Favorite Entries 2008

22.12.2008

2008 revisited

(2007, 2006, 2005, 2004, 2003, 23. Dezember)

1. Zugenommen oder abgenommen?

Mir egal. Ausnahmsweise.

2. Haare länger oder kürzer?

Nothing ever happens.

3. Kurzsichtiger oder weitsichtiger?

4. Mehr Kohle oder weniger?

Mehr. Wieso hab ich mich nicht früher selbständig gemacht, wieso, wieso, wieso?

5. Mehr ausgegeben oder weniger?

Erst weniger, dann mehr. In den ersten Monaten der Selbständigkeit konnte ich noch nicht richtig einschätzen, was von dem Geld auf meinem Konto wirklich mir gehört und wonach das Finanzamt, die Krankenkasse, die KSK und sonstwer seine Finger noch ausstrecken will. Daher habe ich anfangs wieder ein braves 50er-Jahre-Hausfrauenhaushaltsbuch geführt – und erschreckt festgestellt, wieviel Geld ich im Monat zu Starbucks oder in die Videothek trage, aber auch wie wenig in Klamottenläden oder zum Friseur, bis ich so halbwegs im Gefühl hatte, wo ich finanziell stehe.

Außerdem musste ich mich an das seltsame Gefühl gewöhnen, dass nicht mehr kurz vor Monatsende die Zahl auf dem Konto automatisch nach oben geht. Was mir in den ersten zwei Monaten ein bisschen Atemnot verursacht hat. Inzwischen geht’s, auch weil ich das Glück hatte, nur in Agenturen zu arbeiten, die eine anständige Zahlungsmoral haben. Ich kenne auch freie Kollegen, die gerne mal drei Monate auf ihr Geld warten.

Anfangs hatten mir die meisten Selbständigen geraten: „Leg von allem 50 Prozent zurück und guck dir gar nicht erst die Umsatzsteuer an, die gehört dir eh nicht.“ Guter Rat, aber ich bin inzwischen dazu übergegangen, mir eine Art Gehalt zu zahlen (was ungefähr da liegt, wo es auch zu meiner Zeit als Angestellte lag) und den Rest auf ein Tagesgeldkonto zu packen. Und so freue ich mich jetzt, am Ende des Jahres, über ein angenehm gefülltes Konto – was natürlich dazu geführt hat, dass so ziemlich jede DVD-Box, mit der mich der Amazon-Newsletter gelockt hat, im Einkaufskorb landete.

6. Mehr bewegt oder weniger?

Ein bisschen mehr. Gute sechs Monate Berlin bewusst ohne Auto heißt eben auch, dauernd zu irgendwelchen Haltestellen gehen zu müssen. Meine Kondition findet es toll, und ich kann ausnahmsweise mal die ganzen Ratschläge aus Rückenratgebern bestätigen, die meinen, zehn Minuten spazierengehen am Tag bringt schon was. Ja, tut es.

Nebenbei: Wenn man fünf Tage die Woche in den dritten Stock Altbau klettert, kommen einem die heimischen zwei Stock Altbau wie ein Katzensprung vor. Ich nehme aber an, dass sich dieser wunderbare Effekt innerhalb von fünf Minuten verflüchtigt, sobald ich wieder in Hamburg arbeite.

7. Der hirnrissigste Plan?

Eine Wochenendbeziehung zu führen zwischen zwei Leuten, die wirklich gerne allein sind – und das jetzt auf einmal wieder merken.

8. Die gefährlichste Unternehmung?

Siehe 7.

9. Der beste Sex?

Siehe 7.

10. Die teuerste Anschaffung?

Kunst von Katia. Nach 20 Jahren ein neuer Fernseher. Und ich will gar nicht die ganzen Zugtickets zusammenrechnen, die ich dieses Jahr verbraten habe. (Die kann ich immerhin absetzen. Was ich in meinem Anfängerhirn immer noch gleichsetze mit: Hat mich dann ja quasi nix gekostet. Little do I know.)

11. Das leckerste Essen?

Mr. Wong mit Franzi und Jens. Auch wenn wir alles in mehreren Schüben gekriegt haben, es keine Banane mehr gab und Jens seine Ente nochmal hergeben musste.

12. Das beeindruckendste Buch?

Hape Kerkelings Ich bin dann mal weg, weil ich gar nicht damit gerechnet hatte, dass es mich so begeistert. Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (immerhin den ersten Band geschafft), weil ich es schön fand, endlich diesen Klassiker schön zu finden. Muriel Barberys Die Eleganz des Igels, weil ich es sofort verschenken musste. Und jede Biografie, die ich gelesen habe, weil jedes Leben etwas Besonderes hat.

13. Der ergreifendste Film?

Tscha. Da ist man in Berlin und hat endlich mal Millionen von OVs direkt vor der Nase – und dann ist man meist abends zu müde, um sich noch aufzuraffen, weil der Weg vom Sony Center nach Hause dann doch ne Ecke länger ist als vom Abaton nach Hause in Hamburg. Auch in die Videothek bin ich seit Monaten nicht mehr gegangen, was sonst immer meine Wochenendbeschäftigung war, weil ich an den Wochenenden lieber mit dem Kerl rumgehangen habe als alleine vorm DVD-Player zu sitzen. Daher hab ich unfassbar wenige Filme gesehen und von denen war auch keiner so ergreifend, dass er mir sofort eingefallen wäre. Nach Durchblättern der Kinokarten sag ich mal No Country for Old Men, nach Durchklicken meines Blogs dazu noch Le scaphandre et le papillon und In Bruges.

14. Die beste CD?

Eugen Onegin von Tschaikowsky. Deswegen.

15. Das schönste Konzert?

Ach, Konzerte, Schmonzerte. Ich geh lieber ein-, zwei-, drei-, viermal in die Oper. (Eigentlich sogar fünfmal.)

16. Die meiste Zeit verbracht mit …?

Gefühlt: Zugfahrt Hamburg-Berlin, Montag, 7.03 Uhr, Gleis 12, Zugfahrt Berlin-Hamburg, Freitag, 18.18 Uhr, Gleis 8.

17. Die schönste Zeit verbracht mit …?

… dem Wissen, endlich mal wieder das Richtige gemacht zu haben.

18. Vorherrschendes Gefühl 2008?

It works! It works! It really f***ing works!

19. 2008 zum ersten Mal getan?

Mich selbständig gemacht. Wochenendpendler gewesen (war nicht so glamorös wie ich dachte). Monatelang in einer fremden Stadt gearbeitet, ohne da wirklich hinzuziehen. Geld von Vater Staat gekriegt. (Gründungszuschuss. Danke, Papa.)

20. 2008 nach langer Zeit wieder getan?

Monatelang ohne Auto gewesen: Flashback in die Jugendzeit, in die ich nie wieder flashbacken wollte.

21. Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?

Um 5.30 Uhr aufstehen, um den 7-Uhr-Zug zu kriegen. Rückenschmerzen nach Schlafzimmeranstrich. Wochenendbeziehung.

22. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Mich selbst davon, nicht an Dingen zu zweifeln, an denen es nichts zu zweifeln gibt.

23. Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?

Autonomie. Ich mir selber. Geiles Zeug. Ess ich jetzt öfter.

24. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?

Zuhören. (Und einen kleinen Roboter.)

25. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

„Das bin ich ja von Anke nicht anders gewohnt.“

26. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

„Mein Tagessatz ist …“

27. 2008 war mit einem Wort …?

Guuuuuuuut.

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05.12.2008

Silber

(Das Kaffeegeschirr meiner Omi aus den 50ern und mein Silber.)

Meine Eltern sind nicht mit dem sprichwörtlichen Silberlöffel im Mund auf die Welt gekommen. Meine Mutter hat mit 14 angefangen zu arbeiten, mein Vater mit 16. Sie haben jeden Pfennig, den sie verdient haben, gespart, um sich nach und nach einen bescheidenen Wohlstand aufzubauen. Und dazu gehörte ein Alltags- und ein Sonntagsgeschirr (Zwiebelmuster versus Goldrand) und passend dazu Cromargan und ausgespülte Senfgläser für die Woche, Silber und Kristallgläser für das Wochenende. Ich bin damit aufgewachsen und finde es immer noch völlig normal, mehrere Sets von Tellern und Besteck im Schrank zu haben. Daher habe ich mich jahrelang bei anderen Leuten darüber gewundert, dass man als Gast von den „normalen“ Tellern isst und Stahlbesteck in den Händen hält, bis mir irgendwann aufgefallen ist, dass Silber und Goldrandgeschirr nicht mehr ganz en vogue sind.

Eine meiner liebsten Kindheitsbeschäftigungen (und das muss ich heute immer noch vor allen Freunden rechtfertigen) war Silberputzen und Kristallgläser polieren. Ich fand es immer märchenhaft, wenn nach Partys meiner Eltern der riesige Berg Silberbesteck vor mir lag und die glitzernde Batterie an Gläsern und Krügen. Auch wenn ich stundenlang damit beschäftigt war, es zu putzen, habe ich mich wie eine kleine Prinzessin inmitten ihrer Schätze gefühlt.

Deswegen fand ich es auch völlig normal, als meine Omi irgendwann meiner Schwester und mir verkündete, dass wir jetzt auch alt genug für eigenes Silberbesteck waren. Wir sollten uns ein Muster aussuchen, und dann würden wir in den nächsten Jahren nach und nach unsere eigene Sammlung geschenkt bekommen, hier mal zwei Messer zum Geburtstag, dort mal die große Suppenkelle zu Weihnachten. Neben den Barbiepuppen und den Büchern natürlich.

Also blätterten meine Schwester und ich in Dutzenden von Katalogen, lernten, dass es klassische Muster gibt wie eine Perlumrandung oder Spaten, dass es so seltsame Wortgebilde wie „Nachkaufgarantie für 40 Jahre“ gibt und konnten uns immer weniger begeistern. Schließlich hatten wir das schönste Besteck doch seit unserer Geburt direkt vor der Nase: das unserer Mutter. Also sagten wir Omi, dass wir genau dieses Muster auch haben wollten – was sie sehr gerührt hat. Denn lustigerweise hat sich unsere Mutter ebenfalls für das Silber ihrer Mutter entschieden, also Omis.

(Das Goldrandgeschirr meiner Großeltern aus den 40ern (?), mein Silber, Kerzenhalter von meiner Omi, grüne Teelichthalter von Ikea, Weingläser von Habichvergessen, hab ich aber mal drüber gebloggt, find ich aber grad nicht, Wassergläser von Ikea, Tischdecke von Karstadt (es gibt sie noch, die guten Dinge), silberne Platzteller von meinem Patenonkel aus der WMF-Werksverkaufhalle, Stoffservietten von meiner Mutter, geschätzt aus der Aussteuertruhe. Sowas brauch ich auch noch.)

Ich mag mein Silber sehr gerne, genau wie die Goldrandteller meiner anderen Großeltern, die ich nach ihrem Tod bekommen habe. Ich mag meine Ikea-Bestecke auch, aber ich schätze dieses Gefühl, etwas Altes und Besonderes im Schrank zu haben, und daher benutze ich dieses Geschirr auch nur, wenn Gäste da sind. Für mein Käsebrot am Abend ist es mir zu schade, obwohl ich gar nicht sagen kann, warum. Ich bin damit groß geworden, dass man „das gute Geschirr“ eben nicht dauernd benutzt, und obwohl ich sagen könnte, pffft, eben weil es so gut ist, benutze ich es jetzt jeden Tag, bringe ich es nicht übers Herz, „normales“ Essen darauf zu servieren. Das Geschirr bleibt dem Sonntagsbraten vorbehalten, den vier Gängen und einer größeren Gesellschaft als zweien. Wie bei meinen Großeltern. Und meinen Eltern.

(Verdammt, ich werde wirklich wie meine Mama!)

Nachtrag: Im Eintrag über meinen bloggenden Opa ist das Muster bzw. das Nichtvorhandensein desselben besser zu erkennen. Ganz runterscrollen.

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13.11.2008

„Grüner Glanz!“ „Blasse Hyazynthen!“ „Die roten Flammen der Rubine!“

(Bild mit freundlicher Genehmigung der Fotografin Bettina Stöß)

Nur mal kurz aus dem Doppelpräsenwahnsinn auftauchend: Falls ihr am 15. oder 19. November noch nichts vorhabt, würde ich euch gerne Puccinis Turandot in der Deutschen Oper ans Herz legen wollen. Nächste Termine sind erst Juni/Juli 2009.

Ich kann mich, ehrlich gesagt, nicht mehr daran erinnern, dass ich Turandot schonmal gesehen habe; ich glaube eher nicht, auch wenn mir einige Szenen musikalisch sehr bekannt vorkamen und man natürlich das allgegenwärtige und zu Tode gesungene Nessun dorma sowieso immer im Ohr hat. Daher hatte ich keine Referenz, um zu beurteilen, ob die Inszenierung gut ist. Aus dem Bauch raus: Ich fand’s toll. Kein Chinakitsch, stattdessen ein sehr unterhaltsames Treiben auf der Bühne, viele kleine komische Einfälle, die einen schönen Kontrast ergeben zu den großen Duetten zwischen Calaf und Prinzessin Turandot.

Die Deutsche Oper hat einen viel zu kurzen Videotrailer, der nicht so ganz rüberbringt, wie modern die Inszenierung war, aber er zeigt immerhin die wundervollen Hauptdarsteller. Dieses Mal hatte ich auch keine quatschenden Schüler in meiner Nähe, sondern nur eine dauerhustende Dame neben mir, aber das war egal, die wurde von den Chören komplett an die Wand gelärmt.

Ich überlege ernsthaft, in ein paar Tagen nochmal reinzugehen … wenn da nicht diese bereits erwähnten Präsentationen wären, die momentan so ziemlich jeden Tag lahmlegen und mich von DVDs, Kino oder menschlichen Kontakten fernhalten. Aber für die Oper musste jetzt einfach mal Zeit sein. Kopf ausmachen tut zwischendurch sehr, sehr gut. Jedenfalls war das gestern wieder einer dieser HACH!-Abende, nach denen ich dauergrinsend in der U-Bahn sitze.

(Was es mit der Ãœberschrift auf sich hat. 3. Aufzug, 1. Szene.)

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26.10.2008

„Huch? Bin ich hier richtig?“

Jaja, stimmt schon. Hier ist auf einmal alles violett lila. Kommen Sie ruhig rein, ist immer noch die Grönersche hier.

Seit Februar (seit der Selbständigkeit) habe ich eine tolle CI, in der meine Visitenkarten, Briefbögen und Zeug gestaltet sind, und die ist schwarzweißgraulila. Seitdem hat mich mein rotes Blog so einen Hauch genervt, und mir wurden die Menüpunkte zu wenig, aber im bisherigen Layout war ja kein Platz mehr, um sie zu erweitern, yadayada, kurzer Sinn: Der Herr Fischer hat sich mal meiner Webpräsenz angenommen und sie aufgeräumt und schwarzweißgraulila gemacht. Meinen hingestümperten Layoutvorschlag (mich sollte man nie an InDesign ranlassen) hat er sehr kompetent aufgehübscht, Korrekturen gingen blitzschnell und überhaupt muss ich hier mal ganz groß Werbung für den Herrn machen.

