Tagebuch Sonntag, 10. März 2019 – Viel gelernt und Aua

Den Vormittag habe ich dazu genutzt, mal die lange Einkaufsliste für meine demnächst stattfindenden Partay (wie von Ross aus Friends ausgesprochen, aber das wusstet ihr natürlich) aufzuschreiben. Sie ist zweieinhalb Seiten lang und beinhaltet 30 Knoblauchzehen. Das wird gut, glaube ich.

Beim Aufstehen vom Schreibtisch zerrte ich mir irgendwas im Rücken und ahnte wieder einmal, dass ich Idiot vermutlich nicht alt werden werde. Dass ich es überhaupt bis hierhin geschafft habe!

Deswegen war ich auch nicht so lange wie geplant auf einer kleinen spätnachmittaglichen Verabredung in etwas größerer Gesellschaft. Ich lernte aber immerhin, dass Musiker von professionellen Orchestern meine und F.s Vermutung bestätigen können: Die Menschen husten mehr als früher. Wir erklärten das alle damit, dass das Publikum halt immer älter wird. Außerdem lernte ich, dass Bläser eine höhere Arbeitsdisziplin als Streicher hätten (und das kam von einem Streicher!), weil von denen meist nicht so viele im Orchester sind. Wenn eine von 20 Geigen ausfällt, kann man das verschmerzen, wenn eine von zwei Klarinetten krank ist, ist das komplizierter, gerade wenn Soli anstehen. Die möchte man vielleicht nicht der Kollegin aufdrücken und schleppt sich dann halt zum Dienst. Mein Respekt für diesen Berufsstand wuchs mal wieder.

Nach zwei Stündchen merkte ich aber, wie ich völlig verspannte, humpelte zu Bus und U-Bahn und legte mich zuhause flach mit meiner Wärmflasche aufs Sofa. Dooferweise konnte ich so mein Buch nicht halten, weil es ein blödes Format hat und recht dick ist, weswegen ich schon um halb 10 im Bettchen lag, wo ich mir aus F.s Bettdecke eine Halterung basteln konnte. Pärchenkram. So praktisch!

Nachmittags warf ich launig eine Bemerkung über Obstdüfte von weiblich konnotierten Duschgels in die Runde, auf die ich gar keine Erwiderung erwartete, aber ich habe jetzt einen fast ebenso langen Einkaufszettel wie für das Partay-Futter.

Abgeschminkt

Bei den Virgin Atlantic Airways müssen Flugbegleiterinnen sich nicht mehr schminken.

„Für den Flugverkehr ist sie eine kleine Revolution. Make-up und Absatzschuhe sind in vielen Fluggesellschaften noch immer vorgeschrieben. Bei der Lufthansa etwa, wo um dezentes Make-up und gepflegte Hände gebeten wird. British Airways verlangt zusätzlich, dass Unreinheiten abgedeckt werden. Bei manchen Airlines sind Schmink- und Hairstyling-Trainings sogar teil der Ausbildung für Frauen. Männliche Flugbegleiter dagegen warten bis heute auf einen Bartschneide- und Nasenhaar-Trimm-Kurs, der sie dazu qualifizieren soll, ihren Beruf besser auszuüben. Warum hält sich die Idee so hartnäckig, die berufliche Eignung von Frauen ließe sich auch an ihrem Erscheinungsbild ablesen?

Schon im alten Ägypten wurden Haare mit Zuckerpaste entfernt, und Käfer für die Lippentönung zerquetscht. Schönheit gilt als eine Tugend, die beim weiblichen Geschlecht seit jeher mit etwas mehr Aufwand verknüpft ist. Diese Logik steckt auch hinter Airline-Bestimmungen. Eine Frau hat ihr Gesicht, wie die Lufthansa es ausdrückt, für ihren Arbeitgeber »vorteilhaft« zu betonen. Denn Schönsein gilt als Teil ihres Jobs. Das ist falsch. Noch falscher ist, dass ein Arbeitgeber definiert und darüber entscheidet, was Schönheit ist.“

Als Rausschmeißer für den Tag, der so richtig schlechte Laune macht, ein Ausschnitt aus meiner derzeitigen Lektüre, das Kendi-Buch über die Geschichte des Rassismus, vor allem in den Amerikas, wo er mit den europäischen Eroberern hinkam. Ich bin erst auf S. 67, aber schon sehr beeindruckt von den vielen Quellen, die Kendi präsentiert, um die Geschichte der bescheuerten Idee, Menschen hätten erstens Rassen und die würden zweitens eine Hierarchie bilden, aufzuarbeiten.

