Was schön war, Dienstag, 3. April 2018 – Ruhe im Kopf
Im Zuge meines allgemeinen Missfallens mit Social Media derzeit hatte ich Montag abend die Facebook-App von meinem Handy geschmissen. Gestern ging ich einen weiteren Schritt: Ich ließ Twitter in Ruhe.
Ich kann mich von der App noch nicht ganz trennen. Oder: Ich will noch nicht. Aber ich will mich auch nicht mehr von ihr nerven lassen. In den letzten Wochen habe ich es wieder kurzzeitig mit Listen versucht bzw. mit genau einer, „Read Only“ habe ich sie genannt. In ihr versammeln sich Accounts von Medien (SZ, FAZ, New York Times, New Yorker, Guardian) und Museen bzw. kulturellen Institutionen, wissenschaftliche Accounts wie Rezensionsportale oder Menschen, die an Unis oder in Archiven arbeiten und von deren Tun ich gerne lese. Dazwischen waren ein paar wenige der üblichen Accounts, denen ich eigentlich am liebsten folge: Menschen, die mir erzählen, was sie den ganzen Tag machen. Ich lese immer noch sehr gerne davon, was andere Leute kochen, wo sie einkaufen, was sie abends als Getränk zu sich nehmen, was sie lesen, worüber sie sich gerade freuen und wenn’s sein muss, auch ärgern. In letzter Zeit kommen aber auch von diesen Accounts sehr viele Meinungen zu AfD- und CSU-Politik, Sexismus, Rassismus usw., dem ganzen Rotz halt, der mir durchaus bewusst ist. Momentan möchte ich aber keine 50 Meinungsäußerungen zu diesen Themen haben, vor allem nicht in meiner Timeline, die mich kurz ablenken soll, die nett sein soll, verdammt. Eine Zeit lang sollte sie lehrreich für mich sein – das ist sie immer noch, wenn ich die Read-only-Liste anklicke –, aber jetzt gerade bin ich überfordert. Ich möchte, dass mein Radio und meine Zeitung mir etwas zu diesen Themen sagen, dann möchte ich alleine darüber nachdenken und nicht mit 50 Stimmen im Kopf, und dann reicht mir das gerade.
Daher habe ich gestern Twitter einmal morgens geöffnet, um zu gucken, ob ich auf Replys reagieren muss oder ich eine DM habe, und dann habe ich mir verboten, die App anzuklicken bzw. die Seite am Laptop zu öffnen. Tweetbot auf dem Desktop blieb auch geschlossen. Abends guckte ich noch einmal rein, und das war’s.
Ich habe die Ruhe sehr genossen. Ihr habt mir alle aber auch sehr gefehlt, muss ich zugeben. Ich las wieder spannenden Kram in der FAZ oder hatte beim Einkaufen einen hübschen Gedanken, aber ich verbat mir, ihn zu twittern. Wenn ich mein Handy in die Hand nahm, um nach der Uhrzeit zu schauen, musste ich mir wirklich selber sagen, nein, du klickst jetzt nicht auf Twitter, was bei mir inzwischen ein echter Automatismus geworden zu sein scheint – ich hab das iPhone in der Hand, also öffne ich Twitter. Gestern nicht. Mir kam der Tag länger vor, was natürlich auch einfach am Tag gelegen haben könnte, aber ich war eben nicht dauernd abgelenkt, klickte nicht dauernd Links an, verlor mich nicht dauernd im Internet, weil irgendwo was Spannendes rumwuselte. Gleichzeitig fühlte ich mich trotzdem gut informiert; ich las die FAZ von vorne bis hinten und überlegte, mal die SZ dazuzukaufen, vielleicht mache ich das heute, ich hab ja jetzt Zeit. Abends stellte sich kurzfristig FOMO ein – OMG vielleicht war heute ein irres Meme unterwegs und ich habe es nicht mitgekriegt –, aber gleichzeitig eine Zuversicht, nichts verpasst zu haben, denn irgendwas ist ja immer und genau diesem Gefühl will ich schließlich gerade ausweichen.