Ein paar Kleinigkeiten sind noch nicht so, wie sie sein sollen, aber das merke ich selber erst beim Rumklicken. Und ich bin wahrscheinlich eh die einzige, die im Archiv rumwühlt. Falls euch noch was auffällt, was auf einmal gar nicht mehr geht: bitte kurze Mail an mail dings ankegroener dings de.

Inhaltlich hat sich nur insofern was geändert, dass zu den Filmen jetzt auch die Serien einen Menüpunkt haben, dass die Blogroll und die Favorite Entries sich nicht mehr irgendwo im Archiv verstecken, das Impressum und der RSS-Feed etwas leichter zu finden sind und mein Gezwitscher jetzt auch im Blog zu lesen ist.

Nicht geändert hat sich die abgeschaltete Kommentarfunktion, aber die alten Kommentare sind jetzt wieder lesbar.

Das war’s schon. Keks nehmen, sitzenmachen. Enjoy your stay.

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23.10.2008

Beseelt


(Mit freundlicher Genehmigung der Fotografin Monika Rittershaus)

Ich war am Mittwoch abend mal wieder in der Oper. Diesmal nicht in der Deutschen, sondern in der Staatsoper Unter den Linden, wo Tschaikowskys Eugen Onegin gegeben wurde. Daniel Barenboim dirigierte, und als Lenski sollte Rolando Villazón auftreten, den ich noch nie live gesehen habe, sondern nur im Fernsehen. Also hab ich ein bisschen mehr Geld als sonst in eine richtig gute Karte investiert, noch drei Stunden vor Aufführungsbeginn auf der Webseite nachgeguckt, ob’s irgendwelche Änderungen gab – gab’s nicht –, mich vorfreudig in meine Opernklamotten geschmissen und mir ein Taxi gegönnt. Vor der Oper standen dann aber nicht nur wartendes Publikum, sondern auch freundliche Zettelverteiler, die jedem Ankömmling so mitteilten, dass Herr Villazón leider nicht singen könne, aber die Rolle spielen werde. Mpf.

Egal. Man ist ja nicht nur wegen des Tenors hier. Ich habe erstmal die Millionen von Kronleuchtern angeguckt, die im Haus verteilt sind, habe Ausschau nach Schulklassen gehalten, die mich nerven könnten (keine da, Karten waren zu teuer) und mich ängstlich in mein enges Sesselchen am Gang gequetscht, das mich sofort die Beinfreiheit der Deutschen Oper hat vermissen lassen. Ich mag sowohl moderne Opernhäuser als auch die kleinen, plüschigen, aber sobald ich sitze und versuche, meine Knie irgendwo unterzubringen, bin ich absoluter Verfechter der modernen Häuser. Neben mir saß eine alte Dame aus Holland mit ihrem geschätzt 50jährigen Sohn (?), der mit seinen 1,90 Körpergröße zwei Stunden neben mir gelitten hat. In der Pause entschuldigte er sich sofort, dass er mir so auf die Pelle gerückt sei, um seine Beine irgendwo unterzubringen, was ich so nett fand, dass ich im zweiten Teil mit ihm den Platz getauscht habe. Seine Mutter hat mir dann noch erzählt, dass der einzige Vorteil vom Altersschrumpfen sei, dass man wieder überall Platz habe, als es auch schon weiterging.

Aber erstmal zum Anfang: Wir saßen im ersten Rang und konnten schön aufs Parkett runtergucken, wo sich eine Dame so ziemlich mit Türenschluss noch in die zweite Reihe Mitte quetschte (Murphy’s Law: Leute, die zu spät kommen, sitzen IMMER in der Mitte). Zehn Sekunden, nachdem sie saß, kam Villazón auf die Bühne und entschuldigte sich auf Deutsch, dass er nicht singen könne, er habe eine Luftröhrenentzündung und alles versucht, aber es ginge nicht. Wir möchten ihm verzeihen und trotzdem den Abend genießen, denn es seien schließlich noch viele andere wundervolle Sänger da, ein großartiges Orchester und ein tolles Stück. Das Publikum klatschte – und die Dame aus der zweiten Reihe drängelte sich wieder zum Ausgang.

Gut, kann ich verstehen, aber nur widerwillig. Wenn ich zum, keine Ahnung, Oasis-Konzert gehe und mir mitgeteilt wird, dass Liam nicht singen kann, sie aber ne prima Alternative haben, dann hör ich mir das trotzdem erstmal an. Wenn’s doof ist, kann ich ja immer noch gehen. Aber so respektlos dem restlichen Ensemble gegenüber zu sein, sofort den Saal zu verlassen, weil EIN Sänger eine Vertretung ranlässt, fand ich dann doch ziemlich blöd. Das restliche Publikum auch, und es wurde nicht nur in unserer Ecke im Rang ein bisschen lästerlich getuschelt. (Wie die Vögel in The Birds.)

Ich kannte von Tschaikowsky bisher nur seine Ballette, ein paar Sinfonien und … äh … Kleinkram, aber noch keine Oper. Ich habe mir brav den Inhalt vorher durchgelesen, aber nicht das Libretto, vor allem deshalb, weil die Aufführung am Mittwoch nicht in deutscher, sondern in russischer Sprache mit Obertiteln war. Heißt: Ich kann entspannt mitlesen. Trotzdem habe ich in den ersten Minuten erstmal sortieren müssen, wer da jetzt gerade mit wem auf der Bühne interagiert. Denn: Die Inszenierung hatte auf den ersten Blick gar nichts mit dem Text oder der Handlung zu tun. Von Anfang an waren fast alle Beteiligten des Stücks auf der Bühne, die Sänger tummelten sich mit einigen Tänzern und dem Chor auf einer weißen Schräge, auf der sie viermal hintereinander so ziemlich die gleiche Choreografie vollführten. Dabei bewegten sich alle in streng abgezirkelten Bewegungen, deren Sinn ich meist nicht ergründen konnte. Da wurden Stühle durch die Gegend getragen, die Arme ausgebreitet, es wurde sich hingelegt, man stand wieder auf, man ging vorwärts und rückwärts einmal die Bühne rauf und runter … und das alles in Zeitlupe. Nicht nur die Bühne war weiß, sondern auch die Kostüme sahen aus wie schmutzigweiße, schlichte Umhänge, Jacken, Kleider. Ab und zu traten ein paar bunt gewandete Sänger auf und wieder ab, und das war’s. Zum Ende der Choreografie änderte sich das Licht dramatisch (z.B. von weiß zu blutrot und giftgrün), bis es schlagartig verlosch – und alles wieder von vorn begann.

Meine Simpelinterpretation wäre: Alles wiederholt sich, wir machen immer die gleichen Fehler, bewegen uns in einer vorgezeichneten Schleife und haben keine Chance, etwas zu ändern. Ich weiß nicht, ob das zu kurz gegriffen ist, aber lustigerweise wollte ich mir darüber gar keinen Kopf machen. Ich fand den Kontrast zwischen der leidenschaftlichen Musik und den hingebungsvollen Stimmen zur abgezirkelten Inszenierung so spannend, dass ich teilweise vergessen habe zu atmen – und daraufhin den ersten fiesen Hustenanfall meines Lebens in einer Oper bekommen habe. Ich hätte mich gehasst.

Es gibt moderne Inszenierungen, die mir auf den Keks gehen, weil ich sie nicht verstehe, oder weil ich nur darauf warte, dass mal wieder wer nackt über die Bühne rennt und mit Blut um sich wirft oder ähnlichen Schmonz veranstaltet. Es gibt aber auch Inszenierungen, die mich einfach erwischen, und ich kann nicht mal sagen, warum. Die hier hat mich erwischt: mit ihrer Schlichtheit, die gleichzeitig wahnsinnig kompliziert aussah, mit ihrer sehr grafischen Ausprägung und mit ihrer Dramatik, die sich gerade aus dem Fehlen jeder Dramatik ergab. Ich kann’s nicht erklären, ich weiß nur, dass ich selten so begeistert aus einer Oper gekommen bin wie Mittwoch abend. Ich bin dann so fürchterlich dankbar, dass ich an etwas so Wunderbaren teilhaben durfte, so etwas Besonderes sehen konnte. Dass es Menschen gibt mit so unterschiedlichen Talenten, die so hart dafür arbeiten, dass ich nach drei Stunden dumm grinsend im Taxi nach Hause schaukele und mich beseelt fühle.

Es hat natürlich nicht allen gefallen; natürlich war auch wieder ein Buh-Rufer in meiner Nähe, nur lustigerweise – das hab ich noch nie erlebt – wurde der von seinen Nachbarn in Grund und Boden diskutiert. Sein Gebrülle: „ES GEHT HIER UM LEIDENSCHAFT UND NICHT UM ZOMBIES!“, wurde sofort niedergeklatscht, und danach haben sich mehrere Leute um ihn geschart, um ihn zu bitten, doch zu respektieren, dass es dem Rest anscheinend gefallen habe. Woraufhin sich ein kurzer, verbaler Schlagabtausch entsponn, den ich bis zum Satz „Ich bin selber Künstler, ich weiß, wie man Tschaikowsky interpretieren muss“ mitangehört habe, bevor ich zum Sektstand geflüchtet bin.

Die stimmliche Vertretung für Villazón hat übrigens in schwarzem Anzug am Bühnenrand gestanden und bekam einen ordentlichen Applaus. Villazón ist, was ich sehr bemerkenswert fand, nicht mit den anderen Solisten zum Verbeugen nach vorn gegangen, sondern ist hinten bei den Tänzern geblieben, bis die anderen ihn nach vorne gebeten haben.

Und so hätte er sich wahrscheinlich angehört, wenn er denn hätte singen können:

Wer sich das Stück angucken möchte: Es läuft leider nur noch einmal am 25. Oktober, und ich weiß natürlich nicht, ob es noch Karten gibt.

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10.10.2008

Wie angedroht:

Martina Kink hatte vor Kurzem einen schönen Link auf das BB-Blog, das auf Nina Katchadourian und ihr Sorted-Books-Project linkte – woraufhin ich natürlich sofort ans Bücherregal eilen musste.

(Douglas Coupland, Christopher Coake, Harlan Coben, Harper Lee)

(Denis Johnson, John Steinbeck, Ernest Hemingway, Raymond Carver)

(Edward Albee, Charlotte Brontë, Debra Ginsberg, David Sedaris, Alan Sillitoe)

(Herman Melville, Edna St. Vincent Millay, Thomas Hardy, J.D. Salinger, Walt Whitman, diverse)

Geht auch auf Deutsch:

(David Trueba, Elfriede Jelinek, Tom Sharpe, Fjodor Dostojewski, Linus Volkmann)

Und brandaktuell:

(Franz Kafka, Daniel Kehlmann, Tom Wolfe, Bruno Apitz, Erich Kästner)

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01.10.2008

Berlin, only ten weeks to go

Ich bin jetzt mit Unterbrechungen seit Mai, Juni, richtig als Wochenendpendler seit Juli in der Stadt. In dieser Zeit habe ich dieses kleine ranzige Städtchen mehr in mein hanseatisches Herz geschlossen als ich mir das vorher hätte träumen lassen. Vor einigen Wochen stieg ich am Montagmorgen wie immer um kurz nach 9 am Hauptbahnhof aus, um die S-Bahn zum Hackeschen Markt zu nehmen. Vom Bahnhof aus kann man schon den Fernsehturm sehen, den ich auch mit ein bisschen Halsrecken aus meinem Agenturfenster sehen kann, und ganz plötzlich dachte ich: zuhause.

Normalerweise denke ich „zuhause“, wenn ich mit dem Auto über die Elbbrücken in die Stadt fahre. Oder wenn ich aus der S-Bahn die Fontäne in der Binnenalster sehe. Oder wenn der Zug nach dem doofen Hamburger Hauptbahnhof, an dem ich nur aussteige, wenn’s nicht anders geht, im kuscheligen Altona ankommt, wo meine erste Hamburger Wohnung war. Neuerdings bin ich aber meist nur noch zwei Tage die Woche in Hamburg, und auf einmal ist die Stadt, in der ich fünf Tage verbringe, zuhause. Beim Anblick des Fernsehturms habe ich gelächelt – und mir sofort gesagt, neinnein, böse Anke, das ist nicht zuhause, ditte ist zwar Balin, wa, wo alle Leute so lustig reden, dass mir immer das Herz aufgeht, aber ditte ist nicht zuhause.

Um Hamburg, meine Perle, nicht zu verstimmen, bezeichne ich Berlin jetzt als mein zweites Zuhause. Das liegt aber nicht nur daran, dass ich neuerdings mehr Zeit an der Spree verbringe als an der Alster. Das liegt auch daran, dass ich hier ein anderes Leben führe als zuhause (ihr wisst schon, das erste).

Ich wohne seit zwei Jahren zum ersten Mal wieder alleine. Das ist mir anfangs gar nicht so aufgefallen, weil ich da in Hotels und Youth Hostels und was sonst noch so frei war, genächtigt habe. Seit Mitte August habe ich aber eine Wohnung – und damit einen Kühlschrank statt Starbucks, einen Staubsauger statt Zimmermädchen und einen Einkaufszettel statt Foodcourt im Alexa. Auf einmal habe ich zwei Haushalte, und einer davon gehört mir ganz alleine. Der Kerl und ich sind jetzt seit fast fünf Jahren zusammen, und heute auf den Tag genau vor zwei Jahren sind wir zusammengezogen. Auf einmal schlafe ich aber wieder alleine ein, ich muss die Daily Show alleine im Internet gucken anstatt mit ihm zusammen im Bett, und ich kann nicht mal eben nach nebenan gehen, um an ihm rumzupuscheln. Mir fällt jetzt erst auf, wieviel Zeit wir miteinander verbringen, wenn ich in Hamburg bin, jetzt, wo ich es eben nicht mehr bin.

Aber so sehr ich diese gemütliche Zweisamkeit vermisse, so sehr genieße ich es auch, wieder allein zu sein. Ich war schon immer gerne allein; ich mag die Ruhe, ich mag es zu wissen, dass niemand um mich rumwuselt. Daher freue ich mich tagsüber immer sehr auf die kleine Butze im Prenzlauer Berg, in der inzwischen ein Berg an DVDs steht, meine Lieblingsmarmelade und mein Körnerkissen für den memmigen Rücken. Und wenn ich da bin und mit dem Kissen im Rücken DVDs gucke, freue ich mich aufs Wochenende, wenn wieder jemand um mich rumwuselt.

