Tagebuch, Samstag, 26. Mai 2018 – Och nö

Die Überschrift bezieht sich nur auf zwei Dinge von gestern, der Rest des Tages war okay. Was soll auch nicht daran okay sein, morgens ein bisschen Tram zu fahren und dann nach Hause zu spazieren (immer schön im Schatten), Kirschen zu essen, auf dem Sofa zu liegen, zu lesen und Serien zu gucken. Samstag halt. Vor dem Rumliegen kam noch ein bisschen Einkaufen, denn abends lief das Champions-League-Finale, leider ohne die Bayern, aber mei.

Zu einem Finale gehören zwingend Chips, Fingerfood und gute Getränke. Für die Getränke sorgte F., in dessen Wohnzimmer wir guckten, für Chips musste ich eben einkaufen gehen und wo ich schon mal da war, besorgte ich gleich ein bisschen Hackfleisch, denn das einzig wahre Fingerfood sind bekanntlich kleine Frikadellchen. (Ich klinge übrigens nie peinlicher, als wenn ich „Fleischpflanzerl“ bestelle, weswegen ich das nie mache, obwohl ich sie immer essen will.)

Um mich von den Hackbällchen abzulenken – von denen ich übrigens brav nur drei verspeiste und den Rest abends durch die Gegend trug –, kochte ich mir einen Kaffee mit einer neuen Kaffeesorte. Die hatte F. mir von seinem Sheffield-Besuch mitgebracht und beim Überreichen behauptet, sie schmecke nach Kirsche. Ist klar, Junge. Kirsche. Ha!

Der Laden, in dem F. den Kaffee erwarb, scheint von einem dieser neuerdings überall vorkommenden Kaffeenerds betrieben zu werden, die einem bereitwillig erzählen, woher sie ihre Ware bekommen und wie sie sie verarbeiten. Sehr löblich! Er berichtete, dass sie diese Sorte nur für die Aeropress benutzen, und als F. erwähnte, dass his girlfriend gerade lustig mit diesem Gerät rumexperimentiere, gab der Herr ihm gleich mal Mahlgrad und Ziehzeit mit, damit ich das ausprobieren könne. Kaffeemehl- und Wassermenge nannte er nicht, aber ich verließ mich wie immer auf das gute alte Brühchart vom Coffeecircle.

Zunächst öffnete ich aber die Verpackung und roch an den Bohnen. Mir kam ein Duft entgegen, der mich sofort an Campino Himbeer denken; ein cremiger, weicher Geruch mit ganz klaren Fruchtnoten. Dann bereitete ich mir einen Kaffee zu, denn jetzt war ich doch sehr gespannt. In meine Aeropress passen eh nur 200 ml Wasser, daher war die Variable schon mal weg. Ansonsten benutzte ich 14 Gramm halbfein gemahlenes Kaffeemehl und ließ es wie beschrieben drei Minuten ziehen. Der Kaffee duftete deutlich nach heller, fast unreifer Kirsche, schmeckte kaum nach Röstaromen, sondern frisch und fruchtig und ja, nach Kirsche bzw. nach Cranberrys. Die blieben als Abgang im Mund. Mir war es fast ein bisschen zu wenig Kaffee, denn eigentlich mag ich ja die kräftigen, holzigen Sorten lieber als die fruchtigen. Aber sowas hatte ich noch nie getrunken und war sehr verzückt. Jetzt gerade beim Tippen steht die nächste Tasse neben mir, dieses Mal mit gut 80 Grad heißem Wasser statt wie gestern mit 90 Grad heißem zubereitet. Hier verfliegt die Frucht deutlich schneller. Memo to me: ruhig das heißere Wasser nehmen.

Bis hierhin war ich noch gut gelaunt. Dann erfuhr ich allerdings per Mail, dass mein Lieblingsrestaurant in Hamburg zu Ende Mai seine Pforten schließt. Gut, dass ich noch einmal da war. Auch irgendwie passend, dass das ausgerechnet mit Kai war. Fühlt sich gerade wie noch ein Haken hinter Hamburg an.

Und dann gab’s Fußball. Ich bin ja grundsätzlich über Leute verspannt, die nie Fußball gucken, aber wenn, dann sollen die blöden Bayern bitte verlieren. Gestern war ich genauso drauf: Mir ist Liverpool herzlich egal, aber sie sollen bitte das blöde Real schlagen. Taten sie leider nicht. Aber hey, wir hatten Hackbällchen, Chips und Gin Tonic. Und das erste Tor von Bale war großartig.

