal bricht es dir das Kreuz. Aber ganz egal, was das Leben mit dir und mit Barry und mit Lena macht – es lässt sich nicht aufhalten. Es passiert einfach. Und man fragt nicht, warum.
Aber irgendwo im Hinterkopf erwartet man vielleicht trotzdem eine Antwort auf die vielen ungestellten Fragen. Und wer das Glück hat, den Menschen auf der Welt zu finden, dem man plötzlich alle diese Antworten geben kann, wer also diesen einen Menschen gefunden hat, für den ist das Leben plötzlich mehr als nur eine Story, ein Film, eine Aneinanderreihung von Dingen, die passieren. Für den ist es ganz plötzlich: ein Leben. Mit allen überwältigenden, Angst einflößenden, großartigen Momenten und Antworten und Möglichkeiten, die nur das Leben und die Liebe haben können.
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Anke am 13. March 2005