Und noch etwas gibt es, was mir die Zeit hier versüßt: Ich sehe Menschen wieder, die ich schon lange nicht mehr oder noch nie gesehen habe. Ein festes Mittagspausendate habe ich mit Herrn ix, der irgendwann angefangen hat, das Nuf mitzubringen. Seitdem testen wir jede Location rund um die Hackeschen Höfe und sehen uns jede Woche. Außerdem tauschen Felix und ich wild DVDs hin- und her, woran auch Herr Niggemeier inzwischen beteiligt ist, mit dem ich übrigens die bisher gackerintensivste Mittagspause verbringen durfte. Gerne wieder. Mit Maike war ich neulich im Kino, mit Frank im Blauen Band, heute abend gehen wir endlich mal zusammen essen, was wir irgendwie seit Mai planen, und ich finde es großartig, Leute wiederzusehen, die ich das letzte Mal vor vier Jahren auf der Blogs!-Lesung gesehen habe. Alexander ist mein Lieblingskinopartner geworden, und vor kurzem habe ich Stefan zum ersten Mal getroffen, dessen (inzwischen eingestelltes) Blog ich vor fünf Jahren immer gelesen habe. Vielleicht schaffen es auch Herr Dahlmann und ich mal, zur gleichen Zeit in Berlin zu sein; wir arbeiten dran. Ein Berliner Blogger, den ich vorher noch nicht kannte, hat mal geschrieben, dass er es lustig findet, dass ich anscheinend jeden Tag unter seinem Bürofenster langlaufe – was ich spannend finde, dass nicht nur die Berliner Einfluss auf mich haben, sondern ich auch auf sie.

Ich lerne gerade vieles zu schätzen, das mir gar nicht mehr aufgefallen ist. Ich lerne durch die Selbständigkeit wieder zu schätzen, wieviel Spaß mir mein Job macht. Ich gehe morgens nicht mehr in die Agentur, weil ich muss, sondern weil ich es mir ausgesucht habe, weil ich bewusst ja zu dieser bestimmten Buchungszeit gesagt habe. Ich lerne meine Beziehung wieder zu schätzen, aber ich finde es auch sehr beruhigend zu wissen, dass ich alleine noch wunderbar klarkomme. Ich merke, dass ich eine viel zu große Wohnung in Hamburg habe – und wie wenig ich mein Auto eigentlich brauche, auf das ich hier in Berlin freiwillig verzichte. Ich bin verliebt in die Berliner Tram und finde die Hamburger S-Bahnen auf einmal total doof. Ich merke, wie sehr es mir fehlt, täglich mit dem Kerl über Blödsinn zu reden, aber ich finde es schön, dass ich hier wieder etwas mehr Sozialleben habe bzw. mehr mache, um eben nicht nur DVDs auf dem Sofa zu gucken (not that there’s anything wrong with that). Ich merke auf einmal, wie gut ich es in vielen Belangen habe. Balin, wa? Du alte Rotznase. Dit jeht auf deine Kappe.

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26.08.2008

Ich habe die weinende junge Frau in der Tram gefragt, ob alles in Ordnung ist. Doofe Frage. Sie hat gelächelt und „ja“ gesagt und weiter still geweint. Ich hätte fragen sollen, ob ich helfen kann. Oder hätte ich lieber gar nichts fragen sollen? Weiß nicht. Wieso denke ich drüber nach, ob es richtig ist, jemanden zu fragen, ob alles in Ordnung ist, bei dem offensichtlich nicht alles in Ordnung ist? Doofe Konditionierung auf die Äffchen, nix hören, nix sehen, weggucken, weggehen. Sie hätte ja auch vom Augenarzt kommen können, Pupillenerweiterung, da heule ich auch immer danach. Da kann man doch mal fragen. Hm. Weiß nicht.

Das letzte Mal, dass ich heulend in öffentlichen Verkehrsmitteln gesessen habe, war vor gut einem Jahr, als ich gerade auf dem Weg zur Therapie war. Ich saß traurig im Bus, als eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn einstieg. Der Kleine setzte sich neben mich, während Mama nach vorne ging, um die Fahrkarten zu kaufen. Und er guckte mich lächelnd an und sagte: „Ich gehe heute zum ersten Mal zum Zahnarzt.“ Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, aber da kam auch schon die Mutter zurück, und er sagte zu ihr: „Ich habe der Frau eben erzählt, dass ich zum Zahnarzt gehe.“ Und ich hab angefangen zu flennen, ohne zu wissen, warum. Bis mir klar wurde, dass ich darauf gewartet habe, dass er sagt: „Ich habe der dicken Frau erzählt, dass ich zum Zahnarzt gehe.“

Ich bin so vieles. Ich bin klug. Ich bin unterhaltsam. Ich bin meistens freundlich. Ich habe ein Talent, mit dem ich Geld verdiene. Und ich bin dick. Und an schlechten Tagen ist alles andere egal, dann bin ich nur dick, und ich glaube, dass der ganze Rest der Welt auch nur denkt, dass ich dick bin und nichts anderes. Ich hasse es zu schwitzen, weil ich nicht will, dass alle denken, dass Dicke immer schwitzen. Ich arbeite besonders hart, weil ich nicht will, dass alle denken, Dicke seien faul. Vielleicht kaspere ich auch nur rum, weil ich die lustige Dicke sein will und nicht die traurige Dicke, obwohl ich das jahrelang war. Es ist unglaublich anstrengend, immer vorausahnen zu wollen, was der Rest der Welt wohl denken könnte, um schon im Vorfeld darauf zu reagieren. Ich dachte lange, dass alle das so machen, dass jeder sich dauernd und sekündlich fragt, ist alles in Ordnung? Störe ich grad niemanden, weil ich so bin, wie ich eben bin? Was für ein Blödsinn.

Im Moment hadere ich nicht mal so sehr mit dem Dicksein; das ist auch immer tages- oder monatsformabhängig. Ich weiß, dass ich dick bin, aber im Moment weiß ich auch, dass ich innerhalb meiner Parameter gesund bin, dass ich gut in meinem Job bin, dass ich eine puschelige Beziehung führe, eine schöne Wohnung habe und dass morgen die Sonne wieder scheint. Ich weiß auch, dass ich gut mit meinen Kollegen klarkomme, dass ich Freunde habe, Bekannte, wildfremde Menschen, denen das so gut gefällt, was ich hier auf dieser Seite mache, dass sie mir Bücher schenken und nette Mails schreiben. Und im Moment reicht das, und das Dicksein ist einfach nur eine weitere Facette, die eben zu mir gehört.

Klar, wenn eine Fee käme mit ihrem Zauberstab und mich fragen würde, was ich außer Weltfrieden und Gleichberechtigung gerne hätte, würde ich sofort sagen: Konfektionsgröße 42 für immer. Weil’s einfacher wäre. Weil niemand mehr dir Sprüche reindrückt, die du nicht verdient hast und die jedes Mal weh tun. Was man sich aber natürlich nicht anmerken lassen darf, um dem Sprüchewichser nicht die Genugtuung zu geben, dass er einen getroffen hätte. Hey, Labernase: Bei einem Dicken den wunden Punkt zu finden, IST NICHT WIRKLICH SCHWIERIG. Idiot.

Aber im Moment stört mich die größere Zahl nur wenig, z.B. wenn ich Klamotten ohne Teddybärapplikationen kaufen will oder mal die Mädchenshirts von Threadless und nicht immer die Jungsvariante, weil mir die nun mal passt. Im Moment ist alles gut. Und ich wünschte, ich hätte der jungen Frau all das in drei Worten sagen können anstatt so doof zu fragen: Ist alles in Ordnung, während ihr das Make-up verläuft.

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17.06.2008

Für Emilia zum vierten Geburtstag

Liebe Emilia,

heute wirst du vier Jahre alt. Das ist schon ziemlich alt, und du kannst auch schon ziemlich viel: Du kannst vor allem „Nein!“ sagen, was du wirklich erst lernen musstest.

Seit zwei Jahren ist nämlich Lotta da, deine kleine Schwester. Und weil die noch nicht so viel weiß wie du und so gut erzogen ist wie du, nimmt sie sich einfach dein Spielzeug, obwohl sie das nicht darf, oder will deinen Trinkbecher haben, obwohl sie selbst auch einen hat. So sind kleine Schwestern eben. Ich kenne das. Und so wie deine Eltern ab und zu „Nein“ zu dir sagen, wenn du auf viel zu hohe Dinge raufklettern oder von ihnen runterspringen willst, sagst du jetzt laut und deutlich „Nein“ zu Lotta, damit die kleine Nervensäge endlich dein Spielzeug in Ruhe lässt. Richtig so.

Eins der Dinge, von denen du bitte nicht runterspringen sollst, ist dein neues Hochbett. Oben drauf kann man prima schlafen oder lesen (GUTES KIND!), und unten drunter sind deine Tonnen von Spielzeug. Deine Eltern haben mir gesagt, dass du sehr gerne oben im Bett liegst und runterguckst. Ich muss dir allerdings ein Geheimnis verraten: Als ich einmal deine Mutter besucht habe, als du im Kindergarten warst, saß Lotta in deinem Bett und hat eins deiner Bilderbücher durchgeblättert. Und es sah nicht so aus, als wäre es das erste Mal, dass sie da sitzt … ich hoffe, du nimmst ihr das jetzt nicht übel. So ein Hochbett ist aber auch zu toll, um es nicht zu teilen. Gewöhn dich lieber jetzt schon daran, dass dir nichts mehr allein gehört. Ich kenne das.

Wenigstens dein Weihnachtsgeschenk musstest du nicht teilen. Deine Eltern haben mir aufgetragen, dir ein Wichtelbuch zu schenken, das ich natürlich erstmal selbst lesen musste, bevor ich es dir geschenkt habe. Ich hoffe, das war okay. Zu Weihnachten hast du es dann auch vorgelesen bekommen – während Lotta sich an deinem Puppenhaus zu schaffen gemacht hat und mit dem kleinen Puppenwandschrank geschmust hat. Mein zweites Geschenk war ein riesiger Schokoladenweihnachtsmann, der aber nicht ganz deinen Geschmack getroffen hat. Du fandest die goldene Glocke, die dem Weihnachtsmann als Gürtel diente, viel spannender. Gut für mich: Nächstes Jahr behalte ich die Schokolade und schenke dir nur die Glocke.

Wir haben dieses Jahr auch einige Male miteinander gespielt. Du hast neuerdings eine Holzeisenbahn, deren Schienen man zusammenstecken muss, bevor man die kleinen Waggons darauf fahren lassen kann. Das Spannende daran ist, dass man die Schienen hinlegen kann wo man will. Und wenn die Patentante schon mal da ist, kann man die Schienen ja um sie herumlegen. Wofür man auf der Patentante rumklettern muss. Zum ersten Mal in meinem Leben fand ich es toll, eine gewisse Körperfülle zu besitzen, denn anscheinend fasse ich mich ganz anders an als deine schlanken Eltern. Jedenfalls bist du fröhlich quietschend auf mir rumgekrabbelt und konntest es anscheinend gar nicht glauben, wie lange es dauern kann, über einen Erwachsenen rüberzukommen. Vor allem, wenn der sich dauernd bewegt und dir Knie oder Schultern in den Weg stellt. Kein Wunder, dass unsere Bahn nie fertig geworden ist.

Seit einiger Zeit gehst du in den Kindergarten. Und das ist ein ganz besonderer, denn es ist ein Waldkindergarten. Du kannst den ganzen Tag draußen herumtoben und buddeln und Fangen spielen … was du aber nicht machst. Anscheinend findest du es viel schöner, alleine im Wald herumzustehen und dich einfach nur umzugucken. Dein bester Freund Bruno ist genauso drauf, und so steht ihr zusammen wie zwei kleine Fliegenpilzmännchen im Wald und seht euch die Natur an. Die Betreuerinnen haben euch ein drittes Kind „dazugestellt“, damit ihr beiden Träumerle mal ein bisschen mehr in Schwung kommt, aber stattdessen habt ihr dieses Kind friedlich assimiliert, und so ist es jetzt auch ein Fliegenpilz und schaut mit euch entspannt Himmel, Bäume und Vögel an, ohne sich vom Rest der wuselnden Kindergruppe beeindrucken zu lassen.

Bruno ist meiner Meinung nach etwas mehr als dein bester Freund. Du verbringst des Öfteren deine Nachmittage bei ihm, während deine und seine Mutter ein bisschen plaudern. Ich glaube, er hat dir ziemlich den Kopf verdreht, denn wenn du bei ihm bist, vergisst du, dass du eigentlich schon aufs Töpfchen gehen kannst – weswegen deine Mutter auch immer Sicherheitswindeln dabeihat. Auch daran kannst du dich schon mal gewöhnen. Also nicht, dass deine Mutter dich mit Windeln zu deinem Freund begleitet, sondern dass Kerle dir den Kopf verdrehen und dich Dinge vergessen lassen. Zum Beispiel, dass du total toll bist und es gar nicht nötig hast, dir von irgendwelchen Kerlen den Kopf verdrehen zu lassen. Aber da reden wir in zehn Jahren nochmal drüber. Oder in 20, wenn’s nach deinem Vater ginge.

Vielleicht verliebst du dich aber nicht in einen Mann oder eine Frau, sondern in – eine Krankheit! Denn als du vor ein paar Monaten Windpocken hattest, fandest du die vielen kleinen roten Punkte zwar nervig und kratzig und überhaupt ist das Leben eines der schwersten, aber zugleich total schön. Jedenfalls hast du deinem Vater gesagt, dass, wenn du den Schlafanzug zuhalten würdest, deine Windpocken nicht rausfallen und verschwinden könnten.

Liebe Emilia, ich wünsche dir immer so viel Fantasie (auch ohne Fieber), gute Freunde, kleine Schwestern (in 30 Jahren wirst du Lotta total toll finden. Versprochen. Ich kenne das) und Eltern, die dich mit Spielzeug überschütten, so dass für mich nie was zum Kaufen übrig bleibt. Und ich wünsche dir vor allem weiterhin die Gelassenheit, deine Welt erstmal in Ruhe anzugucken anstatt hektisch mit Eimerchen und Schäufelchen in ihr rumzuwühlen.

Alles Liebe von deiner Patentante
Anke

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11.06.2008

Ein Herz geht auf Reisen

Ich lese bei Moni am liebsten ihre Reisegruppenerlebnisse. Vielleicht, weil ich mich dauernd an die eigene Nase fasse, denn ich war bereits dreimal Teil einer solchen.

Ich hatte es im Blog schon mal erwähnt: Die Konfirmationsgeschenke für Schwesterlein und mich waren jeweils eine dicke, fette Reise, wohin wir wollten. Mit der ganzen Familie. Für mich als eingefleischten Ägyptenfan, die man mit zehn Jahren fast gewaltsam von der Totenmaske des Tutenchamun in der Wanderausstellung wegzerren musste und die sich ihre Kindheit mit Büchern wie „So wurden die Pyramiden gebaut“ vertrieben hat, gab’s natürlich nur ein Ziel. Meine Schwester wollte eigentlich nach Amerika, aber der Familienrat überzeugte sie liebevoll davon, dass sie doch viel lieber nach China wolle.