Ich werde Twitter auch heute geschlossen lassen, mal sehen, wie’s mir morgen geht. Vielleicht bin ich ja nicht nur entspannter, sondern auch tödlich gelangweilt.
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Den Vormittag verbrachte ich mit netter Arbeit, die gut von der Hand ging. Zum Mittagessen gab es mal wieder den Lieblingssalat. Nachmittags las ich Zeitung und Buch und recherchierte in verschiedenen Archiven für die Diss, leider noch nicht ganz so erfolgreich. Abends gab’s dann schönen Fußball mit Bayern in Sevilla. Auch das war ungewohnt – Fußball ohne Twitter. Geht aber auch.
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When VR meets art, something new is created
Den Artikel auf Eurogamer (danke, @dogfood) fand ich aus zweierlei Gründen spannend. Zum einen für die gute Beschreibung des Unterschieds, ob man sich ein Gemälde als Abbildung oder jpg in einem Buch bzw. dem Internet oder in voller Größe und Präsenz in einem Museum anschaut:
„This is how it often is when famous paintings are suddenly before us, I suspect. Reproduction makes the image itself famous, but proximity to the real thing gives us back the surface, the painting as an object. It turns us into curators, or maybe crime scene analysts: we look at the canvas and make out the damage, the near-invisible quirks, the interaction of physics and chemistry and time.“
Zum anderen lernte ich eine neue Art, Kunst (?) zu erschaffen, kennen – und ich konnte am Prozess teilnehmen (hier geht es um die Nachbildung von Hoppers Nighthawks als Virtual Reality). Ich fühlte mich an Instagram erinnert, wo ich zum Beispiel Katia Kelm seit Monaten dabei zusehe, wie sie Gemälde erschafft. Ich gucke nicht mehr als Kunsthistorikerin auf ein fertiges Werk, sondern sehe, wie es sich verändert. Das hat mich schon beim Film Gerhard Richter Painting irre gemacht – dass er Dinge sah, die ich nicht sah, vermutlich genau wie Kelm oder Peaslee hier im Video. Sie sehen das fertige Produkt vor dem inneren Auge – ich nicht, ich kann nur zuschauen. Aber alleine, dass ich zuschauen kann, ist für mich neu. So geht Richter mit seinem Rakel an diversen unfertigen Leinwänden mit abstrakten Farblandschaften vorbei, die für mich alle fertig aussahen, er setzt an, ich wimmere innerlich, nee, lass, sieht doch gut aus, er verändert etwas, und ich staune jedesmal, oh, hattest recht, sieht besser aus.
Die Erstellung eines VR-Projekts, das auch schon eine visuelle Vorlage hat, ist sicherlich eine andere Ebene, aber ich stimme dem Autoren Christian Donlan zu, wenn er sagt, dass es something else ist, dem wir hier zuschauen, eine neue Medienart, die gerade entsteht. Und wir sind dabei.
„The part that really floors me, though, is the bar stools and the coffee urns – the urns that in Hopper’s original are separated by the drip of yellow that Laing spotted. Silva makes them like a craftsman, bent over them, bringing them into being. Then he drops one – a bar stool with a cherry wood top – into the diner where it completely dwarfs its surroundings. He shrinks it down and clones it and populates the scene with the right number of barstools. He has gone from being a carpenter to being a set-dresser, and he’s done it all with paint alone. No, he’s done it all with virtual paint, with this technologist’s dream of paint.
There are no words for this, to tell the truth. It is not painting, and it is not building. It is not even copying, really, because the final work does not feel like a copy of Nighthawks any more than Picasso’s Las Meninas feels like a copy of Velazquez’s.
For the first time in an age with games – or at least with game technology – I am witnessing something truly unprecedented here. I am witnessing something else.“