Tagebuch, Mittwoch bis Freitag, 30. Mai bis 1. Juni 2018 – Kombiniere, kombiniere
Mittwoch – Archivarbeit und Biergarten (beste Kombi EVER!)
Nachmittags hatte ich einen Termin im Lenbachhaus, das einen Teil des bildlichen Nachlassen von Carl Theodor Protzen verwaltet. Dem Lenbachhaus und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen wurden 1967 Bilder und Dokumente hinterlassen mit der Auflage, eine Gedächtnisausstellung zu machen. Die fand 1976 statt, und ich hoffte, in den beiden Häusern noch ein bisschen mehr zu finden als „nur“ Korrespondenz oder Unterlagen zur Ausstellung, wobei ich über die auch schon froh gewesen wäre.
Nach Sichtung des schriftlichen Nachlasses in Nürnberg kann ich Protzen immer noch nicht so recht fassen. Im Nachhinein merke ich, wie wenig Material zu Leo von Welden gereicht hat, um eine gute wissenschaftliche Fragestellung zu formulieren bzw. neue Dinge über ihn herauszufinden und alte zu versammeln, in einen Zusammenhang zu bringen und ein hoffentlich rundes Bild über seine künstlerische Tätigkeit zu verfassen. Ich hatte einen schmalen Ordner mit beruflicher Korrespondenz, einen etwas dickeren mit privater (darunter bergeweise Urlaubspostkarten, aber auch auf denen hat er gerne über seine Malerei geschrieben), habe diverse Archive durchwühlt und konnte mit seiner Tochter sprechen, die mich auf Fotos, Geschehnisse oder Personen aufmerksam machte.
Bei Protzen habe ich, wie gesagt, bisher nur den schriftlichen Nachlass in Nürnberg, der leider immer dünner scheint, je länger ich über den Herrn Kunstmaler (Eigenbezeichnung) nachdenke. Ich habe Abbildungen seiner fast 700 Ölgemälde (vermutlich halbwegs ungeschönt, zumindest sind alle Bilder, die auf der GdK waren, da, aber ob er 100 Kohlezeichnungen von Gauleiter Wagner gemacht hat, weiß ich schlicht nicht), Fotos seiner grafischen Arbeiten, zum Beispiel für Weihenstephan von vor 1933 und nach 1945, was mich vermuten lässt, dass er auch dazwischen für das Unternehmen tätig war; da werde ich auf jeden Fall noch wühlen aka die Firma anmailen, ob sie ein Archiv haben. Im bayerischen Wirtschaftsarchiv habe leider nichts Relevantes gefunden. Dann habe ich bergeweise private Fotoalben, wenige Zeitungsausschnitte und ebenso wenig Korrespondenz; Briefe von ihm selbst nur drei oder vier, habe ich gerade nicht im Kopf, aber die waren recht unaussagekräftig.
Eigentlich habe ich nur zwei Stellen, die mir ein bisschen was erzählen; einmal einen Brief von Protzen an seinen Vater vom 19.2.1929, der immerhin klar macht, dass er bisher noch nicht von seiner Malerei leben konnte (daher wohl auch die Auftragsillustrationen für die Milchwirtschaft):
„Erst haben wir für eine Ausstelung (sic) in Essen gearbeitet. Dann habe ich eine solche hier beschickt[,] die noch hängt. Ein dritte steht uns bevor[,] ohne dass etwas neues dafür da ist, ohne das (sic) man dazu kommt und fehlen sollte man nicht, denn genug andere warten auf den Platz. Es ist das stets eine Jagd. Und der Erfolg – Nichts bisher. – Als einige Kritiken die ermuntern. – Aus all der anderen Arbeit ist nicht so viel entstanden[,] dass es zu dem reicht[,] was man in der Zwischenzeit zum Leben brauchte. – Also ein halbes Jahr ohne eigentlich ein Verdienst.“
Dann fand ich noch eine Stelle interessant, die in einem Brief seiner Schwester an ihn steht, 16.10.1933:
„Liebes Brüderlein, zu Deinem Geburtstage möchte ich Dir recht von Herzen alles Gute wünschen. Vor allem Gesundheit und dann aber gleich Erfolg im Schaffen. – In diesen Tagen wurde der Grundstein zum neuen Glaspalast gelegt [–] möge er im reichen Masse (sic) gut machen, was der Alte (sic) an Verlusten brachte. Ganz München feiert ja jetzt die Kunst u. den Künstler, ich sehe es als ein gutes Omen für Dein neues Lebensjahr!“
Aber das reicht natürlich nicht, um wirklich etwas über den Maler Protzen und seine Kunstauffassung sagen zu können. Ich fand es aber spannend zu sehen, dass die neue Stellung Münchens als „Stadt der deutschen Kunst“ anscheinend sehr schnell im Bewusstsein angekommen war. Der „Grundstein zum neuen Glaspalast“ war natürlich der Grundstein für das Haus der deutschen Kunst.