Es gingen ein paar Jahre nach der Konfirmation ins Land, denn zu Schulzeiten wären ja nur die Sommerferien für große Reisen in Frage gekommen, und im Sommer will niemand nach Ägypten oder China. 1991 war es dann soweit: Ich war inzwischen acht Jahre lang konfirmiert, und endlich wurden die Koffer gepackt. Mama und Papa buchten eine Reise bei einem kulturbeflissenen Veranstalter – und wir wurden nicht enttäuscht. Unsere Reiseleiterin sprach fließend Arabisch und machte uns gleich am Anfang auf wichtige Sachen aufmerksam wie „Immer viel Wasser trinken“ und für die Mädels „Es wäre respektvoll, wenn Sie nicht allzuviel Haut zeigen und die Haare bedecken würden“. Überhaupt war das mein Haupteindruck, den die Dame vermittelte: Respekt, sowohl vor der alten Kultur als auch vor den Gepflogenheiten des modernen Ägypten. Im Gegensatz zu den local guides, die gerne mal mit schweißnassen Händen auf uralte Malereien patschten, um auf sie hinzuweisen.

Die Reiseleiterin hatte, soweit ich mich erinnere, mehrere Jahre in Ägypten gelebt und konnte daher wirklich jede Frage beantworten, die die 20-köpfige Gruppe an sie hatte. Ganz egal, welches Grab oder welches Museum (oder welchen Touriladen für Souvenirs) wir gerade besuchten, sie wusste alles und konnte zu allem kleine Geschichten erzählen, die alles fassbarer werden ließen. In so ziemlich jedem Tempel gab es Reliefs, Bilder oder Hieroglyphen, die anders waren als der Rest, und sie konnte so begeisternd davon erzählen, dass man wirklich das Gefühl hatte, gerade etwas ganz Besonderes erlebt zu haben. Am Ende der Reise ging im Bus, mit dem wir durchs Land geschaukelt sind, der obligatorische Umschlag rum, und wir füllten ihn bis zum Rand mit Scheinen. Der Fragebogen des Veranstalters konnte unsere Lobeshymnen kaum fassen.

Zwei Jahre später, China. Ich dachte, so gut wie in Ägpyten kann’s ja gar nicht werden – und wurde eines Besseren belehrt. Diesmal war unsere Reiseleiterin etwas jünger (ich schätze, Ende 20); sie hatte ein Jahr in Nanjing studiert und sprach fließend Mandarin. Auch diesmal war ein Reisebus unser bevorzugtes Verkehrsmittel. Wir sind auf unserer Reise von Peking nach Hong Kong zwar auch geflogen und mit dem Zug gefahren, aber meist saßen wir stundenlang im Bus. Nebenbei: China ist verdammt groß.

Nun hätte es sich unsere Reiseleitung ja mit einem Buch vorne im Bus bequem machen können, aber stattdessen schnappte sie sich auf jeder Fahrt das Mikrofon und erzählte, was ihr gerade so einfiel. Auf der Fahrt zur Großen Mauer, die von unserem Hotel in Peking eine gute Stunde weg war, erzählte sie uns mal eben die Stadtgeschichte der Hauptstadt. Oder sie sprach über das Klima. Über die Schulausbildung. Über die Ein-Kind-Politik. Alles, was man schon mal in Schlagworten gehört oder im Reiseführer gelesen hatte – und sie machte große Geschichten daraus. Sie erklärte uns einige chinesische Schriftzeichen, erwähnte im Süden Chinas das beliebte Sprichwort zu den dortigen Essgewohnheiten („Wir essen alles, was vier Beine hat, außer einem Tisch und alles, was fliegt, außer einem Flugzeug“) und sprach über das eher pragmatische Verhältnis der Chinesen zu Tieren. Bei dem Diavortrag, den ich nach der Reise für Freunde und einige VHS-Kurse gehalten habe, kamen die Fotos von den Märkten auch immer gut an – für uns ein Kuscheltier, für andere Leute Mittagessen.

Ihre Vorträge waren allerdings immer im Einklang mit den offiziellen Sprachregelungen, denn auf der gesamten Reise begleitete uns ein Wachhund der Partei, der brav aufpasste, dass sie nichts Falsches sagte. So war ihre Begrüßung auf dem Platz des Himmlischen Friedens dann auch eher knapp: „Das ist der Platz des Himmlischen Friedens. Er ist mit 600 mal 800 Metern der größte Platz der Welt. Sie haben eine Stunde Aufenthalt.“

Aber abends, wenn der Wachhund in seinem Hotelzimmer lag, gab es Nachschlag für die, die noch Lust hatten. Dann hieß es beim Abendbrot ganz offiziell: „Ich würde gerne mit Ihnen noch kurz über den morgigen Tagesablauf sprechen – vielleicht treffen wir uns in einer halben Stunde noch in der Lobby?“ Was übersetzt hieß: Ich hätte da noch was zu erzählen über die Situation von Behinderten in China, von religiösen Minderheiten oder die Stellung der Frau.

Der Höhepunkt dieser Heimlichtuereien war ein Besuch bei einem ehemaligen Studienkollegen der Reiseleiterin in Nanjing. Sie hatte uns ausreichend Taxen organisiert, die alle brav vor dem Hotel warteten und sofort losfuhren, als wir drinsaßen. Unsere Fahrt endete in einem gewöhnlichen Mietshaus und einer Zwei-Zimmer-Wohnung, in deren einem Zimmer sich plötzlich 25 Europäer auf dem Fußboden um einen amüsierten Chinesen herumsetzten, der uns auf Englisch etwas über den Alltag in China erzählte.

Auch das chinesische Essen war mit ihr etwas Besonderes: Sie hat uns nämlich nie gesagt, was wir da gerade auf den Tellern vor uns haben. Ihr Standardspruch: „Sie kosten jetzt erstmal, und dann sag ich Ihnen, was es war.“ So habe ich Maden gegessen (die waren im Reis versteckt!), Hühnerkrallenhaut, Froschschenkel, Qualle (angeblich), Rinderspeiseröhre und weißdergeier was noch. Und lustigerweise hat alles geschmeckt.

Auch hier war am Ende der Reise der Trinkgeldumschlag meterdick, und ich habe angefangen, Studiosus jedem und jeder weiterzuempfehlen.

Nach der Reise nach Israel, die nur meine Mutter und ich gemacht haben (meine Schwester ist dafür mit Papa auf die Philippinen geflogen, wo Papa früher gearbeitet hatte), bin ich damit etwas vorsichtiger geworden, denn da hatten wir das genaue Gegenteil der Traumreiseleiterinnen. Die Dame konnte kein Hebräisch (Englisch reden kann ich auch alleine), blätterte gerne nochmal im Reiseführer, bevor sie uns irgendwas erzählte und kam meistens als letzte zum Reisebus, in dem sie dann noch schnell ein Nickerchen machte, bevor mal wieder eine Besichtigung stattfand. Die waren auch eher von „Gucken Sie sich ruhig um – wir sehen uns in einer Stunde im Bus!“ gekennzeichnet anstatt von begeisternden Führungen. Trotzdem habe ich natürlich viel gesehen und viel mitgenommen, aber dieses Gefühl, etwas ganz Besonderes geschenkt bekommen zu haben, hat sich überhaupt nicht eingestellt.

Inzwischen reise ich lieber alleine und gucke mir an, worauf in spontan Lust habe. Aber ich weiß, dass ich sicher nochmal eine Gruppenreise buchen werde, denn so nervig es ist, sich selbst im Urlaub mit irgendwelchen Nasen arrangieren zu müssen, so toll ist es auch, eine perfekt geplante Reise auf dem Silbertablett serviert zu bekommen.

PS: Ich kann’s ja doch nicht lassen: Auf der Wikipedia-Seite zu Tutenchamun findet sich dieser Link zu einer unglaublichen Sammlung von Fotos von der Ausgrabung durch Howard Carter. Obacht, stundenlanges Festlesen und Rumklicken garantiert. Also bei mir jedenfalls. („Oooooh, die Alabastergefäße für die Eingeweide …“)

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03.06.2008

884

Ich habe selten schlechter geschlafen als nach dem Film, den ich Freitag abend in der ARD gesehen habe: Eschede Zug 884. Er wird heute abend im NDR um 21.45 Uhr wiederholt; falls also jemand eh vor hat, die ganze Nacht wachzubleiben – das wäre ein Tipp. Mich hat vor allem der Mann verfolgt, dem sein Bestatter weinend geraten hat, doch bitte nicht in die Särge zu schauen, in denen seine Frau und seine zwei Kinder liegen.

Der Film ist eine Mischung aus Aussagen von Überlebenden, Angehörigen und Helfern und Spielszenen, die sich anfangs ein bisschen nach Theater-AG anfühlen, einen aber nach kurzer Zeit dann doch erwischen. Vor allem natürlich, weil sie inhaltlich so schwer zu verdauen sind, denn wir wissen ja, wie die Zugfahrt endete.

Die Katastrophe von Eschede wird für mich immer – politisch völlig unkorrekt – ein bisschen absurd bleiben, denn ich habe von ihr per Mail erfahren, die mich eher zum Lachen als zum Weinen gebracht hat. Ich hatte die ganze Nacht gekellnert, war wahrscheinlich erst gegen 7 Uhr morgens oder noch etwas später zuhause und habe dementsprechend erst einmal Minimum 7 bis 8 Stunden geschlafen. Nach dem Aufstehen bin ich an den Rechner gegangen und habe meine E-Mails gecheckt – und eine war von Karl, der mir in seinem, für diesen Moment komplett unpassenden, niedlichen Deutsch sinngemäß schrieb: „Deutscher Zug kaputt, machen viele Menschen tot.“ Woraufhin ich erstmal den Fernseher angeschaltet habe.

Karl hat mir immer von den deutschen Zügen vorgeschwärmt, die ich ja als völlig normal empfinde und mir daher noch nie großartig Gedanken um sie gemacht hatte. Er war jedenfalls kaum davon wegzukriegen, jeden nur erreichbaren Weg mit der Bahn zu erledigen. Klar haben wir auch die standesgemäße Fahrt auf der Autobahn absolviert (“As fast as I want? Really?” – “Yup.”), aber das hat ihn weniger beeindruckt als unsere Züge. Vor allem der ICE hatte es ihm angetan: seine Geschwindigkeit, seine Sauberkeit, überhaupt das ganze Erlebnis „Bahnfahren“, was wir ja eher als „Muss halt sein“ hinnehmen, war für ihn jedesmal ein Urlaub im Urlaub.

Am letzten Tag seines ersten Deutschlandaufenthalts habe ich mich frühmorgens mit ihm zusammen in Hannover in den ICE gesetzt, um mich erst in Frankfurt von ihm verabschieden zu müssen. Karl war völlig überdreht und schwankte ständig zwischen Vorfreude auf Zuhause, dem Abschied von seinem, wie er es nannte, zweiten Heimatland – und der anscheinend nie versiegenden Freude, in einem ICE zu sitzen.

Seitdem bin ich etwas gnädiger mit der Bahn. Ich ärgere mich nicht mehr über Verspätungen im Minutenbereich, weil es einfach lächerlich ist, sich über sowas aufzuregen. Ich versuche es zu genießen, dass ich mit einem Buch vor der Nase bequem von A nach B chauffiert werde, anstatt mir die Autobahn mit lauter Irren zu teilen, die nicht wissen, was das Wort „Sicherheitsabstand“ bedeutet, was, wenn man mal kurz darüber nachdenkt, schlimmer ist als der zu laute iPod des Nebenmannes oder das Dauertelefonat des Businesskaspers vor einem im Zug. Auch wenn beides nervt.

Ich fühle mich im Zug nie unsicher. Ich denke zwar ab und zu darüber nach, warum man im Flugzeug angeschnallt ist, aber nicht in der Bahn, aber eigentlich hätte ich noch lieber Sicherheitsgurte in Bussen, weil die Jungs gefühlt immer zu schnell fahren.

Ein entfernter Bekannter von mir, zu dem ich keinen Kontakt mehr habe, hat im Zug 884 gesessen. Ich habe damals nicht mit ihm geredet, aber mir etwas näher stehende Bekannte haben mir gesagt, dass er nie darüber gesprochen habe. Sie wussten, dass er im Zug war. Und mehr wissen sie vielleicht bis heute nicht.

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31.05.2008

Und dann kam ich so mit frischem Spargel vom Einkaufen zurück, mit Biokartoffeln und Schinken und wollte mir mal eben mein Abendessen zubereiten, als ich kurz innehielt, auf meine Einkäufe guckte und dachte: Nee, du schaufelst dir das jetzt mal nicht auf den großen Teller und setzt dich damit vor den Fernseher oder vor die DVD im MacBook, sondern du deckst den Tisch in der Küche, wo die Luft zur Abendzeit etwas weniger stickig ist als im Wohnzimmer; und dann holst du das gute Goldrandgeschirr von Oma aus dem Schrank und machst dir ne richtig schöne Platte mit Spargel und füllst die Hollandaise in die Sauciere und legst die kleine Silberkelle dazu; und dann kühlst du noch schnell den Weißburgunder auf Trinktemperatur runter und nimmst zum Weinglas noch ein schickes Wasserglas dazu; und eine Kerze auf der Tischdecke kann auch nicht schaden, selbst wenn es taghell ist, und mit Silber essen macht immer mehr Spaß als mit dem Ikea-Besteck.

Und so habe ich mal wieder Essen genossen und mir vor allem bewusst gemacht, dass ich es genieße, und ich habe kurz danke gesagt dafür, dass ich dieses Essen genießen kann und den kleinen Luftzug und das schöne Geschirr und das gute Besteck und den schmackofatzigen Wein – in den ich allerdings einen Eiswürfel werfen musste, sonst wäre er leider zu warm gewesen.

(Und als Nachtisch gab’s nen Kinder Pingui, während ich Big Brother geguckt habe.)

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13.05.2008

Guten Tag, ich bin Ihr Dienstleister, was können Sie für mich tun?

