Tagebuch Sonntag, 14. Oktober 2018 – Wahlhilfe

Mein Wecker klingelte bereits um 6 und zwar nicht, weil ich Sport treiben, sondern weil ich in Ruhe frühstücken und Kaffee trinken wollte, bevor ich mich um 7.15 Uhr ins Wahllokal aufmachte, um dort Wahlhilfe zu leisten. Ab 7.30 Uhr wuselten wir zu fünft in einer Grundschule herum, um uns noch geschätzt acht weitere Wahlräume (sehr praktisch – wenn irgendwo eine Schere fehlt, geht man nach nebenan). Wir entsiegelten die Urnen, in denen unser ganzes Arbeitsmaterial lag: die Stimmzettel natürlich (erstmal kontrollieren, ob es auch die richtigen sind), aber auch Siegel, um die Urnen wieder zu versiegeln, Stifte und Aushänge für die Wahlkabinen („Bitte nur einzeln eintreten“), Tesafilm, um diese Aushänge anzubringen und so weiter. Mich interessierte zunächst das Wählerverzeichnis, denn als Schriftführerin war das die Unterlage, in der ich meinen halben Arbeitstag rummalen würde bzw. die Wähler und Wählerinnen abhakte, die mir ihre Wahlbenachrichtigung vor die Nase hielten. Dort fand ich auch die Log-in-Daten für den Laptop, mit dem in München, wie auch schon bei der letzten Bundestagswahl, der Tag und die Stimmauszählung dokumentiert wurde.

Was anders war: Es gab nicht nur einen Stimmzettel, sondern vier (Land- und Bezirkstagswahlen), und zwei davon waren ungefähr einen Quadratmeter groß. Ich ahne, dass die Schlangen vor den Wahlräumen, über die gestern viel getwittert und geschrieben wurde, auch deshalb so lang waren, weil die Leute sich ganz in Ruhe den ganzen Riemen durchgelesen haben. Irgendwann wiesen wir die Wartenden auf unsere ausgehängten Muster hin, an denen sie sich schon mal vorab orientierten konnten, weil die Schlange gefühlt nie wirklich kürzer war oder sogar abbrach. Bei der Bundestagswahl konnten wir durchaus zwischendurch mal aufs Klo gehen, die von Wählenden mitgebrachten Crossaints oder Kaffees verzehren, aber hier musste man sich die wenigen Minuten sehr erkämpfen und ein Kollege oder eine Kollegin musste den eigenen Job kurz übernehmen, weil immer jemand wählen wollte. Was super ist! (Das sahen wir beim Auszählen am späten Abend natürlich irgendwann alle anders, sorry dafür, liebe Wählenden. Immer schön weiterwählen.)

Auch neu: Eine Radioreporterin von B2 begleitete uns eine gute Stunde lang, nahm O-Töne davon auf, wie wir mit den fitzeligen Siegeln kämpften oder eine Kollegin verzweifelt den Kloschlüssel suchte, der doch bei den anderen Wahlen immer hier so schön an der Wand gehangen hatte. Sie stellte uns auch Fragen, falls wir Zeit hatten, und ich hoffe, ich habe keinen komplett übermüdeten Quatsch von mir gegeben. Ich habe das Stück (noch) nicht online gefunden. (Edit: Danke an Heiko, der mir den Link zugeschickt hat. Müsste noch eine Woche lang hörbar sein, der kleine Schnipsel.)

Ich selbst wählte kurz vor meiner Ablösung in genau dem Lokal, in dem ich auch Wahldienst hatte, wie praktisch. Der Schichtwechsel war fliegend, ich war die letzte aus unserer Truppe, die ging, und wir versammelten uns abends um kurz vor 18 Uhr wieder, um das Auszählen zu beginnen.

Hiervon verschweige ich im Blog mal das meiste, aber die Kurzfassung: Bei der Schulung hatte uns der Leiter gesagt, wenn wir richtig gut seien, könnten wir gegen 20 Uhr mit allem durch sein. Das haben wir ihm schon damals nicht geglaubt, denn die niedliche Bundestagswahl mit ihrem einen Zettel, den wir nur zweimal nach Erst- und Zweitstimme sortieren und dann auszählen mussten, hatte uns bis um diese Zeit beschäftigt. Gestern waren es, wie gesagt, vier Zettel, und die beiden großen waren ein einziger Schmerz im Arsch. Alleine das Sortieren war deutlich mehr Arbeit als bei normal großen Zetteln. Man konnte nicht einfach mal einen Schwung an die Kollegin auf der anderen Tischseite rüberreichen, sondern musste durch den ganzen Raum gehen, weil die Dinger so viel Platz einnahmen. Man rannte sich ständig um, denn wir waren zu zehnt, worüber ich sehr dankbar war; mit den üblichen sieben Bundestagswahlhanseln wären wir vermutlich erst um 3 Uhr morgens zuhause gewesen. Und dann das Auszählen der einzelnen Stimmen. Für die Parteien war das halbwegs einfach, aber auf den beiden großen Zetteln gab es pro Partei teilweise 50 Direktkandidat*innen, die alle einzeln aufgelistet werden mussten. Nur für die Grünen – wie in großen Teilen Münchens auch bei uns die mit Abstand stärkste Kraft – brauchten wir eine Stunde pro großem Zettel.

Für mich als Schriftführerin gab es noch ein weiteres, sehr großes Ärgernis, das mich den ganzen Abend beschäftigte und irritierte und was ebenfalls dazu führte, dass das Zählen sehr lange dauerte, aber darüber blogge ich nicht. Drei Beisitzer*innen schickten wir gegen halb 12 nach Hause, wir anderen saßen noch bis halb eins und dokumentierten unser Wahlergebnis. Erst dann konnte eine der netten Beisitzerinnen die Wahltasche mit Ergebnis, Wählerverzeichnis und Zeug wegbringen, während wir anderen die Arbeitsmaterialien und sortierte Stimmzettel wieder in die Urnen verpackten, auf die der arme Hausmeister unserer Schule schon müde wartete.

Neben dem unhandlichen Zeug, das wir stundenlang in den Händen hatten, nervten natürlich auch die fiesen Kinderstühle, und ich spürte sowohl meine Füße als auch meine Lendenwirbelsäule etwas, als ich nach Hause schlich. Ich war zu aufgedreht, um sofort zu schlafen, lungerte noch ein bisschen auf Twitter herum, trank all das Wasser, was ich im Wahllokal nicht getrunken hatte, weil ich nicht gedacht hätte, es zu brauchen und deswegen nichts dabeigehabt hatte, und schlief dann fest und traumlos bis kurz vor 7. Einmal nicht den Wecker gestellt – scheint dem inneren Wachhund aber inzwischen auch egal zu sein.