Blätter, die die Welt bedeuten

Über die Blümchen, die auf Bühnen überreicht werden. Auch noch nie drüber nachgedacht, aber gerne gelesen:

„Es gibt jedenfalls auf dem Konzertpodium kaum ein effektiveres Mittel, einen Geiger, Pianisten oder Dirigenten gewaltlos auszuschalten, als ihm einen Blumenstrauß in die Hand zu drücken. Jetzt noch eine Zugabe spielen: unmöglich. Den Strauß weglegen: Ja, aber wohin? Auf dem Notenpult drohen Flecken auf der Partitur. Auf den Boden legen ist als Geste schwierig – Geschenk ist Geschenk. Zumal ein Blumenbouquet im Liegen auch nicht gut aussieht. Ansehnlich, rutschfest und quetsch­sicher ließe sich ein Strauß höchstens im Schalltrichter der Tuba verstauen. Am besten wäre es, dem Blumenboten den Strauß gleich wieder mitzugeben (an manchen Abenden bemerkt der Künstler im Rausch des Applauses ohnehin erst nach langen Sekunden, dass da jemand steht und in den Blumenstrauß lächelt). […]

Der mit Abstand schlechteste Platz zum Deponieren des Straußes ist der Konzertflügel. Es gibt zwar neben dem Notenpult eine kleine Fläche, die wie dafür gemacht scheint, aber Klavierbauer raten dringend davon ab: Ein auf den Flügel fallender Kronleuchter könnte vermutlich auch nicht mehr Schaden anrichten als ein noch blumenwasserfeuchter Rosenstrauß, den der Pianist beim Verbeugen mit einer ungeschickten Armbewegung in die Filzhämmerchen-Mechanik über dem Resonanzboden stößt (wenn Sie glauben, dies wäre an den Haaren herbeigezogen, irren Sie sich leider).“

Brabbelbrabbel HeimatNation brabbel

Über die Taktik von rechter Sprache: „Provozieren, relativieren, immer wieder die gleichen Begriffe platzieren: Der rechtsextreme Sprech ist als Grundrauschen in den Alltag eingesickert.“

„Die Frage „Kann man mit Rechten sprechen?“ ist daher falsch gestellt. Rechts-Sprech ist weder auf Dialog noch auf einen argumentativen „Sieg“ hin ausgerichtet, sondern funktioniert vor allem als semantisches Obstruktionsmittel. Wie im Fall Weidel wird das Sprechen zum Angriff auf Sprache und Logik selbst: In George Orwells Neu-Sprech aus „1984“ geht es darum, die Sprache so zu reduzieren, dass Zweifel und Kritik nicht mehr möglich sind. Der Rechts-Sprech funktioniert in derselben Weise: Die Reduktion macht eine kritische Auseinandersetzung ebenso unmöglich wie das taktische Nichtverstehen, die Besetzung der Diskurse durch vorrationale und nicht verhandelbare Begriffe (Heimat, Volk, Nation, Wert und Rasse beschreiben keinen Umstand, keine Erscheinung, keine Form, sondern ausschließlich den emotionalen Kern einer Ermächtigung) und schließlich die Wiederkehr der immer gleichen semantischen Floskeln. Es handelt sich um nichts anderes als um einen semantischen Krieg.“

The first cut is the deepest

Nele Heise schreibt darüber, dass durch die DSVGO Stimmen von Kindern und Jugendlichen im Internet kein Gehör mehr finden, weil sie keinen Zugang mehr zu sozialen Netzen haben.

„Es war Dienstag. Irgendwann am Abend. Ich höre ein Klappern der Kinderzimmertür, verwundert war ich natürlich, so spät noch, morgen Schule. Als ich das Zimmer betrete, liegt dort ein schluchzendes Kind, zusammengerollt auf seinem Bett. Was passiert sei, frage ich besorgt. Es habe nochmal auf sein Telefon geschaut. Und da habe gestanden, dass sein Instagram-Profil gelöscht sei. Und dann habe es versucht, das irgendwie zu ändern. Und jetzt wisse es nicht, was es tun soll. Und alles sei furchtbar. Und …

Mir blieb dann nichts weiter, als zu versprechen, dass wir helfen. Uns gleich am nächsten Morgen darum kümmern. Dass bestimmt alles wieder wird. Heute, eine Woche später, ist der Account immer noch gelöscht. […]

Da wird einem nicht nur ein Fixpunkt entzogen, um den sich die eigene kleine Welt gedreht, und der fraglos einen wichtigen Teil des adoleszenten Ichs ausgemacht hat. Denn: Mit dem hier wird Aufwachsenden nicht nur eine eigene (mit anderen Fans geteilte, identitätsstiftende, vor allem auch emotional so bedeutsame) Welt entzogen. Sondern auch die Möglichkeit, in die große, andere Welt da draußen zu blicken, gar in ihr selbst zu wirken. Durch eigene Postings, Kommentare, der Kommunikation mit anderen (direkt, öffentlich oder privat). Digital teilzuhaben, wenn man so möchte. Ein Anspruch – ein Recht vielleicht sogar -, das auch Kindern zusteht, zustehen sollte.“

(via Señor Rolando)