„DHL-Tante, guten Tag?“

„Hallo, Anke Gröner, ich hab hier ein Problem mit einer Lieferung.“

„Worum geht’s denn?“

„Also – wir hatten heute eine Benachrichtigungskarte von Ihnen im Briefkasten, auf der stand, dass im Laden nebenan ein Paket für (Kerl) abgegeben wurde. Als ich das aber eben holen wollte, habe ich gemerkt, dass das gar nicht für (Kerl) ist, sondern für eine Dame, deren Name fast genauso klingt, aber die hier gar nicht im Haus wohnt. Was mach ich denn jetzt?“

„Haben Sie das Paket angenommen?“

„Nee, ist ja nicht meins. Oder unseres.“

„Könnten Sie dann nochmal rübergehen und es entgegennehmen? Das können Sie dann ganz einfach bei jeder Postfiliale abgeben und an uns zurücksenden.“

„Äh … ich soll nochmal rübergehen und ein Paket annehmen, das gar nicht für mich ist und es zur Post schleppen, nur weil Ihr Auslieferer keine Namen lesen kann?“

„Ja, das wäre total nett.“

„Äh … Sie wissen doch, wo das Paket jetzt ist – wieso schicken Sie nicht einfach Ihren freundlichen Fahrer nochmal vorbei und lassen es abholen?“

„Ja, das könnten wir auch machen. Wissen Sie was, sagen Sie doch bitte im Laden Bescheid, dass, wenn zufällig mal wieder ein Fahrer von uns vorbeikommt, die ihm das Paket einfach mitgeben?“

„Äh … (hab ich nicht gesagt, nur gedacht: DO YOUR FUCKING JOB!) … aber da wartet ja jetzt jemand auf ein Paket und hat keine Ahnung, dass es irgendwo gelandet ist … schön wär das ja schon, wenn Sie sich da mal drum kümmern würden …?“

„Ja, na gut, dann geb ich das mal ins System. Aber ich kann nicht sagen, wann da jemand vorbeikommt.“

„Mir egal, ist ja nicht mein Paket.“

(Aber wenn ich mal eins verschicken will, ruf ich jetzt lieber DPD an.)

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29.04.2008

Mit Opa in Frankfurt

Sehr seltsames Gefühl, eigene Texte im Museum zu sehen. Noch seltsamer, wenn die Familie um einen herumwuselt und sich in allen möglichen Varianten um einen rumgruppiert, um diese Seltsamkeit fotografisch festzuhalten. Mama hat analog geknipst, Schwesterherz digital, Papa wurde mal hierhin, mal dorthin geschoben, und ich musste irgendwie immer diese doofe Windows-Maus klicken und so tun, als würde ich meinen eigenen Text lesen, der davon handelt, meinen eigenen Text zu lesen.

Die Tagebuch-Ausstellung erschlägt einen im positiven Sinne mit wahnwitzig viel Papier unter Glas – weswegen die Stationen, an denen mal was anderes zu sehen ist, auch so schön sind. Weil man den Kopf mal kurz woanders hinlenken kann, weil’s was anderes zum Bewundern gibt, weil andere Geschichten erzählt werden. Da ist eben die Station mit Opas Hölzern und meinem ausgedruckten Blogeintrag und einem Rechner, an dem man sich auch durch den Rest meines Blogs klicken kann (sehen alle IE-User kein Grau in meiner Seitenleiste unter dem Suchfenster? Sagt doch was! Andererseits: mir doch egal. In Safari/Firefox sieht’s gut aus).

Dann natürlich Andrea in riesengroß mit den verschiedenen ausgedruckten Layoutvarianten ihres Blogs. Lustig, wenn man feststellt, wie lange man schon mitliest und wieviele Layouts man mitgekriegt hat. Dann die Station mit Anne Franks Tagebuch und der Geschichte, dass nicht nur ihr Vater die Tagebücher (es waren drei und nicht nur eins) vor ihrer Veröffentlichung redigiert hat, sondern dass auch sie selbst bereits ihr Geschriebenes überarbeitet hat. Die Station mit Dieter Riemann, der die DDR fotografisch dokumentiert, die Fotos in seine Tagebücher geklebt und diese abends in einer alten Kamera versteckt hat. Clara Schumanns Blumentagebuch. Rainald Goetz. Goethe. Thomas Mann. Kafka! Undsoweiterundsofort. Hach.

Auf genügend Sitzgelegenheiten kann man sich durch weitere Blogs klicken, und man kann, was ich sehr schön fand, in vielen nachgedruckten Tagebüchern lesen. So richtig lesen. Nicht am Bildschirm, nicht unter Glas, sondern auf Papier, zum Blättern. Remember?

Und dann sind da noch die Teppichfliesen, auf denen ein ganzes Jahr abgebildet ist. Ich bin zweimal vertreten: einmal mit dem Ende von Opas Text und einmal mit diesem (leicht gekürzten) Blogeintrag. Ich weiß nicht, warum ausgerechnet der fliesenwürdig war; ich hätte ihn nicht genommen, ich hab doch viel schöneres Zeug geschrieben in den letzten tausend Jahren (sowas hier zum Beispiel, haha). Andererseits war das der letzte Blogeintrag, der noch kommentiert werden durfte, wobei ich nicht weiß, ob das ausschlaggebend war. Gestern bei der Führung vergessen zu fragen: Wonach wurden die kleinen Ausschnitte aus Tagebüchern und Blogs eigentlich ausgewählt?

(Ja, die Füße hab ich absichtlich draufgelassen.)

Was ich so spannend fand: die vielen verschiedenen Möglichkeiten der Dokumentation. Die Motivation zum Schreiben. Warum schreibt man, an wen, für wen, worüber, in welchen Situationen? Viele Antworten darauf habe ich aus der sehr guten Führung mitgenommen (danke, Tine), weswegen ich euch auch unbedingt eine Führung ans Herz legen möchte, falls ihr euch die Ausstellung anguckt.

Wir haben nach unserer Privatführung (weil wir ja ein Ausstellungsstück gespendet haben, hui) noch bei einer zweiten Führung die Ohren gespitzt. Und wenn ich es schon komisch fand, mein Blog im Museum zu sehen – noch komischer war es, jemanden darüber reden zu hören, der nicht wusste, dass ich zwei Meter neben ihm stehe. So fühlt sich wahrscheinlich eine Beerdigung an. Mein Papa hat mich die ganze Zeit in die Seite geknufft, jetzt sag doch was, aber ich fand’s viel spannender, dabei zuzugucken, wie Leute auf die Geschichte von Opa reagieren. Und zum ersten Mal habe ich einem Leser dabei zugucken können, wie er sich durch mein Blog klickt. Out-of-body-experience.

Normalerweise sind meine Leser für mich eine größtenteils anonyme Masse, deren Zahl ich zwar am Counter sehen kann, aber ich kriege nie direkte Reaktionen mit. Klar, Mails, aber das ist auch schon gefiltert und auf Rechtschreibfehler korrigiert. Aber im Museum zu sitzen und einer jungen Frau dabei zuzugucken, wie sie sich die Geschichte mit Opa durchliest, sich die Holzklötze anguckt, sich nochmal das Foto von Opa anguckt und den Text dazu liest (in dem steht, wie wir die Klötze gefunden haben und dass wir nicht wissen, ob Opa wollte, dass sie irgendwann gefunden werden oder er sie einfach irgendwann verbrannt hätte), sich dann nochmal das Blog anguckt und dabei lächelt – das war schon eine sehr besondere und sehr schöne Erfahrung.

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27.04.2008

Ich setze mich heute ins Flugzeug, um nach Frankfurt zu fliegen, wo ich mir mit la familia die Tagebuch-Ausstellung angucke. Wenn ich die ganzen Berichte und Blogeinträge richtig verstanden habe, ist nicht nur mein Posting über Opas Holzklötze am Rechner zu sehen, sondern mein ganzes Weblog. Ich könnte also in ein paar Stunden im Museum stehen und mir diesen Beitrag durchlesen, der sich damit befasst, dass ich in ein paar Stunden im Museum stehe und diesen Beitrag lese.

Wenn ich also im Museum stehe UND diesen Beitrag lese UND gleichzeitig drüber twittere, explodiert dann mein Kopf?

(Schalten Sie auch morgen wieder ein, wenn Sie Prof. Dr. Bunsenbrenner sagen hören wollen: „Weblogs sind pure Illusion. Um Ihnen das zu beweisen, werde ich nun meinen Assistenten Beaker in Nullen und Einsen zerlegen. Beaker? … Beaker?“)

Edit: „Superschöne Ausstellung. Kopf ist noch da.“

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11.04.2008

Das Rheingold

Letzten Mittwoch hatte ich das Glück, Das Rheingold in der Oper in Hamburg zu sehen. Per glücklichem Klick im Online-Bestellformular hatte ich eine der letzten Karten abgekriegt und saß nun dumm grinsend und voller Vorfreude, wie immer bei Wagner, in der 19. Reihe an der Seite, von wo man aber immer noch einen guten Blick auf die Bühne hatte. Und sogar auf die Obertitel. Ich wusste gar nicht, dass die Oper mit Obertiteln gespielt wurde (ist das jetzt immer so in Hamburg?), hatte aber so gar nichts dagegen, denn auch wenn ich das Rheingold schon, weiß nicht, fünf- oder sechsmal gesehen habe und mir auch jedesmal vorher das Libretto durchlese, hab ich doch zwei Stunden später wieder vergessen, was genau die Damen und Herren Götter da vorne singen. Und mal ehrlich: verstehen kann man sie auch nicht.

Die Ouvertüre kostete wieder ein kleines Tränchen, dann öffnete sich der Vorhang und das Rheinbett war – ein Bett. Und die drei Rheintöchter mit den gerne veralberten Namen Woglinde, Wellgunde und Floßhilde (wer darüber keine Witze macht, sollte über gar nichts Witze machen) waren drei züchtig bekleidete Pyjamamädels, die eine neckische Kissenschlacht veranstalteten. Machen wir Mädels ja sowieso immer, sobald die Kerle weg sind: Kissenschlachten. Ich fand’s ziemlich charmant und war vor allem dankbar, dass ich endlich mal eine Rheingold-Inszenierung gesehen habe, in der die Damen nicht mit Silikon-, Stahl- oder sonstigen falschen Brüsten rumlaufen mussten, die auch gerne auf Kommando beim „Titelsong“ („Rheingold! Rheingold! Leuchtende Lust“) per Gruppenexhibitionismus entblößt wurden. Ernsthaft. Das erste Mal Rheingold ohne nutzlos nackte Oberweite. Schon gewonnen.

Die erste Szene war rum, der glitschige Alberich hatte das Gold geklaut, der Vorhang senkte sich, das Orchester spielte weiter … und hörte plötzlich auf. Was es nicht tun sollte. Und bevor man sich noch großartig überlegen konnte, was los war, kam auch schon eine Stimme über die Lautsprecher, dass man kleine technische Probleme mit der Bühne und dem nächsten Bild habe, dass es aber gleich weitergehe. Woraufhin einige ernsthaft den Saal verlassen haben, weil: Das kann dauern und ich war ja erst vor 35 Minuten das letzte Mal auf dem Klo. Ich hoffe, die Nasen sind nicht wieder reingekommen, denn bereits nach wenigen Augenblicken setzte das Orchester wieder ein und der Vorhang öffnete sich zum zweiten Bild.

Im zweiten Bild treten zum ersten Mal die Riesen Fafner und Fasolt auf, die den Göttern um Wotan die Burg Walhall gebaut haben und nun ihren Lohn abholen wollen. Auf die Riesen freue ich mich bei jeder Inszenierung, genau wie auf den Drachen im Siegfried, weil ich jedesmal gespannt bin, was sich die Regisseure einfallen lassen, um bloß keine Riesen oder Drachen auf die Bühne bringen zu müssen. Manchmal tun sie’s doch: In Hannover habe ich mal einen Drachen gesehen, der eine große silberne Kugel war, aus der oben der Sänger halb rausguckte. Hinter der Kugel waren lauter dicke Ringe, ähnlich wie massive Rhönräder. Alles lief auf Rädern bzw. in der Kugel und den einzelnen Ringen, die Schwanzglieder des Drachen waren, versteckten sich arme Praktikanten, die die Teile blind bewegt haben. Und als der Drache von Siegfried erschlagen wurde, rissen die Ringe von der Kugel ab und verstreuten sich über die ganze Bühne. Fand ich nicht so doof.

Als Riesen kenne ich die üblichen Stelzenläufer und das Spiel mit langen Schatten, die die normalgroßen Sänger immerhin per Licht zu Riesen machen. Clevere Hamburger Lösung: Die Burg und das Land um die Burg sahen wie eine Eisenbahnminiatur aus, über die die Sänger bei ihrem ersten Auftritt in schweren Schritten rübergestapft sind, immer schön im Takt zu ihrem Leitmotiv. Danach waren sie zwar genauso groß wie ihre Mitspieler, aber der erste Eindruck war perfekt, und man hat sie ganz einfach als Riesen akzeptiert. Gekleidet waren sie wie fies-klischeeige südländische Türsteher, komplett mit Goldkettchen und Vokuhila. Da passte dann auch, dass sie ihren Lohn in silbernen Koffern gekriegt haben.

Der Rest der Götterschar war mal wieder in Alltagsklamotten gewandet; passte zur Eisenbahnminiatur, hat mich jetzt aber auch nicht umgehauen. Ich muss bei solchen Kostümen immer an Loriot und seine Kritik an Wotan mit der Aktentasche denken. Der Hamburger Wotan war dann auch der am wenigsten göttliche, den ich je gesehen habe, denn er hatte sogar Ärmelschoner. Ihn fand ich sowieso sehr blass, während der Rest seiner Schar deutlich kraftvoller um ihn herumwitzelte. Überhaupt war der generelle Tonfall eher spöttisch, was okay ist, denn schließlich stellen sich alle im Rheingold nicht gerade schlau an: Wotan verspielt fast die Göttin der ewigen Jugend an die Türsteher, die blöden Rheintöchter lassen sich das Gold unterm Hintern wegklauen, der Dieb des Goldes ist zu dumm, es zu behalten, und überhaupt wundert man sich nach dem Rheingold, ob die Herrscher und Herrscherinnen über das Universum sich wenigstens die Schuhe selber zubinden können.

Was sie alles können und vermögen, sehen wir dann in der Walküre, dem Siegfried und natürlich der Götterdämmerung, die bis Ende 2010 in Hamburg auf die Bühne gebracht werden sollen. Und nächste Spielzeit bin ich klüger und sorge schon früher für eine Karte, denn wenn das Rheingold – das zickigste Stück im Ring – schon so gut war, bin ich sehr gespannt auf den Rest.

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05.04.2008

Wenn Frauen zu sehr bloggen

Am Freitag gab es auf der re:publica einen Workshop mit dem schönen Titel „Strickblogs oder Postfeminismus: Contents jenseits vom Schwanzvergleich“ (leider nicht mehr als Audiostream verfügbar). Im Vorfeld hatte die Referentin mehrere Bloggerinnen angeschrieben, ob sie Input für diesen Workshop hätten. Ich hatte, ehrlich gesagt, keinen, weil mir auch nach tagelangem Überlegen nichts eingefallen ist, über das man großartig hätte reden können außer die üblichen Allgemeinplätze „Es gibt mehr weibliche als männliche Blogger, aber von den Kerlen hört man mehr“ und „Frauen schreiben persönlicher als Männer“. Und darüber wollte ich nicht reden, denn who cares.