Was mich gestern in der U-Bahn wirklich schwer ausatmen ließ, war die Geschichte von Elizabeth Key. Der Wikipedia-Artikel erklärt es sehr gut: Key war die Tochter einer schwarzen Sklavin und ihres weißen englischen Besitzers. Dieser erkannte das Kind zunächst nicht an, verfügte dann aber, dass sie frei sein solle, sobald sie 15 Jahre alt geworden war. Stattdessen wurde sie verkauft, lernte ihren späteren (weißen, englischen) Ehemann William Grinstead kennen. Gemeinsam klagten sie dafür, Keys den Status einer freien Frau zukommen zu lassen, denn ihr Vater sei ein Engländer gewesen. 1665 wurde ihr dieses Recht zugesprochen, woraufhin Virginia, der Ort der Klage, seine Gesetze änderte: Danach waren Kinder, die von Sklavinnen geboren wurden, automatisch auch Sklaven. Statt des englischen Rechts, nach dem die Nachkommen dem Status des Vaters folgen, berief man sich nun auf antikes römisches Recht, nach dem die Nachkommen der Mutter folgen. Oder anders ausgedrückt: Wenn Sklavenhalter ihre Slavinnen vergewaltigen und schwängerten, produzierten sie neue Sklaven, die ihnen gehörten.

„With this law in place, White enslavers could now reap financial reward from relations “upon a negro woman.” But they wanted to prevent the limited number of White women from engaging in similar interracial relations (as their biracial babies would become free). In 1664, Maryland legislators declared it a “disgrace to our Nation” when “English women … intermarry with Negro slaves.” By the end of the century, Maryland and Virginia legislators had enacted severe penalties for White women in relationships with non-White man. In this way, heterosexual White men freed themselves, through racist laws, to engage in sexual relations with all women.” (S. 41)

Kendi skizziert danach eine frühe Kurzgeschichte, die den angeblich unersättlichen sexuellen Appetit von schwarzen Frauen beschreibt. (Interessant, dass sowohl der deutschsprachige als auch der englische Wikepedia-Eintrag die rassistischen Untertöne nicht erwähnen.) Er zitiert die South-Carolina Gazette, die 1763 über neu ankommende Sklavenschiffe schrieb: “Those African Ladies are of a strong, robust Constitution: not easily jaded out, able to serve them by Night als well as Day.” (S. 42)

“Of the nearly one hundred reports of rape or attempted rape in twenty-one newspapers in nine American colonies between 1728 and 1776, none reported the rape of a Black woman. Rapes of Black women, by men of all races, were not considered newsworthy. Like raped prostitutes, Black women’s credibility had been stolen by racist beliefs in their hypersexuality. For Black men, the story was similar. There was not a single article in the colonial era announcing the acquittal of a suspected Black male rapist. One-third of White men mentioned in rape articles were acknowledged as being acquitted of at least one charge. Moreover, “newspaper reports of rape constructed white defendants as individual offenders and black defendants as representative of their racial group,” according to journalism historian Sharon Block.

Already, the American mind was accomplishing that indispensable intellectual activity of someone consumed with racist ideas: individualizing White negativity and generalizing Black negativity. […] Black women were thought to aggressively pursue White men sexually, and Black men were thought to aggressively pursue White women sexually. Neither could help it, the racist myth posited. They naturally craved superior Whiteness.” (S. 42/43.)

(Alle Zitate aus: Kendi, Ibram X.: Stamped from the Beginning: The Definitive History of Racist Ideas in America, London 2017.)

Vielleicht ist euch im vorletzten Absatz aufgefallen, dass im Zitat von Block “black” und “white” steht, während Kendi immer “Black” und “White” schreibt. Ich hatte in Noah Sows Deutschland Schwarz Weiß – Der alltägliche Rassimus gelesen, dass sie Schwarz immer mit großem S schreibt, um deutlich zu machen, dass es „kein wirkliches Attribut ist, also nichts ‚Biologisches‘, sondern dass es eine politische Realität und Identität bedeutet.“ (S. 19, Ausgabe von 2009.) Kendi schreibt beide Begriffe groß, weil sie sich beide in einem politischen Spektrum befinden.

Die Autorin Lori L. Tharps erklärte es 2014 in einem Opinion Piece für die NYT so: „When speaking of a culture, ethnicity or group of people, the name should be capitalized. Black with a capital B refers to people of the African diaspora. Lowercase black is simply a color.“ Das große B ist auch deshalb wichtig, weil rassistische Publikationen oder Websites „black“ kleinschreiben und „White“ groß. Es liegt im Englischen nahe, auch „White“ und „Black“ großzuschreiben, weil man auch „Asian“ oder „English“ großschreibt. Im Deutschen fällt mir das etwas schwerer, daher bin ich bei den gewohnten Formulierungen geblieben.