Berlin, only ten weeks to go

Ich bin jetzt mit Unterbrechungen seit Mai, Juni, richtig als Wochenendpendler seit Juli in der Stadt. In dieser Zeit habe ich dieses kleine ranzige Städtchen mehr in mein hanseatisches Herz geschlossen als ich mir das vorher hätte träumen lassen. Vor einigen Wochen stieg ich am Montagmorgen wie immer um kurz nach 9 am Hauptbahnhof aus, um die S-Bahn zum Hackeschen Markt zu nehmen. Vom Bahnhof aus kann man schon den Fernsehturm sehen, den ich auch mit ein bisschen Halsrecken aus meinem Agenturfenster sehen kann, und ganz plötzlich dachte ich: zuhause.

Normalerweise denke ich „zuhause“, wenn ich mit dem Auto über die Elbbrücken in die Stadt fahre. Oder wenn ich aus der S-Bahn die Fontäne in der Binnenalster sehe. Oder wenn der Zug nach dem doofen Hamburger Hauptbahnhof, an dem ich nur aussteige, wenn’s nicht anders geht, im kuscheligen Altona ankommt, wo meine erste Hamburger Wohnung war. Neuerdings bin ich aber meist nur noch zwei Tage die Woche in Hamburg, und auf einmal ist die Stadt, in der ich fünf Tage verbringe, zuhause. Beim Anblick des Fernsehturms habe ich gelächelt – und mir sofort gesagt, neinnein, böse Anke, das ist nicht zuhause, ditte ist zwar Balin, wa, wo alle Leute so lustig reden, dass mir immer das Herz aufgeht, aber ditte ist nicht zuhause.

Um Hamburg, meine Perle, nicht zu verstimmen, bezeichne ich Berlin jetzt als mein zweites Zuhause. Das liegt aber nicht nur daran, dass ich neuerdings mehr Zeit an der Spree verbringe als an der Alster. Das liegt auch daran, dass ich hier ein anderes Leben führe als zuhause (ihr wisst schon, das erste).

Ich wohne seit zwei Jahren zum ersten Mal wieder alleine. Das ist mir anfangs gar nicht so aufgefallen, weil ich da in Hotels und Youth Hostels und was sonst noch so frei war, genächtigt habe. Seit Mitte August habe ich aber eine Wohnung – und damit einen Kühlschrank statt Starbucks, einen Staubsauger statt Zimmermädchen und einen Einkaufszettel statt Foodcourt im Alexa. Auf einmal habe ich zwei Haushalte, und einer davon gehört mir ganz alleine. Der Kerl und ich sind jetzt seit fast fünf Jahren zusammen, und heute auf den Tag genau vor zwei Jahren sind wir zusammengezogen. Auf einmal schlafe ich aber wieder alleine ein, ich muss die Daily Show alleine im Internet gucken anstatt mit ihm zusammen im Bett, und ich kann nicht mal eben nach nebenan gehen, um an ihm rumzupuscheln. Mir fällt jetzt erst auf, wieviel Zeit wir miteinander verbringen, wenn ich in Hamburg bin, jetzt, wo ich es eben nicht mehr bin.

Aber so sehr ich diese gemütliche Zweisamkeit vermisse, so sehr genieße ich es auch, wieder allein zu sein. Ich war schon immer gerne allein; ich mag die Ruhe, ich mag es zu wissen, dass niemand um mich rumwuselt. Daher freue ich mich tagsüber immer sehr auf die kleine Butze im Prenzlauer Berg, in der inzwischen ein Berg an DVDs steht, meine Lieblingsmarmelade und mein Körnerkissen für den memmigen Rücken. Und wenn ich da bin und mit dem Kissen im Rücken DVDs gucke, freue ich mich aufs Wochenende, wenn wieder jemand um mich rumwuselt.

Und noch etwas gibt es, was mir die Zeit hier versüßt: Ich sehe Menschen wieder, die ich schon lange nicht mehr oder noch nie gesehen habe. Ein festes Mittagspausendate habe ich mit Herrn ix, der irgendwann angefangen hat, das Nuf mitzubringen. Seitdem testen wir jede Location rund um die Hackeschen Höfe und sehen uns jede Woche. Außerdem tauschen Felix und ich wild DVDs hin- und her, woran auch Herr Niggemeier inzwischen beteiligt ist, mit dem ich übrigens die bisher gackerintensivste Mittagspause verbringen durfte. Gerne wieder. Mit Maike war ich neulich im Kino, mit Frank im Blauen Band, heute abend gehen wir endlich mal zusammen essen, was wir irgendwie seit Mai planen, und ich finde es großartig, Leute wiederzusehen, die ich das letzte Mal vor vier Jahren auf der Blogs!-Lesung gesehen habe. Alexander ist mein Lieblingskinopartner geworden, und vor kurzem habe ich Stefan zum ersten Mal getroffen, dessen (inzwischen eingestelltes) Blog ich vor fünf Jahren immer gelesen habe. Vielleicht schaffen es auch Herr Dahlmann und ich mal, zur gleichen Zeit in Berlin zu sein; wir arbeiten dran. Ein Berliner Blogger, den ich vorher noch nicht kannte, hat mal geschrieben, dass er es lustig findet, dass ich anscheinend jeden Tag unter seinem Bürofenster langlaufe – was ich spannend finde, dass nicht nur die Berliner Einfluss auf mich haben, sondern ich auch auf sie.

Ich lerne gerade vieles zu schätzen, das mir gar nicht mehr aufgefallen ist. Ich lerne durch die Selbständigkeit wieder zu schätzen, wieviel Spaß mir mein Job macht. Ich gehe morgens nicht mehr in die Agentur, weil ich muss, sondern weil ich es mir ausgesucht habe, weil ich bewusst ja zu dieser bestimmten Buchungszeit gesagt habe. Ich lerne meine Beziehung wieder zu schätzen, aber ich finde es auch sehr beruhigend zu wissen, dass ich alleine noch wunderbar klarkomme. Ich merke, dass ich eine viel zu große Wohnung in Hamburg habe – und wie wenig ich mein Auto eigentlich brauche, auf das ich hier in Berlin freiwillig verzichte. Ich bin verliebt in die Berliner Tram und finde die Hamburger S-Bahnen auf einmal total doof. Ich merke, wie sehr es mir fehlt, täglich mit dem Kerl über Blödsinn zu reden, aber ich finde es schön, dass ich hier wieder etwas mehr Sozialleben habe bzw. mehr mache, um eben nicht nur DVDs auf dem Sofa zu gucken (not that there’s anything wrong with that). Ich merke auf einmal, wie gut ich es in vielen Belangen habe. Balin, wa? Du alte Rotznase. Dit jeht auf deine Kappe.