Tagebuch Freitag, 5. Oktober 2018 – Erste Male
Morgens die Espressomaschine angeschaltet, die zwei Wochen lang in ihrer Kiste stehen musste und gestern wieder an ihren Stammplatz kam, den sie auch schon in der oberen Wohnung hatte, aber der musste hier unten erstmal hergerichtet werden. Jetzt steht sie wieder repräsentativ in der Gegend rum. Laut Bedienungsanleitung soll sie 12 Stunden (oder sogar den ganzen Tag, vergessen) vorheizen, wenn man sie das erste Mal anstellt bzw. wenn sie längere Zeit nicht angeschaltet war. Im Laden, wo ich sie gekauft habe, meinte man, ein, zwei Stündchen reichten auch. Also schaltete ich sie morgens ein, um zur Mittagszeit einen Cappuccino trinken zu können und behaupte, damit irgendwie richtig zu liegen.
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Alle restlichen Umzugskartons in den Keller gebracht. Eigentlich hatte ich mir angewöhnt, bei jedem Gang außer Haus zehn mit in den Fahrstuhl zu zerren und sie unten abzustellen, aber die letzten 26 gingen mir jetzt doch auf den Zeiger, so dass ich sie in zwei Gängen in fünf Minuten nach unten schaffte (und sie mir dabei nur einmal aus der Hand rutschten). Sie standen bis jetzt in der Bibliothek, von der ich dachte, sie wäre der einfachste Raum von allen: Regale an die eine Wand, das große Ecksofa an zwei andere, den kleinen Rolltisch, den ich seit Mitte der 90er Jahre mit mir rumschleppe, irgendwo in die Mitte, damit auf ihm die ungelesenen Bücher rumliegen können, bevor sie vom Nachtisch oder meinem Rucksack ins Regal wandern, fertig. Genau dieser Raum entpuppte sich aber als komplizierter als gedacht.
Der Grundriss der Verwaltung bestand mehr aus Annäherungswerten, so dass ich am Umzugstag feststelle, dass mein Sofa fast die gesamte Fensterbreite einnahm, was es nicht sollte, weil ich nicht mehr, wie in der oberen Wohnung, aufs Sofa klettern will, um die Fenster zu öffnen oder den Rolladen herunterzulassen. Das Sofa besteht aus drei Teilen, von denen ein breiter Hocker nicht mit den Eckdingern verbunden ist, so dass ich ihn hinschieben kann, wo ich will. Bisher war er einfach eine Verlängerung einer Sofaseite, so dass ich notfalls darauf schlafen konnte, wenn mich das eigentliche Schlafsofa zu sehr nervte. Diese Verlängerung sah jetzt aber komisch aus und versperrte mir den bequemen Weg ans Fenster. Also stellte ich den Hocker gestern in die Ecke, in der bisher die Umzugskartons gestanden hatten. Im Zimmer steht außerdem noch ein Stuhl, auf dem bisher die ungelesenen Bücher gestapelt sind, denn mein Rolltisch hat es sich seit dem Moment, an dem ihn einer der Umzugsengel neben Multy ins Arbeitszimmer gestellt hat, genau da gemütlich gemacht, und ich habe mich schon daran gewöhnt, auf ihm meine morgendliche Kaffeetasse abzustellen, verdammt! Jetzt sieht es in der Bibliothek aber genau so aus, wie ich Räume nicht mag: alle Möbel einfach an der Wand lang. Daher schob ich gestern noch Sessel und Stühle aus anderen Räumen rein, schob sie wieder zurück, schob Dinge irgendwie mittig oder schräg, und jetzt lasse ich das mal ein paar Tage sacken und gucke.
Aber ansonsten ist es toll, eine Bibliothek zu haben! Auch wenn man in ihr eher Serien guckt anstatt endlich den Stapel auf dem Stuhl abzuarbeiten.
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Apropos Bibliothek: Genau in eine solche, nämlich die der Uni, ging ich in der Mittagspause, denn ich musste ein letztes geliehenes Buch zurückbringen (die Diss döst momentan etwas erschöpft vor sich hin). In den letzten Monaten hatte die Bib umgebaut, weswegen man immer in den zweiten Stock musste, um Bücher abzuholen oder zurückzubringen. Seit Kurzem hat aber die schicke neue Ausleihe geöffnet, in der man alles selbst verbuchen kann. Auch die Rückgabe ist kein Schalter mehr, hinter dem ein Studi sitzt, der mehr oder minder motiviert durch alle Bücher blättert, die man ihm hinlegt, um pseudomäßig zu überprüfen, ob man auch ja keine Seite rausgerissen oder 200 von ihnen markiert hat. Das dauerte immer ewig, und hat uns, glaube ich, alle genervt. Der Schalter ist noch da, aber jetzt besteht er aus einer Replikator-großen Box, in die man sein Buch hineinlegt, es wird gescannt und abtransportiert und man muss auch keine doofe Quittung mehr mitnehmen, die man eh sofort in den nächsten Papiermülleimer wirft. (Man kann aber, wenn man will.) Der ganze Vorgang dauert gefühlt zwei Sekunden, und seitdem frage ich mich, ob jetzt hinter den Kulissen arme Studis sitzen, die trotzdem noch alle Bücher durchblättern und überprüfen müssen, ob wir Ausleihenden nett zu ihnen gewesen sind.
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Auf dem Rückweg nach Hause kaufte ich Kirschkuchen und schmiss die Espressomaschine an. Gleichzeitig heizte ich den Backofen vor, denn ich hatte vorgestern Brotteig angesetzt. Nebenbei lief die Geschirrspülmaschine, und so saß ich irgendwann in der Küche am gedeckten Küchentisch, der nur noch ein Esstisch ist und kein Schreibtisch mehr, freute mich über den Abwaschhelfer und genoss meinen ersten Cappuccino in dieser Wohnung plus Kirschkuchen, während im Ofen mein erstes Brot in dieser Wohnung vor sich hinbuk.
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Im Bus zurück hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, zwei Studentinnen zuzuhören, die anscheinend alles scheiße fanden, was „diese angebliche Exzellenzuni“ ihnen so bietet. Ich habe nicht verstanden, ob sie jetzt gerade erst anfangen zu studieren oder schon im höheren Semester sind, aber anscheinend ist alles eine Zumutung, Arbeitsaufwand, Dozenten, Unterrichtsniveau und vermutlich auch die Mensa, aber da habe ich schon nicht mehr zugehört.
Ich bin bei solchen Tiraden immer versucht, die Betreffenden entweder liebevoll zu umarmen oder ihnen eine Kopfnuss zu verpassen und ihnen zuzuflüstern: „An der Uni herrscht Holschuld, nicht Bringschuld. Das ist DEIN Studium, also mach auch DEINS draus.“ Dir passt der Kurs nicht? Wähl einen anderen. Dir geht eine Dozentin auf den Keks? Mach nie wieder ein Seminar bei ihr. Bei Pflicht- und Einführungskursen herrschen andere Regeln, ist klar, aber dafür sind das auch Pflicht- und Einführungskurse, da müssen wir alle durch, ich nehme an, in jedem Studiengang. Aber danach ist es selbst bei dem fies verschulten BA oder MA möglich, das zu studieren, was dich interessiert, denn, hey, genau dafür bist du hier.
Um Rainald Goetz zu zitieren: Don’t cry, work.
Oder um Anke zu zitieren: Wenn du in genug sinnlosen Meetings gesessen hast, ist jeder Einführungskurs bei einem nuschelnden Professor das Paradies.
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Den neuen Stundenplan zusammengestellt. Drittes Promotionssemester, here I come.