Worüber ich gestern abend im Gespräch mit F. gestolpert bin: Jemandem, der eher mieses Deutsch schreibt, traue ich nicht so recht zu, den Satz formuliert zu haben, der den Rahmen seines vermutlich bekanntesten Werks ziert: „Rodet den Forst – Sprengt den Fels – Überwindet das Tal – Zwinget die Ferne – Ziehet die Bahn durch Deutsches Land“. Es ist die einzige „Textstelle“, die seine Bilder ziert; ich vermute stark, dass der Satz von jemandem anders stammt, aber ich kann das noch überhaupt nicht belegen. Er erinnerte mich nur an schwärmerische bzw. programmatische Publikationen über die Reichsautobahn, die ich schon gelesen hatte. So schrieb zum Beispiel Emil Maier zu Erna Lendvai-Dircksens Fotografien der RAB: „Wie ein wogender Wal auf weitgedehnter Dünung / Tauchen und steigen die ewigen Straßen.“ (Lendvai-Dircksen, Erna: Reichsautobahn. Mensch und Werk, Berlin 1937, o. S.) Oder Herybert Menzel:
„Es ist der bildhaft gewordene Triumph menschlich-göttlicher Gemeinschaftsschöpfung; der Funke, der Gedanke, der Einfall selbst ist hier versteint und wir brausen auf ihm dahin, grüßen euch, Hügel, grüßen dich, türmige Stadt, euch, Dörfer im Grünen, dich, Strom, und dich, Himmel darüber! Deutschland, hier liegt es uns herrlich ausgebreitet, ein Stück nur von ihm, weiter, weiter, wir wollen es heut nicht im Kleinen, Verwinkelten geießen, immer größer, immer vielgestaltiger soll es uns ans Herz fliegen, daß wir es wissen, wie reich wir sind und wieviel von ihm wir uns noch zu erobern haben.“
(Menzel, Herybert: „Ohne Titel (Einleitung)“, in: Harz, Hermann: Das Erlebnis der Reichsautobahn – ein Bildwerk. Dem Schöpfer der Reichsautobahnen Reichsminister Dr. Ing. Fritz Todt zum Gedächtnis, München 1943, o. S.)
Aber zurück ins Lenbachhaus. Ich hatte mit der Bibliothek gemailt, weil ich den Ausstellungskatalog von 1976 sehen wollte, und dem hauseigenen Archiv, bei dem ich schlicht nicht wusste, was es alles gab. Außerdem bat ich um eine Bilderliste, möglichst mit Abbildungen, damit ich diese vergleichen kann mit den Fotos im Nachlass. Die Bilderliste habe ich jetzt; der Katalog war nur eine geheftete Blattsammlung, die schon dem Nachlass in Nürnberg beilag. Die kurze Korrespondenz zur Ausstellung habe ich sehr amüsiert gelesen, und ich habe immerhin noch ein paar Werke und Leihgeber gefunden, die ich noch nicht kannte. Die bzw. deren Nachkommen werde ich hoffentlich ausfindig machen können, um sie mit Fragen zu Protzen zu belästigen bzw. um eventuell doch noch Briefe von ihm zu finden. Aber generell war ich etwas ernüchtert nach den drei Stunden in der Lenbachhaus-Bibliothek. Im Laufe des Vormittags hatten sich auch die Pinakotheken gemeldet, die anscheinend noch weniger zu ihm haben – vermutlich die gleiche Ausstellungskorrespondenz und sonst nichts. Gucke ich mir natürlich auch noch an, aber: hm. So richtig glücklich war ich nicht, dass ich so schnell in so viele Sackgassen rannte. Vor allem, weil diese beiden Institutionen diejenigen sind, die seine ganzen Bilder verwalten (das Historische Museum in Berlin hat auch noch ein paar Bilder, aber vermutlich nichts Schriftliches). Daher war ich davon ausgegangen, dass mindestens hier noch etwas Spannendes zu finden wäre. Leider nein.
Dafür war der Abend umso netter: Ein Bekannter aus Fußballkreisen feierte im Biergarten seinen Geburtstag, ich bekam nicht nur ein, sondern gleich zwei Radlermaß ausgegeben, weswegen eine dritte noch locker drin war, und ging dann sehr beschwingt mit F. nach Hause.
(Nein, das ist nicht mein iPhone, das da unter dem Maßkrug liegt. Aber ein tolles Licht geben diese Handytaschenlampen!)
