Was schön war, Freitag, 19. Januar 2018 – Hach und Hojotoho
Den Vormittag verbrachte ich endlich mal wieder in der Bibliothek des ZI. Mitte Dezember war meine Laune auf einem Tiefpunkt angekommen, weil mich ausbleibende Jobs und eine immer chaotischere Verstrickung in meine Diss-Frage mich mürbe gemacht hatten; ich legte einen zweiwöchigen Urlaub von meinem eigenen Kopf ein und das hat sehr gut getan. Im Hintergrund arbeitete mein Hirn weiter und ich ahne wieder so langsam, wo ich hinwill, und eine Buchung ist netterweise auch dabei rausgekommen (was vermutlich nicht an meinem Urlaub lag, aber es bestätigt mein kindliches Wunschdenken, dass man das Universum auch einfach mal machen lassen darf).
Jedenfalls war ich gestern nach vierwöchiger Pause endlich mal wieder zwischen den Regalen unterwegs, weil ich für den Kunden, für den ich gerade arbeite, etwas nachschlagen wollte. Ich war also eigentlich als Werbetexterin da und fühlte mich ein bisschen schuldig, als ob ich mein eigentliches Herzblatt betrüge but a girl’s gotta eat! Trotzdem kam natürlich die Kunsthistorikerin durch, sobald ich den ersten Stapel an meinen Platz getragen hatte und las. Und beim Zusammensuchen des zweiten Stapels, als ich mit Büchern im Arm – bekanntlich eine meiner Lieblingsgesten – gemächlichen Schrittes durch die hohen Regale ging, holte mich auch dieses seltsame ZI-Gefühl wieder ein. Ich kann es vermutlich nur schwer vermitteln, aber immer wenn ich in Bibliotheken rumwühle, fühle ich mich, wie andere sich vielleicht in Fangopackungen oder bei einer Massage fühlen: unglaublich entspannt, ruhig und gleichzeitig hellwach, um alles zu genießen. Manchmal bleibe ich einfach zwischen den Regalen stehen, lege den Kopf schräg und lese ein paar Buchrücken durch, auch wenn ich dort gar nichts suche. Ich fasse die Bücher an, die im Regal stehen, umarme die, die ich mit mir herumtrage und fühle mich so unglaublich wohl, dass es mir fast peinlich ist. Es ist nicht nur das Gefühl von Papier, das ich gerne mag, oder die schiere Menge an Büchern. Es ist das Wissen, dass um mich herum noch irrwitzig viel mehr Wissen steht, und wenn ich nur lange genug hierbleibe, ich mir das alles erlesen kann.
(Ihr müsst euch jetzt vorstellen, wie ich auf dem Sofa sitze und tippe und gerade von meinen eigenen Worten und Erinnerungen so gerührt bin, dass ich jetzt dringend Peniswitze oder ähnliches einstreuen möchte, damit das hier nicht zu memmig wird. Ähem. Wir räuspern uns jetzt alle kurz und reden mit tiefer, starker Stimme weiter.)
Am frühen Nachmittag war dann für mich bereits Feierabend, denn F. und ich hatten Karten für die Walküre, die um 17 Uhr begann. Ich mochte es sehr, dass die Staatsoper den Klassiker von Monaco Franze selbst vertwitterte und warnte F. auch, dass er, wenn er nach der Aufführung irgendwas von „altmodisch bis provinziell“ twittern würde, was auf die Nase bekäme.
Ich mag die Kriegenburg-Inszenierung sehr gerne, aber anscheinend hat sich das Münchner Publikum immer noch nicht an die „Pferde“ am Beginn des dritten Aufzugs gewöhnt, die seit 2012 bekannt sein sollten. Eigentlich geht der dritte Akt mit dem Walkürenritt los, aber bei Kriegenburg dürfen erstmal zwölf (?) langhaarige Damen stampfend und schnaubend die Pferde der Walküren imitieren, bevor das Orchester einsetzt. Als ich vor fünf Jahren das Stück zum ersten Mal sah, wurde noch gepfiffen, gestern wurde mittendrin applaudiert, vermutlich um den Pfeifern die Lust zu nehmen, aber als die Damen mit ihrer Performance fertig waren, kamen die ersten Buhrufe, die natürlich niedergeklatscht werden mussten – und darüber versäumte man dann ganz toll die einsetzende Musik. Deppen.
(Ihr könnt euch die Pferde übrigens am Montag selbst angucken, die Staatsoper streamt live. Müsste so gegen 21 Uhr losgehen, der letzte Akt.)
Das Ende des Stücks, den Feuerzauber, ruinierten dann die üblichen „Bravo“-Brüller, die mir fast genauso auf die Nerven gehen wie die Buhrufer, jedenfalls wenn sie NICHT MAL EINE VERFICKTE ZEHNTELSEKUNDE WARTEN KÖNNEN, bis sie nach der letzten langen Note ihr individuelles Urteil zu den vergangenen fünf Stunden loswerden dürfen. Einmal, EINMAL möchte ich nach einer Aufführung kurz durchatmen und zu mir kommen können. Hmpf. Komischerweise ging das am Mittwoch bei den Symphonikern eher. Vielleicht liegt’s echt am Opernpublikum.
Wobei dieses Publikum mich auch durchaus versöhnen kann:
Hat sie, ich hab gefragt.
— Anke Gröner (@ankegroener) 19. Januar 2018
Ich sprach die Dame im Bus an: „Auch zur Walküre?“ Sie lachte und meinte, ja, sonst würde sie nicht so rumlaufen. Wir scherzten dann noch: „Ich geh sonst so zur Arbeit.“ „Ich putze sonst so – man kommt zwar nicht an alles ran, sieht aber super dabei aus.“
Dieser Ausblick fiel mir gestern auch zum ersten Mal auf. Wir haben übrigens für den ganzen Ring unfassbar gute Plätze im ersten Rang, erste Reihe, fast in der Mitte, in den Pausen gab’s den clever vorbestellten Sekt, ich bewunderte wie immer die Kronleuchter, und bis auf die eben bemängelten Schreier war das ein wunderschöner Abend. Ich freue mich schon auf Siegfried und die Götterdämmerung.