Per Livestream konnte man den Workshop auch vom heimischen Sofa aus verfolgen, was ich getan habe. Und ich musste feststellen, dass anscheinend auch die anderen der Angeschriebenen keinen großartigen Input geliefert hatten, denn eben diese zwei Allgemeinplätze wurden erwähnt – und dann wurde aus dem Workshop, der nie einer war, eine Art Frauenstammtisch, bei dem sich alle Anwesenden vorstellten und sagten, über was sie bloggen. Oder auch nicht. Ich hatte das Gefühl, dass die Hälfte der Frauen kein Blog hatten, und ich glaube auch nicht, dass nach dieser Veranstaltung der Wunsch, eins zu haben, größer geworden ist, weil die Faszination des Bloggens einfach nicht klar werden konnte.

Mein Problem mit dem Themenkomplex „Frauenbloggen“ ist, dass ich keins habe. Ja, ich denke auch, dass Frauen anders bloggen, aber mal ganz doof in die Runde geworfen: Frauen leben auch anders, fühlen anders, setzen vielfach andere Prioritäten und lesen andere Bücher als Männer. Warum sollten sie dann nicht auch anders bloggen?

Ich bin absolut der Meinung, dass Männer und Frauen das Gleiche leisten können, sofern die Biologie nicht im Weg steht (Männer laufen nun mal schneller und springen weiter, okay, damit kann ich hervorragend leben). Aber wenn es um geistige Leistung geht, nehmen wir uns nichts. Trotzdem gibt es Filme, bei denen Männer ständig auf die Uhr gucken, während Frauen gerade selig die Kleenexbox leerheulen. Es gibt Zeitschriften, die Frauen gelangweilt weglegen, während die Kerle sich gar nicht mehr beruhigen können wegen der tollen Heimwerkertipps und Handyrezensionen. Das ist natürlich böse verallgemeinert; ich weiß, dass es genug Frauen gibt, die lieber die Bohrmaschine schwingen als die Nagelfeile und dass es durchaus Männer gibt, denen Titanic gefallen hat (auch wenn sie es niemals zugeben würden). Aber ich glaube schon, dass die beiden Geschlechter manchmal schlicht und einfach andere Interessen haben, weil ihr Leben sich nun einmal unterscheidet.

Wenn Frauen sich z.B. für ein Leben als Hausfrau und Mutter entscheiden, ist es fast zwangsläufig so, dass es bei ihrem Blog eben um Kinder und den ganzen Rest geht. Was ich auch völlig okay finde. Ich gucke gerne Filme, also schreib ich über Filme. Ich weiß nicht, ob ich jetzt aus falsch verstandenen emanzipatorischen Zwängen unbedingt über Politik schreiben muss, nur damit es ein Blog gibt, bei dem sich eine Frau mit diesem Thema auseinandersetzt. (Und nebenbei gibt’s das ja auch schon.) Ich glaube auch nicht, dass wir dringend noch ein weiteres SEO- oder Marketinggeschwafelblog brauchen, das erkennbar von einer Frau geschrieben wird, nur damit wir sagen können, ja klar, können wir auch. Vielleicht gibt’s ja auch schon Blogs über Suchmaschinenspamming von Frauen, weiß ich nicht, den Quatsch les ich nicht.

Zusammengefasst: Wir leben anders – wir bloggen anders. Der einzige Punkt, den ich auch nicht erklären kann, aber der wahrscheinlich auch nicht auf einem Workshop ergründet werden kann, ist, warum männliche Blogs grundsätzlich eher wahrgenommen werden. Meine Theorie wäre die häufigere Verlinkung von thematisch ähnlich gelagerten Blogs. Während wir eher persönlich Bloggenden weitere Blogs, die uns gefallen, nur in der Blogroll haben, verlinken sich derartige Blogs viel häufiger, weil ihre Themen sich eher überschneiden. Wenn Blog X über das schicke neue Spielzeug mit dem BING bloggt, ist die Chance relativ groß, einen Backlink von weiteren BINGBloggern abzukriegen; gerne in der Formulierung „Der X hat auch drüber geschrieben“. Und zack! sind einige neue Technorati-Links da, die diese Blogs in den Blogcharts weiter nach oben spülen, obwohl sie genau den gleichen Kram schreiben wie fünfzig andere auch. Und da diese Charts im Moment anscheinend die einzigen sind, die von der Öffentlichkeit, die sich nur mal eben für einen miesen Artikel in der Süddeutschen mit Blogs beschäftigt, wahrgenommen werden, ist für diese Öffentlichkeit klar: Keiner liest Frauenblogs. Da sag ich mal: Wenn auch Frauen sich dieser Themen annehmen würden, wären sie ebenfalls dabei. Viel Spaß damit.

Ich glaube, mein Grundproblem mit dem angesprochenen Workshop war eben, dass ich keinen Bedarf für diese Art der Differenzierung gesehen habe. Jetzt im Nachhinein sind mir doch noch ein paar Themen eingefallen, die vielleicht für weibliche Blogger interessant gewesen wären: Welche Risiken gibt es für uns, die die meisten Männer wohl nicht haben werden (Stichwort Stalking oder sexuelle Belästigung per Kommentar oder Mail) und wie kann man sich dagegen wehren bzw. davor schützen? Können wir uns zu einer Art Webring zusammenschließen, wollen wir das, müssen wir das? Wäre es vielleicht sogar finanziell interessant, ein Netzwerk aus weiblichen Blogs zu schaffen, weil man damit Werbetreibenden eine sehr spitze (no pun intended) Zielgruppe bieten könnte? Und generell: Wieso ist überhaupt das Bedürfnis da, sich absetzen zu wollen, sich darüber einen Kopf machen zu wollen, dass man nun mal als Frau schreibt?

PS: Der Guardian hat vor Kurzem eine Liste veröffentlicht mit den angeblich 50 most powerful blogs. Über die Auswahl kann man streiten, aber: Das Blog an Nummer 1 ist die Huffington Post, gegründet von Arianna Huffington. Und auf Nummer 5 findet sich dooce, wo Heather Armstrong über nichts anderes schreibt als über ihr Kind, ihren Ehemann und ihren Hund. Go figure.

Edit: franziskript hat sich die Veranstaltung angeguckt. Initiatorin Helene Hecke hat im Genderblog ihre Sichtweise aufgeschrieben.

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03.04.2008

Teddybärenwoche, Tag 4: Teddy, mein Held.

Teddy ist schon 40, denn ich habe ihn zu Weihnachten bekommen, als ich noch kein Jahr alt war. Vielleicht heißt Teddy deswegen auch nur Teddy, weil ich mit neun Monaten noch nicht in der Lage war, ihm einen anderen Namen zu geben.

Er ist das erste Stofftier, an das ich mich erinnere – und das ich noch besitze. Er ist auf vielen meiner Kinderfotos zu sehen, er durfte in meinem Bett schlafen und ich weiß, dass Mama ihm des Öfteren die Beine neu annähen musste, weil ich ihn immer mit mir rumgeschleppt und vielleicht nicht immer pfleglich behandelt habe. Würde mich mal interessieren, ob man Kleinkindern wirklich beibringen kann, etwas pfleglich zu behandeln.

Teddy hat mich bei Gewittern beschützt, mich bei langen Autofahrten unterhalten, mich getröstet. Denn natürlich konnte Teddy sprechen. Er hatte eine kleine rote Zunge, und wenn ich mit ihm irgendwo zuhause rumsaß, haben wir uns stundenlang unterhalten. Jedenfalls bis ich zehn war. Da sind wir nämlich umzogen, von unserem alten Haus in unser neues. Alle Möbel wurden verpackt, und selbst die gesamte Küche kam mit. Das wusste ich aber nicht. Im ganzen Umzugstrubel hatte ich nämlich ein viel wichtiges Problem: Teddys kleine Zunge war abgefallen und meine Mutter musste sie wieder annähen. Die war aber natürlich eher damit beschäftigt, ein ganzes Haus in Kisten zu verstauen und hatte keine Zeit. Ich solle die Zunge irgendwo aufbewahren, bis sie Zeit hatte. Also habe ich die Zunge auf einen Küchenschrank gelegt, weil ich der Meinung war, der würde nicht mitkommen. Aber als ich am Umzugstag aus der Schule kam, war die Küche weg. Im Umzugslaster. Und natürlich hatte niemand auf Teddys Zunge geachtet. Seitdem war Teddy stumm.

Ich habe trotzdem weiter mit Teddy geredet. Auch in der Pubertät, als es total uncool war, noch Stofftiere bei sich im Zimmer zu haben, durfte Teddy weiter bei mir wohnen und wurde nicht auf den Dachboden gesteckt wie viele andere Plüschviecher, zu denen ich nie eine so enge Bindung wie zu Teddy hatte. Inzwischen schlief er nicht mehr in meinem Bett, aber er saß immer auf dem Nachttisch, so dass ich ihn sehen konnte.

Wenn wir in den Urlaub gefahren sind, habe ich immer ein Ersatzstofftier mitgenommen, weil ich Angst hatte, Teddy irgendwo zu verlieren. Als meine Schwester und ich vor einer längeren Reise gebeten wurden, alles Wertvolle in den Banksafe zu tun, war ich kurz davor, auch Teddy in den Safe legen zu wollen. Aber erstens würde er im Schließfach ja keine Luft kriegen und zweitens war ich doch nicht ganz so blöd, wie dieser Eintrag mich grad macht. Trotzdem hatte ich jedesmal Angst, unser Haus würde abbrennen, und niemand würde Teddy retten, genau wie auch niemand auf seine Zunge aufgepasst hatte, weil niemand weiß, wie wertvoll dieser alte, ranzige Teddy für jemanden ist.

Vor ein paar Jahren hat mir meine Schwester den Tarnbär geschenkt, weil Teddy immer fragiler wurde und ich mich nicht mehr getraut habe, ihn ab und zu in den Arm zu nehmen. Vielleicht auch, weil er nach fast 40 Jahren nicht mehr ganz so blütenfrisch ist wie er mal war, da er ja, seit meine Mutter nicht mehr für ihn zuständig ist, keine Waschmaschine mehr von innen gesehen hat. Der Tarnbär ist inzwischen der Kuschelteddy geworden, der neben meinem Bett sitzt (der aber auch nicht auf Reisen mitkommt, weil ich ihn ja verlieren könnte), während Teddy alt und würdevoll im Regal im Schlafzimmer sitzt und sich alles in Ruhe von oben anguckt. Wenn unsere Wohnung brennen würde, wäre er das erste, was ich mit dem MacBook schnappen würde, um es zu retten.

Wenn ich irgendwann sterbe und verbrannt werde, muss sich meine Schwester um ihn kümmern. Ich überlege ernsthaft, das ins Testament zu schreiben, damit Teddy in gute Hände kommt. Denn Teddy kann ja selbst nicht mehr sagen, was er will.

Das beiden Fotos mit mir und Teddy, der sich im unteren Bild elegant im Hintergrund hält, aber noch eine Zunge besitzt, hat meine Schwester liebevoll und offensichtlich mit Blitz aus dem Familienalbum abfotografiert. Zur Strafe, weil sie die Bilder nicht einscannen wollte, veröffentliche ich hier mein Lieblingsfoto von Schwesterherz und mir, weil ich mich jedesmal totlache, wenn ich es sehe. Zur Ehrenrettung meiner Schwester muss ich aber sagen, dass sie heute keinen Quadratschädel und keine Michelinbeine mehr hat. Und auch ihr Gesichtsausdruck („Hey, bitches, don’t touch my ride!“) hat sich verwachsen.

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01.04.2008

As if you really needed to know

Ich erkläre spontan diese Woche zur Teddybärenwoche.

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31.03.2008

An alle Agenturen, die sich überlegen, mich zu buchen: This is what you get

Seit gestern weiß ich nun wirklich unwiderruflich und auf Ewigkeit, dass ich den besten Kerl aller Kerle gefunden habe und ihn nicht wieder hergeben werde, so, basta, denn: Ich suche seit Wochen einen Teddy. (Peinliche Pause.) Ich, die gerne von gewissen Mitbewohnern als Wohnungsnazi bezeichnet werde, weil ich nicht nur meine Bücher nach Alphabet sortiere und meine Blumenvasen nach Farbe, sondern immer weiß, wo alles ist und Kerzenhalter und Silberschalen auf dem Esstisch so drapiere, dass sie in einem gewissen Winkel zueinander stehen, den ein bereits erwähnter Mitbewohner manchmal schamlos verändert, nur um dem würdelosen Schauspiel zuzusehen, wie ich hektisch die Objekte wieder zurückbewege und dabei in eine Papiertüte hyperventiliere, weil SONST DAS UNIVERSUM KOLLABIERT, ich, ICH habe einen Teddy verbaselt. (Erneute peinliche Pause, weil: hallo? Teddy? Wenn’s eine Insulinspritze gewesen wäre oder der Safeschlüssel, ja, okay, aber ein Teddy?)

Dieser Teddy ist aber ein toller Teddy, denn er ist mit irgendwelchen Körnern gefüllt und man kann ihn samt seines Inhalts erwärmen und sich dann an ihn kuscheln, wenn the drugs mal nicht worken oder der Tag einfach so beschissen ist oder man mal wieder diese fünf Minuten hat, in denen man einfach WEISS, dass man doof ist und nix kann. Ich habe für diese fünf Minuten meinen Tarnbär, der so heißt, weil er hellblau ist und ich eine Decke besitze, die genauso hellblau ist wie er und ihr wisst, wie diese Story weitergeht, daher erzähle ich sie jetzt nicht, und seid froh, dass ich den Teddy nicht Blaubär genannt habe. Ich weiß also um die magische Wirkung von Teddybären und dass man nie zu alt für sie ist, lasst euch da nix erzählen. Und als es neulich dem Kerl nicht so gut ging, habe ich hysterisch diesen blöden Teddy gesucht, denn mein Tarnbär funktioniert nur bei mir und ich wollte dem Mann meines Herzens doch was Gutes tun, auch wenn der lieber mit einer Hühnersuppe ferngesehen hätte, aber da wusste er ja noch nichts von der Magie von Teddybären, und jetzt konnte ich sie ihm nicht näherbringen, weil ich eben den Mikrowellenteddy nicht finden konnte. (Nebenbei würde ich ihn natürlich nie in eine Mikrowelle tun, denn wer sowas tut, frisst auch kleine Kinder oder macht ähnlich schreckliche Dinge wie Teddybären in WASCHMASCHINEN tun, wo sie jämmerlich ertrinken, und ich kann diesen Satz kaum tippen, ohne Atemnot zu kriegen.)

