Tagebuch Dienstag, 20. November 2018 – Bürotag und Reality TV
Das hatte ich mir schon länger vorgenommen: das eigene Portfolio mal wieder überarbeiten und an ein paar Agenturen bzw. Menschen schicken, mit denen ich gerne wieder zusammenarbeiten möchte. So saß ich am Schreibtisch, schob PDFs und JPGS hin und her, mailte, rief Agenturen an, um die passende Ansprechpartnerin herauszufinden (klappte nicht immer), wühlte meine Xing-Kontakte durch, bekam zwischendurch das Okay, um eine Rechnung zu stellen, von einer anderen Stelle eine Entschuldigung, weil eine andere Rechnung noch nicht bezahlt wurde, nachmittags gab’s noch ein Briefing, und dann war der Tag schon rum.
Mittags: Pasta mit Walnusspesto und Radicchio, bei mir leider total unfotogen, aber äußerst wohlschmeckend. Auf das Rezept hatte ich gestern schon verlinkt, das mache ich gerne nochmal.
Abends: Nutellabrot und Spekulatius. Immer auf die ausgewogene Ernährung achten.
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Auf Netflix lockte mich die kanadische Serie Consumed in das Kaninchenloch des Binge Watchings. Dabei rufen Familien, die in ihrem eigenen Zeug ersticken, eine sogenannte Aufräumexpertin und ihren Handwerker zu Hilfe. Sie müssen ihr gesamtes Haus einpacken – oder noch besser: dabei schon Dinge wegwerfen – und leben dann ein paar Wochen mit extrem wenigen Dingen, um, wie die Serie immer schön rumraunt, sich den wahren Problemen zu widmen, die vom angehäuften Kram überdeckt werden. Endlich streitet man sich nicht mehr darum, wie unordentlich es mal wieder ist oder dass man nicht mehr in die Garage kommt, weil dort alles vollsteht, sondern um Eheprobleme. Interessanter Ansatz, aber selbst ich als absolute Psycho-Laiin würde vermuten: Diese Diskussionsergebnisse sind nur temporär, weil das nur geborgte Zeit im Vakuum eines leeren Hauses ist.
Der Kracher kommt dann nach wenigen Wochen, wo die Familien ihr Zeug in einem Lagerhaus wiedersehen und die Ansage bekommen haben, sich von 75 Prozent von allem zu trennen. Das kriegen die meisten sogar hin, gerne mit den üblichen TV-tauglichen Sinnlosdiskussionen und Vorwürfen und vielen weinenden Kindern. Das wenige Zeug räumt die Sendung dann wieder ins etwas aufgehübschte Haus ein, wobei „aufgehübscht“ äußerst im Auge des Betrachters liegt; ich fand alle Wandfarben grauenhaft und bin sehr allergisch dagegen, dass kleine Jungs immer Abenteuer- und kleine Mädchen immer pinkfarbene Prinzessinnenzimmer kriegen, letztere gerne mit kleiner Küche drin (WTF?). Außerdem ist die Serie schon fünf Jahre alt, und damals fanden anscheindend alle lila toll. (Ich auch.)
Nach drei Monaten kommt das Fernsehteam nochmal vorbei und guckt, wie die Häuser jetzt aussehen und wie es den Familien geht. Bei den meisten kehrt, in einigen Zimmern oder Abstellkammern jedenfalls, der alte Alles-Aufheben-Instinkt wieder ein, andere haben die Kehrtwende anscheinend wirklich hingekriegt und leben nun in Wohnungen, bei denen man den Fußboden wieder sehen kann. Eine Familie hat sich getrennt, was sich aber schon während des Wegschmeißens angekündigt hatte. Und bei einer Kleinfamilie war ich etwas verstört, sowohl während des Aufräumens als auch nach drei Monaten. Das Ehepaar schien nichts lieber zu tun als einzukaufen, die Frau hortete Tupperware in Mengen, bei denen ich fast erschüttert vor dem Rechner saß. Während der Sendung kamen immer mehr Probleme zum Vorschein – die Mutter der Ehefrau dämmerte als Alzheimerpatientin vor sich hin, der Ehemann packte seine Einkäufe nicht mal aus, und statt der vereinbarten 75 Prozent von Zeug, das weggeschmissen werden sollte, waren es gerade mal 20. Nach den drei Monaten schaute das Team wieder vorbei: Das Zimmer der Tochter war makellos, sie hatte weiter ihre Ecke zum Malen und zum Geigeüben – aber der Rest des Hauses sah genauso aus wie vorher. Nicht verdreckt oder verstaubt wie bei anderen Beispielfamilien, sondern schlicht komplett überfüllt mit Zeug, das niemand braucht und von dem sich niemand trennen kann oder will und zu dem anscheinend jeden Tag neues kommt. Die Tupperwaresammlung füllt die Garage und die Garage der Schwiegereltern, aber die Ehefrau ist trotzdem gut gelaunt, weil sie jetzt wieder ins Fitnessstudio geht.
Ich weiß selbst nicht genau, warum ich das alles aufschreibe. Vielleicht weil es so einfach ist, von außen den Finger auf Probleme zu legen. Vielleicht auch, weil ich mal wieder wütend über Reality TV war, das Menschen, die offensichtlich ein paar tieferliegende Probleme haben als sich nicht zum Aufräumen aufraffen zu können, nach der Aufnahme wieder vergisst. Vielleicht auch, weil ich es gucke. Und weil ich mich unangenehm daran erinnert habe, selbst einmal nichts wegschmeißen zu können, bis eine Freundin mit ihrem VW-Bus und 40 Müllsäcken vorbeikam und mir geholfen hat, weil ich es alleine einfach nicht hingekriegt habe. Das ist jetzt 20 Jahre her und seitdem war meine Wohnung nie wieder unaufgeräumt. Es entwickelt sich manchmal irgendwo eine Ecke, in der Zeug liegt (gerne Bücher), aber so schlimm, dass ich schlicht nicht wusste, wo ich überhaupt anfangen sollte, ist es nie wieder geworden. Es hat mich erschreckt, dass die Tupperware-Frau anscheinend entweder nicht weiß, wo sie Hilfe findet oder glaubt, keine zu brauchen.
Dieser Eintrag hat keine Pointe.
Ich sollte mehr lesen.
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In diesem Sinne: 100 Notable Books of 2018. Hübsch sortiert und animiert von der NYT. Gibt es etwas ähnliches für deutschsprachige Bücher?