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Donnerstag – Kunst gucken und Eis essen (beste Kombi EVER!)
F. und ich mussten sehr lange schlafen, weil wir sehr viel Bier getrunken hatten. Glücklicherweise war Donnerstag Feiertag, wie hier in Bayern ja dauernd irgendwie Feiertag ist. Alles richtig gemacht.
Erst gegen 11 konnte ich mich dazu aufraffen, aufzustehen und mich ausgehfein zu machen. Mein Ziel war die erste Location, über die wir im neuen Fehlfarben-Podcast sprechen, den wir heute aufnehmen, falls wir nicht vorher geschmolzen sind. Ich war länger in der Ausstellung als ich dachte und hatte mir danach total ein Eis verdient. Anscheinend hatten aber alle Münchner*innen sich total ein Eis verdient: Beim Ballabeni standen doch recht viele Menschen in der Schlange, was für einen Tag bei 28 Grad normal ist, mich aber trotzdem recht mürbe machte. Aber was tut man nicht alles für ein richtig gutes Eis.
War‘s wert. pic.twitter.com/3a00Q8ybq5
— Anke Gröner (@ankegroener) 31. Mai 2018
Himbeer und Haselnuss, der Probierlöffel Vanille-Tonkabohne war schon weg, bevor ich ans Fotografieren dachte.
Nachmittags wie immer Masterchef Australia geguckt, dazu Brezn mit Brie. Auf der Suche nach einer neuen Serie begann ich mit Suits – ich bin sehr spät auf der Party, aber bis jetzt finde ich diesen Kram recht unterhaltsam, auch wenn mir die üblichen grinsenden Anwaltskerle ein bisschen auf den Zeiger gehen und Frauen in der Serie anscheinend nicht auf Schuhen unter zehn Zentimeter Absatz gehen können.
Zwischendurch genoss ich den irren Regen, der plötzlich runterkam und fürchtete mich ein bisschen vor dem sehr lauten Donner, der sehr hellen Blitzen folgte. Dafür war die Wohnung danach ein bisschen kühler und man konnte abends kuscheln, ohne zu kleben.
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Freitag – Bibliothek und Kundenlob (beste Kombi EVER!)
Den Vormittag verbrachte ich in der Stabi, um werbezutexten. Das ging ganz gut, aber so richtig glücklich bin ich mit den Texten noch nicht. Rumliegen lassen, Montag nochmal rübergehen, wird schon passen. Zusätzlich erledigte ich Kundenkorrekturen an anderen Texten.
Danach ging ich einkaufen, las Zeitung und wartete dann auf ein Kundentelefonat, für das wir uns per Mail verabredet hatten. Die Kundin hatte mir schon per Mail mitgeteilt, dass sie die Texte „super“ fand, daher erwartete ich nur geringe Korrekturen. Es kamen aber gar keine – die Kundin wollte mir nur noch mal persönlich sagen, dass das eine, Zitat, „Punktlandung“ gewesen war, sie hätte nichts zu beanstanden, bitte abrechnen, gerne wieder. Das hätte sie noch nie gehabt, dass Texte gleich beim ersten Versuch so perfekt waren. Das hat mich sehr gefreut und ich konnte im Gegenzug sagen, dass ich das auch noch nie hatte.
Dafür waren die Nachrichten aus dem Bundesarchiv, das ich vor einigen Wochen angemailt hatte, weniger gut: Es gibt zu Protzen nichts. Also nichts außer die übliche Nachfrage der Partei, ob der Künstler irgendwie bedenklich wäre, bevor man ihn in die Reichskammer der bildenden Künste lässt. Das Ding kannte ich schon von Leo, und zu Protzen stand noch weniger auf dem Auskunftsbogen. Ansonsten: nichts. Keine Parteimitgliedschaft (immerhin), aber eben auch sonst nichts. Bisher hatte ich Protzen als eindeutig präsenter in der Kunstlandschaft eingeschätzt als von Welden, aber vielleicht war das gar nicht so.
Ich ahne, dass meine Dissertation nun in eine Richtung geht, die ich noch nicht einschätzen kann. Meine ursprüngliche Idee scheint sich aber gerade aufzulösen, weil ich schlicht kein Material für sie finde. Ganz aufgegeben habe ich aber noch nicht; ich wühle noch ein bisschen weiter, damit ich irgendwann wenigstens für mich sagen kann, dass ich alles versucht habe, um an alle noch auffindbaren Quellen zu kommen. Wenn ich das eh alles nur noch zum Spaß mache, kann ich mir auch noch ein bisschen Zeit geben. Und der Diss eine andere Fragestellung.