Ich habe seit Wochen mal hier, mal dort gesucht, war mir sicher, den Körnerteddy irgendwo im Schlafzimmer zu haben, habe ihn da aber nicht gefunden und hatte mich schon unter körperlichen Schmerzen mit dem Gedanken angefreundet, dass er womöglich in einer meiner Millionen Aufräum- und Organisieraktionen in der Abstellkammer gelandet ist, die so mit Regalen vollgestellt ist, dass es ein Wunder wäre, wenn da nicht irgendwo mindestens eine Spinne hausen würde, was mir noch mehr körperliche Schmerzen verursacht, als wenn jemand Teddys in Mikrowellen wirft. Ich habe also den armen Körnerteddy schon verstaubt und mit Spinnweben umsponnen vor mir gesehen und mich davon verabschiedet, jemals dem Kerl etwas Gutes tun zu können, obwohl der natürlich schon längst durch Fernsehen und Hühnersuppe gesund war.

Bis gestern. Denn gestern kam der beste Mann der Welt einfach so ins Wohnzimmer, wo ich mich mal wieder durch die Blogwelt wühlte, legte mir den völlig unstaubigen und nicht von Spinnen angefressenen Teddy in die Arme und meinte, er hätte die ganze Zeit im Schlafzimmerschrank gelegen, wo ich ihn warum auch immer nicht gesehen hatte.

Ich habe den besten Kerl aller Kerle und werde ihn nicht wieder hergeben, weil er immer meinen Teddy wiederfindet.

(Sobald meine Eisprungschnuffigkeit vorbei ist, werde ich diesen Eintrag durch einen über Killerameisen ersetzen.)

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16.03.2008

Enjoy the silence

Hallo, liebe SZ-online-Leser. Warum ich keine Kommentare (mehr) habe, steht hier. In etwas längerer Ausführung als nur der eine Satz im verlinkten Artikel. Lustig, dass dieses Thema gerade so aktuell ist; ich habe mich das letzte Mal Ende 2005 großartig mit Kommentaren beschäftigt und finde es komisch, dass jetzt auch andere darüber nachdenken (Spreeblick, Niggemeier).

Das hier ist ein persönliches Blog. Ich decke keine Skandale auf, ich gebe keine lustigen Tipps zur Suchmaschinenoptimierung und ich will auch nicht den Journalismus revolutionieren, verbessern oder sonst was mit ihm machen. Ich möchte einfach nur schreiben. Wer’s mag, darf gerne mitlesen, wer’s nicht mag, darf gerne weiterklicken. Aber ich brauche eben nicht für jeden Zweizeiler Feedback. Und auch nicht für die 200-Zeiler. Wer mir unbedingt ganz wahnwitzig dringend etwas mitteilen möchte, schreibt mir eine E-Mail. Was dazu führt, dass ich fast nur noch gehaltvolle Rückmeldungen bekomme oder Post, die sich über das freut, was ich schreibe.

Ich glaube nicht, dass es das Wesen eines Weblogs ist, eine Kommentarfunktion zu haben, und ich glaube auch nicht, dass jeder User ein Recht darauf hat, immer und dauernd etwas sagen zu dürfen. Ich genieße inzwischen Seiten, die Kommentare vorsortieren oder bewerten; ich nutze z.B. bei Salon.com grundsätzlich die Editor’s-Choice-Funktion, die mir nur die Kommentare liefert, die den Artikel sinnvoll ergänzen, und mir 100 weitere Me-too-Sätze, Beleidigungen, Sexismus (gerade bei „Frauenthemen“ immer gerne genommen), themenfremdes Geseier oder kaum entzifferbares Spackentum erspart. Noch eher verzichte ich allerdings darauf, Leserreaktionen zu lesen, weil ich ganz zufrieden damit bin, nur die Stimme des Autors zu hören. Ich lese Salon wegen der Artikel, nicht wegen der Kommentare. Und genauso geht es mir bei den meisten Weblogs, die ich lese.

Seit ich keine Kommentare mehr zulasse, hat sich auch mein eigenes Kommentarverhalten geändert. Denn ich habe zu meinem eigenen Entsetzen festgestellt, dass ich zum Schluss genau die gleiche banale Grütze unter viele Artikel gesetzt habe, die mich an manchen meiner eigenen Kommentatoren genervt hat. Inzwischen lese ich wieder viel mehr anstatt mir schon beim Überfliegen der Zeilen eines anderen darüber Gedanken zu machen, was ich wohl dazu sagen könnte.

Ich kommentiere fast nur noch in Blogs, deren Betreiber ich kenne oder die ich schon so lange lese/die mich schon so lange lesen, dass ich das Gefühl habe, sie zu kennen. Dort ist die offene Kommentarfunktion für mich eine Art Watercooler Talk, bei dem man sich kurz austauscht und dann weitergeht. Aber auch in diesen Blogs schreibe ich nicht unter jeden Artikel irgendwas, sondern habe mir inzwischen angewöhnt, meistens stumm zu nicken, den Kopf zu schütteln oder mir anderweitig meine Gedanken zu machen, ohne sie zwingend dem Blogbetreiber mitteilen zu müssen.

Und selbst mein Bloggen hat sich verändert. Die ganzen Nichtigkeiten sind zu Twitter ausgelagert worden, wo sie sich sehr, sehr wohlfühlen inmitten einer Horde weiterer Nichtigkeiten. Und die Dinge, über die ich schreibe, sind inzwischen auch deutlicher vorsortiert als früher. Ich muss nicht jedes Buch, das ich lese, und jeden Film, den ich sehe, und jeden Sonnenuntergang, den ich genieße, beschreiben, rezensieren, kommentieren. Vieles nehme ich einfach hin – und behalte es ganz für mich. Schweigend.

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02.03.2008

Movie Memories

Ein Blogeintrag von La Puce hat mich zu einem eigenen alten Blogeintrag geführt, in dem ich unter anderem über meine Kinokartensammlung geschrieben habe. Gestern habe ich mir mal den Spaß gemacht und sie alle nach Jahren sortiert und durchgeblättert. Dabei habe ich festgestellt, dass ich anscheinend erst 1994 angefangen habe, sie zu sammeln, dass ich einmal in meinem Leben in Osnabrück im Kino war (Event Horizon, 15. Januar 1998, UFA-Filmpassage, Johannisstraße), dass ich im Jahr 2000 fünfmal in Gladiator gegangen bin, dass das UFA-Studio am Thielenplatz in Hannover Bound lieber Baund geschrieben hat und dass es Filme gibt, an die ich überhaupt keine Erinnerung habe (Quills? Ort der Wahrheit? Versprochen ist versprochen? – Danke an Google und die IMDB; das hat man davon, wenn man sich nur die Originaltitel merkt).

Mir ist aber auch aufgefallen, dass es viele, viele Filme gibt, an die ich ganz besondere Erinnerungen habe. Nine Months zum Beispiel – nicht, weil der Film so toll war, sondern weil es die letzte Karte ist, die ich vom Filmfestspielhaus in Hannover besitze.

Meine Erinnerungen an „mein Kino“ habe ich ja schon mal aufgeschrieben (1, 2). Und es ist ganz schön doof, dass ausgerechnet so ein Deppenfilm meine Abschiedsvorstellung war.

Ähnliches Thema, andere Richtung: die Karte zu Fight Club.

Der erste Film, den ich nach meinem Umzug in Hamburg gesehen habe. Damals noch im City am Steindamm, das es seit einiger Zeit nicht mehr gibt. Die Originalversionen, die hier ihren Stammplatz hatten, wanderten ins Grindelkino, das tollerweise Ende März seinen Dienst einstellt. Was für mich bedeutet (wenn ich jemals wieder ins Kino gehen werde anstatt weiter auf DVDs zu warten), dass ich demnächst nur noch intellektuelles Zeug im Abaton im Original zu sehen kriege. In Foltersitzen auf beschissen kleinen Leinwänden.

Lustigerweise habe ich ausgerechnet im City eine alte Kommilitonin wiedergetroffen, mit der ich schon in Hannover gerne mal in Originalversionen gesessen habe. Sie war nach Hamburg gezogen, um bei der Gala zu arbeiten (inzwischen ist sie bei der OK!), und ich habe es immer wahnsinnig spannend gefunden, mir ihren Promiklatsch anzuhören. Wir haben auch immer für die gleichen Kerle geschwärmt; so war es 2000 bei unserem Wiedersehen natürlich Russell Crowe und ein paar Jahre später, als wir uns wieder über den Weg liefen, Viggo Mortensen. Mit meinem Herzblatt Kiefer konnte sie nie viel anfangen, hat mir aber immer gerne die Geschichte erzählt, wie sie ein halbes Jahr in Los Angeles gearbeitet hatte, fürchterlich gehetzt mit einem Stapel Post zu einem Briefkasten stürzte, dort die hundert Briefe fallenließ – und ihr der zufällig vorbeikommende Kiefer geholfen hat, sie wieder einzusammeln. Neid!

Mein erster Pixar-Film. Den habe ich mit einem damals guten Freund zusammen gesehen. Ich weiß noch, dass wir vorher sehr skeptisch waren: Hm, Computerzeug, das kann doch nix werden … egal, komm lass angucken und drüber lästern.

Wir waren die einzigen Besucher im Kino, denn Toy Story war als Kinderfilm vermarktet worden und um 20 Uhr waren halt keine Sechsjährigen da. Daher haben wir es uns alleine schön gemütlich gemacht – und uns innerhalb der ersten zehn Filmminuten in Sechsjährige verwandelt. Für mich ist Toy Story bis heute einer der besten Pixars, auch wenn die Animation natürlich inzwischen Augenkrebs auslöst. Aber die Geschwindigkeit! Das Herz! Die pure Lust an der Unterhaltung, die Musik, die Figuren – all das hat dazu geführt, dass mein Kumpel und ich uns bald wie im Kasperletheater aufgeführt und den Pixelnasen auf der Leinwand hektisch gute Tipps zugerufen haben: „Nein, geh nicht die Treppe runter, da wartet DER HUND! AAAAAHH!“

Nach 80 Minuten waren wir völlig überdreht, als ob wir einen Riesensquishee von Apu durch die Nase gezogen hätten. Beim standesgemäßen McDonald’s-Besuch danach habe ich mir die Juniortüte geholt, in der gerade die Figuren aus Toy Story das Beiwerk waren. Und bis heute stehen Woody und Buzz Lightyear (SPACE RANGER!) in meinem DVD-Regal und passen auf meine Filme auf.

Ich habe selber über mich grinsen müssen, als ich die Karte zur Superdupermitternachtspreview von Star Trek – First Contact entdeckt habe. Anscheinend war sie mir mal so wichtig, dass ich sie mit Tesafilm wieder zusammengeklebt habe, nachdem der herzlose Abreißer sie kaputtgemacht hatte.

Die Preview fand im Riesensaal des Cinemaxx Hannover statt, und ich saß mit gefühlten 50 Frauen und 750 Kerlen in den roten Plüschsesseln. Außerdem war ich NATÃœRLICH in Uniform erschienen und guckte mich um, wieviele Irre außer mir das auch getan hatten. Ein etwas rundlicher Trekkie in roter Uniform saß ganz in meiner Nähe … und bis zu diesem Abend war er Jungfrau. Den Rest der Story überlasse ich euch. (Every prejudice is true.)

1996 habe ich mich bei der dffb für ein Drehbuchstudium beworben. Gleichzeitig hatte ich eine Bewerbung nach München geschickt, die mir viel mehr am Herzen lag. Daher habe ich dafür auch richtig lange überlegt, was die schlauen Profs wohl von mir hören wollten, habe so getan, als wüsste ich über franzackige Filme total gut Bescheid und hab überhaupt den Filmbuff raushängen lassen, der ich nicht war. Die Bewerbung für Berlin war dagegen aus dem Handgelenk geschüttelt, die Schreibproben waren knackige Kurzgeschichten, die geforderte Filmkritik schrieb ich gnadenlos über Flatliners und nicht Der andalusische Hund oder ähnliches – und deswegen wurde ich in München auch völlig zu Recht abgelehnt und lustigerweise nach Berlin zur Prüfung eingeladen.

Dort schickte mich die Mitwohnzentrale in eine Wohnung, in der sich bereits ein Amerikaner befand: Karl, der in der Woche, die ich für die Prüfung in der Stadt war, mein Freund wurde, mein Hauptdarsteller für den Super-8-Film, den wir drehen mussten und mein Kinobegleiter. Im UCI war ich noch allein, ins Olympia sind wir gemeinsam gegangen und haben It’s My Party gesehen, wie ich handschriftlich hinten auf der Karte vermerkt habe.

Und als ich Karl dann ein halbes Jahr später in Amerika besucht habe, gab’s Courage Under Fire und 2 Days in the Valley. In Courage ist mir zum ersten Mal ein gewisser Matt Damon aufgefallen, der in dem Film aber arg verhungert aussah, und in 2 Days Charlize Theron, die, soweit ich mich erinnere, ein sehr enges Kleidchen tragen musste.

Nach Courage war ich verdammt nah am Wasser, denn zu der Zeit war ich völlig vernarrt in the land of the free, und es war für mich sehr emotional, zum ersten Mal in den USA zu sein, sich sofort sehr zu Hause zu fühlen, seinen Seelenverwandten um sich zu haben und mit ihm fies patriotische Filme zu gucken.

Das hat sich inzwischen relativiert. Karl ist nicht mehr da, die USA sollen erstmal eine vernünftige Präsidentin wählen (there’s always hope), und unsereins guckt inzwischen sogar französische Filme, wenn auch im Moment mit starrem Blick auf die Untertitel. In ein, zwei Jahren ist die Schale von Oma voll, in der die Karten liegen; dann müssen meine Karten umziehen. Spätestens dann werde ich sie wieder in die Hand nehmen und sie versonnen durchblättern und mich an Kinos und Menschen erinnern, die es schon nicht mehr gibt, die aber noch irgendwo in einer Ecke meines leicht zu beeindruckenden Herzens wohnen.

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28.02.2008

Wie man es sich mit mir innerhalb von drei Worten verdirbt, Teil 1

Mails, die folgendermaßen anfangen:

„Liebe Enke Gröner, (…)“

Over and out, Mädels.

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10.02.2008

My bucket list

Bevor ich sterbe, möchte ich noch:

1.) Klavier spielen können. Wenigstens ein bisschen. Mehr als den Flohwalzer, weniger als Etüden von Bach (oder was auch immer an Klavierliteratur fies schwierig ist).

2.) einmal von Los Angeles nach New York mit dem Auto fahren. Minimum 8 Wochen unterwegs, gerne länger.

3.) in den Spiegel gucken und sagen: „Yep, passt so. Nix ändern.“ und es auch meinen.

4.) Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit durchlesen.

5.) Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit im Original durchlesen.

6.) unter fachkundiger Anleitung ein Auto auseinander- und wieder zusammenbauen.

7.) ein Jahr im Ausland leben. London, New York oder, wenn der VHS-Kurs gut weitergeht, Paris.

8.) die Welt von oben angucken. Also entweder schweinereich werden und mir einen Flug im Space Shuttle erkaufen oder endlich Physik verstehen und mir einen Job an Bord erarbeiten. (So wie ich mich kenne, liegt die erste Variante eher im Bereich des Möglichen.)

9.) heiraten.

10.) Kendo lernen. (10.1. – schlank und stark genug für Kendo sein.)

(via Niwis Tagebuch)

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04.02.2008

and now, as tears subside, i find it all so amusing

Heute ist mein letzter Arbeitstag in der derzeit schönsten Agentur der Welt. Bis Ende Februar bin ich zwar noch offiziell als Festangestellte unterwegs, aber ab morgen bummele ich Urlaubstage ab – und kümmere mich um die noch ausstehenden Behördengänge und Millionen Anträge und Anrufe auf dem Weg in die Freiberuflichkeit.

Das letzte Jahr war, was meine geistige Gesundheit anging, total rausgeschmissen. Mir ging es monatelang schlecht und ich konnte nicht mal mehr sagen, ob es am Kerl, an der Beziehung, am Zusammenwohnen, an der Wohnung, an der Agentur, an der Arbeit an sich, an mir, an meinem Gewicht oder am fliegenden Spaghettimonster lang, dass es mir schlecht ging. Zum geistigen Jammerzustand kam der körperliche Jammerzustand, und auch hier weiß ich nicht, was zuerst da war oder welche Befindlichkeit die andere beeinflusst oder sogar verursacht hat. Ich habe mich gefühlt wie vor einem riesigen Knäuel aus verknoteten Fäden, und ich habe nicht gewusst, an welchem ich ziehen sollte, um das Knäuel aufzulösen. Ich hatte nicht einen Knoten vor mir, sondern eine ganze Armada davon, und sobald ich anfing, an einem rumzudröseln, wurde ein anderer fester.

Nach monatelangem Gequäle und Aussitzen habe ich dann zum dritten Mal in meinem Leben die Nummer meiner Therapeutin angerufen, die mich schon zweimal wieder auf die Beine gekriegt hatte. Und so auch diesmal: Nach drei, vier Monaten löste sich ein Knoten nach dem anderen und alles passte wieder – beziehungsweise: Ich wusste endlich, an welchem Faden ich ziehen musste, um das Knäuel kleiner werden zu lassen. Und sobald der größte Knoten gelöst war, konnte ich feist grinsend feststellen, dass alle anderen plötzlich einfach nicht mehr da waren. Oder sie erschienen mir zumindest nicht mehr ganz so unüberwindbar. Das wuselige Knäuel war zu einer kleinen kuscheligen Wollkugel in meiner Hand geworden. In meiner Hand. Ich ändere etwas – und alles ist wieder gut. Ich lasse mich nicht mehr treiben und hoffe, dass sich die Welt mir anpasst, sondern die Kraft war wieder da, mir meine Welt so zurechtzubasteln, dass ich in ihr klarkomme.

Der Satz, der mich wieder auf den richtigen Weg gebracht hat, war folgender: „Ich kündige.“ Seitdem ich weiß, dass ich demnächst nur für mich arbeite und nicht mehr für andere, geht es mir besser. Wahrscheinlich werde ich diesen Satz irgendwann mal verfluchen, wenn die Auftragslage dünner wird oder ich eine Erkältung auskurieren will und in der Zeit eben kein schönes, bequemes Festangestelltengeld auf mein Konto kommt. Und ich ahne auch, dass Formulare ausfüllen und mich mit Steuerberatern und dem Finanzamt monatlich rumärgern anstatt nur einmal im Jahr auch nicht so wahnsinnig viel Spaß machen wird. Aber trotzdem fühle ich mich seit November, seit ich den tollen Satz gesagt habe, leichter, motivierter und befreiter.

Anscheinend war es wichtig für mich, Autonomie wiederzugewinnen. Meine Agentur ist mir in jeder erdenklichen Weise entgegengekommen, weil sie mich gerne halten wollte, und jeder, dem ich von meinen Konditionen erzählt habe, meinte auch nur: „Was willst du denn noch?“ Und das war genau mein Problem: Objektiv gesehen war alles toll. Gute Arbeitsbedingungen, prima Bezahlung, klasse Kollegen – alles da, und trotzdem ging’s mir schlecht. Ganz genau weiß ich immer noch nicht, warum die Kündigung so gut getan hat, aber ich glaube, es war der Wunsch, etwas zu machen, etwas selbst zu entscheiden. Und eben das Wissen, dass ich als freier Texter eher über meine Zeit verfügen kann als als Angestellter. Wenn ich nächste Woche nicht arbeiten will, dann arbeite ich auch nicht. Fertig. Kein schlechtes Gewissen, weil die Kollegen meinen Job machen müssen, kein Stress mit Urlaubsanträgen und „Darf ich vielleicht …“ – einfach machen. Jedenfalls ist das meine naive Vorstellung. Ich nehme an, die Realität wird nicht ganz so kuschelig, aber das war der Hauptgrund, die Festanstellung hinter mir zu lassen: Ich will für mich arbeiten und zu meinen Konditionen.

In den letzten Wochen habe ich bereits mein Portfolio größtenteils zusammengebastelt und mir eine hübsche Geschäftsausstattung machen lassen. Auch lustig, auf einer Visitenkarte nur noch meinen Namen zu sehen und keine Firma mehr dazu. Demnächst ändert sich diese Webseite ein wenig (wenn ich denn endlich mal meine Webseitenbeauftragte als Telefon kriegen oder sie auf meine Mails reagieren würde), und außerdem befasse ich mich noch mit so spannenden Dingen wie Krankenversicherungen, Rentenversicherung, Gründungszuschüssen und „Was genau ist eigentlich eine Umsatzsteuervoranmeldung und hoffentlich muss ich dieses Wort nie betrunken buchstabieren“. Und irgendwann – nach einer kleinen, wohlverdienten Auszeit – werde ich dann in einer Agentur am Empfang stehen und sagen: „Hallo, ich bin Anke, ich bin ab heute als Freie gebucht.“

Für den Tag stell ich schon mal den Schaumwein kalt.

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25.01.2008

4

Ich finde es ganz reizend von dir, mich deinen Bauch drücken zu lassen, um zu gucken, ob du dann länger rülpsen kannst.

Ich könnte dir stundenlang dabei zusehen, wie du versuchst, Plastikschälchen auf deinem Oberkörper durch Vakuum festzukleben (und dabei jedesjedesjedesmal scheiterst).

Ich kann inzwischen anhand des Fusselaufkommens in deinem Bauchnabel die Tageszeit bestimmen.

Kein Platz dieser Welt ist so beruhigend wie der auf deiner Brust.

Ich sehe nie, dass du dir die Hände eincremst, aber sie sind immer ganz weich.

Ich kann auch nach einem halben Jahr noch darüber lachen, dass du reflexartig mit gestrecktem Arm durchs Schlafzimmer gehst, wenn du siehst, dass ich mal wieder die Hitler-Biografie lese.

Du bist der schlaueste Mann der Welt. Aber wie meine Espressomaschine funktioniert, willst du, glaube ich, gar nicht wissen. („Machst du mir nen Milchkaffee?“)

Du kleiner lebender Widerspruch: Wer hat wochenlang Witze darüber gemacht, als ich die Wohnung mit Weihnachtsdeko vollgemüllt habe, hat aber am lautesten gejammert, als ich den Baum rauswerfen wollte?

Ich war sehr gerührt davon, dass Freunde meinten, wir würden so gut zusammenpassen: „Ihr seid halt beide so Nerds.“

Love you, Spacko. Auf die nächsten 4. Und Internet: Du rockst.

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23.01.2008

Verdammt. Wieder einer mehr, der sich alles von einer Wolke anguckt. Vor einigen Tagen Brad Renfro, gestern dann Heath Ledger. Ich weiß auch nicht, warum es mich so bedrückt hat, dass er gestorben ist – er war nicht unbedingt einer meiner Lieblingsschauspieler, aber er war eben doch einer, von dem ich fast alle Filme gesehen hatte.

Es hat sich gestern ein bisschen wie bei River Phoenix angefühlt; einem Schauspieler, von dem ich einfach ausgegangen bin, dass er mich mein Leben lang begleitet, denn er war ja noch so jung. Oder James Dean, bei dem ich erst 30 Jahre nach seinem Tod überhaupt mitbekommen habe, dass es ihn gegeben hat. Und obwohl ich ihn nie zu Lebzeiten erlebt habe, fehlt er mir. Mir fehlt Jack Lemmon. Mir fehlt Billy Wilder.

Ich frage mich bei Promitoden, die mich berühren, immer, warum sie mich eigentlich berühren. Ich kannte die Leute nicht persönlich, sie kannten mich nicht, ich kannte sie meist sogar nur „in Verkleidung“, also in verschiedenen Rollen in Filmen oder als Mensch in der Öffentlichkeit, der sich privat sicher ganz anders bewegt. Aber meist haben diese Menschen mir etwas mitgegeben.

Ich bin im Kino oder vor dem DVD-Player immer ziemlich schutzlos – ich will, dass Filme mich erwischen, etwas mit mir machen, mich verändern, meinen Horizont erweitern. Ich will mich in Menschen auf der Leinwand verlieben, will um sie trauern, will mich mit ihnen freuen. Und manchmal nehme ich etwas von dieser Trauer oder dieser Freude mit, wenn der Abspann durchgelaufen ist. Ich trage ein neues Gefühl in meinem Herzen mit mir herum, und ich verbinde dieses Gefühl mit einem bestimmten Menschen, Schauspieler, Charakter. Und plötzlich ist dieser Mensch, der mir ein neues Gefühl geschenkt hat, nicht mehr da. Das macht mich traurig, auch wenn dieser Mensch nur eine Figur war, eine Idee eines Drehbuchautors, und seine Sätze wahrscheinlich durch 45 Abstimmungen gegangen sind, damit sie dieses Gefühl in mir auslösen. Ganz berechnend eigentlich.

Aber das weiß mein Herz nicht. Mein Herz erinnert sich nur an diesen Menschen, der mich bewegt hat und der jetzt nicht mehr da ist. Darum trauere ich.

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06.01.2008

Der erste recycelte Blogeintrag 2008

Die Kaltmamsell und Isa haben’s vorgemacht: Bücherlisten nicht einfach abdrucken, sondern Empfehlungen aussprechen. Mach ich sofort nach, denn „wir Internetnutzer“ (TM) haben schließlich einen Bildungsauftrag, wenn wir nicht gerade die Verfassung mit Füßen treten, zu Amokläufen aufrufen oder uns verabreden, wer welches Flugzeug in welches Hochhaus fliegen soll.

Sternchen bedeutet: kann man machen. Kein Sternchen bedeutet: kann man meistens auch machen, denn auf die untenstehende Liste haben es nur Bücher geschafft, die ich durchgelesen habe.

Amistead Maupin – The Night Listener*

Augusten Burroughs – Running with Scissors (den hätte ich weglegen sollen)

Jonathan Franzen – The Discomfort Zone

Barrack Obama – Dreams of My Father (* wenn man über seine pathetischen und teilweise seeeehr langatmigen inneren Monologe und Überlegungen, wie man die Welt verbessern kann, hinwegsieht)

Marion Gräfin Dönhoff – Namen, die keiner mehr nennt

Joanne K. Rowling – Harry Potter and the Scorcerer’s Stone

Joanne K. Rowling – Harry Potter and the Chamber of Secrets

Joanne K. Rowling – Harry Potter and the Prisoner of Askaban

Friedrich Torberg – Die Tante Jolesch*

Arthur Schnitzler – Leutnant Gustl

Matt Ruff – Set this House in Order * (Da war ich schlicht zu faul, eine Rezension zu schreiben. Bitte lesen. Lohnt sich.)

Joanne K. Rowling – Harry Potter and the Goblet of Fire

Joanne K. Rowling – Harry Potter and Order of the Phoenix

Friedrich Torberg – Die Erben der Tante Jolesch*

Ulrich Wickert – Frankreich

Ulrich Wickert – Alles über Paris

Thomas Mann – Der Tod in Venedig*

Frank Warren – My Secret: A PostSecret Book*

Thomas Wolfe – A Man in Full (* gerade noch erträglich, kommt aber natürlich nicht an das Eitelkeiten-Fegefeuer ran)

Joanne K. Rowling – Harry Potter and the Half-Blood Prince

Jens Petersen – Die Haushälterin (* sehr kurz, sehr angenehm, sehr dicht. Schönes Debüt.)

Hans-Jochen Vogel/Bernhard Vogel – Deutschland aus der Vogel-Perspektive (* viel Potenzial verschenkt, weil die beiden Vogels nicht immer über alle Ereignisse der deutschen Geschichte gleichzeitig schreiben. So dürfen sich beide ihre jeweiligen Karriererosinen rauspicken, und der jeweils andere schweigt beflissen. Hätte besser sein können, ist trotzdem recht interessant.)

Joanne K. Rowling – Harry Potter and the Deathly Hallows

Victor Hugo – Die Elenden*

Fjodor Dostojewski – Schuld und Sühne

Astrid Paprotta – Feuertod*

Don DeLillo – Falling Man

Marcel Reich-Ranicki – Mein Leben*

Andrej Kurkow – Picknick auf dem Eis (* russisches Dramolett über einen Schriftsteller, der Nachrufe auf Halde schreibt und mit einem Pinguin zusammenwohnt. Sehr schön.)

Daniel Kehlmann – Unter der Sonne*

Armistead Maupin – Michael Tolliver Lives (nee, das ging gar nicht. Das hab ich nur aus Liebe zu Herrn Maupin durchgelesen. Brauchst du Geld, Junge? Frag mich doch einfach, anstatt so ein liebloses Ding runterzuschreiben.)

John Sarno – Befreit von Rückenschmerzen (my ass)

Douglas Coupland – The Gum Thief (Noch größere Enttäuschung als Tolliver. Ich glaube, Coupland wird alt. Oder ich.)

Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer – Mein Rückenbuch (schon besser)

George Saunders – Pastoralia (* Ganz dringende Empfehlung. Skurrile und wunderschön geschriebene Kurzgeschichten.)

Andrew Sean Greer – The Confessions of Max Tivoli*

Gernot Sittner (Hrsg.) – Die Seite Drei*

Frank Warren – PostSecret: Extraordinary Confessions from Ordinary Lives*

Stephen King – Lisey’s Story*

Thomas Glavinic – Die Arbeit der Nacht (* Jochen ist schuld und ich kann nicht mehr schlafen)

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01.01.2008

(2006, 2005, 2004, 2003 (1. Januar), 2002 (1. Januar))


Neunmal. Neun lausige Male war ich im Kino. An DVDs habe ich sicher das Zehnfache gesehen, aber fürs Kino, fürs Anstehen, fürs „Mit anderen Leuten meine Atemluft teilen“ hat’s eben nur neunmal gereicht. Da war ich ja mit zwölf öfter weg.

PS: Der unleserliche Filmtitel sind die Karibikpiraten, Teil 3.