Tagebuch Dienstag, 2. April 2019 – Mpf

Wenn ich den Blogeintrag gestern vorgeschrieben hätte, bevor wir nach Augsburg zum Pokalviertelfinale gegen die Dosen aus Leipzig gefahren sind, klänge er vermutlich netter, aber ich bin immer noch gnatzig.

Vormittags saß ich in der Stabi, wo ich mir drei Filmrollen mit dem Völkischen Beobachter zurücklegen hatte lassen – noch ins alte Abholregal, yay. Ich habe gar keine Gedenkminute beim Abholen eingelegt, wie mir jetzt auffällt. Der schöne, der einzige Platz im hellen großen Lesesaal an den komischen Filmabspielgeräten, deren Name ich nicht kenne, war leider besetzt, also musste ich ins fiese Kabuff unter der Treppe hinter den Klos, und ja, da ist es genauso gemütlich wie das jetzt klingt. Die Stühle dort sind richtig mies, und ich hasse Film eh, weil man 20 Zentimeter vom Bildschirm wegsitzt, um die Rollen weiterzubewegen, aber eigentlich einen Meter Abstand bräuchte, um vernünftig lesen zu können. Das ist immer ein bisschen nervige Gymnastik.

Ich hatte den Beobachter schon mal auf Papier in der Stabi, ich weiß nicht, ob da eine Systematik drin ist, was auf Film und was auf Papier ist, egal, ich besonn mich auf uralte Filmvorführerinnenqualitäten und fieselte Plastik über Führungsrollen, natürlich immer erst einmal verkehrherum, dann auf dem Kopf, dann richtig, und bis dahin hatte ich schon Kopfschmerzen, weil ich so nah am Bildschirm saß. Außerdem hatten sich irgendwelche Pollen gegen mich verschworen und ich schniefte in einer Tour.

Dann fand ich auch nicht das, was ich gesucht hatte: Im Nachlass war ein Zeitungsausschnitt, der mit dem Zeitungsnamen und einem Datum im April 1936 beschriftet war; dazu wollte ich schlicht den Kontext haben, also welchen Artikel es bebildert hat. Ich fand weder in der süddeutschen noch in der Münchner Ausgabe etwas, die Reichsausgabe hatte ich mir gar nicht rauslegen lassen, und da das Bild von Henny ist und nicht von Carl Theodor, kommt das jetzt auf die Liste „Wenn ich fertig bin und noch Lust und Zeit habe“.

Die dritte Filmrolle enthielt den Beobachter Mitte 1940, da wollte ich gucken, ob die Große Deutsche Kunstausstellung erwähnt wird und vor allem Protzens „Straßen des Führers“, das der Dreh- und Angelpunkt meiner Arbeit ist. Ich hatte aber so gar keine Lust, durch die Filmrollen zu scrollen und gab sie erst einmal wieder ab. Auf die Liste.

Nachmittags weiter in Dateien und Unterlagen gewühlt, wenig geschrieben, leicht unkonzentriert gewesen. Schließlich aufgegeben, Brot gegessen und mich mal wieder in fünf Lagen Stadionklamotten gewürgt.

Gestern war es zwar knapp 20 Grad warm, aber abends sollten es in Augsburg nur so 8 bis 10 werden, und genau bei den Temperaturen hatte ich bei den Bayern-Damen letzte Woche arg gefroren. Also: Thermotights und -Oberteil, zwei Paar Socken und die dicke Winterwolljacke. Die nahm ich erstmal über den Arm, als ich schwitzend zur U-Bahn ging, um in den Südwesten von München zu fahren, wo mich F. mit dem Auto seiner Eltern aufgabelte. Denn das Pokalspiel fing erst um 20.45 Uhr an, und da es eben kein Bundesligaspiel ist, das brav nach 90 Minuten zu Ende ist, sondern eventuell noch 30 Minuten Verlängerung draufkommen oder sogar Elfmeterschießen, war die Regionalbahn raus – so spät kommt man unter der Woche nicht mehr nach München. F.s Mütterchen hatte uns sogar Verpflegung eingepackt, Getränke und Leberkassemmeln, und letztere musste ich natürlich sofort antesten. Als ich gerade mit dicken Backen vor mich hinfutterte, klingelte mein Handy: Die Kundin mochte mein Angebot, ich habe einen neuen Auftrag, geht vermutlich nächste Woche los. So fuhren wir gutgelaunt und entspannt nach Augschburg, wo uns das Spiel eigentlich egal war.

Erst im Stadion fiel mir auf, dass die Semmel vermutlich keine gute Idee war, denn ich musste, MUSSTE, schließlich meine heilige Pre-Game-Wurst essen, ohne die ist Fußball kein Fußball. Ehe Augsburg jetzt verliert, weil ich keinen FCA-Knacker in der Laugensemmel gegessen habe – es hilft ja nix. Dazu eine Apfelschorle.

Im Stadion waren um uns herum gefühlt nur die Hälfte der üblichen Dauerkarten-Besitzer (kein Femininum) am Platz, der Rest füllte sich aber auch gut. Zu meinem Schrecken nahm neben mir jemand Platz, der ungefähr 2 Meter 20 groß und fast so breit war. Der Herr war nicht dick, das übernahm ich für uns beide, aber bei der Größe war er halt stattlich. Das führte dazu, dass ich meine linke Schulter den ganzen Abend komisch nach vorne schob, um sie ihm nicht dauernd in die Rippen zu dengeln. Oder in die Niere. Er war wirklich sehr groß. Er versuchte sich aber schmal zu machen, genau wie ich, und so haben wir beide vermutlich eher unbequem gesessen.

War aber erstmal egal, denn die Choreo von Augsburg war ziemlich toll. Bei Sky kann man sie besser sehen als auf meinen Fotos, weil ich halt seitlich von der Kurve sitze.

Da ist die Augsburger Puppenkiste …

… jetzt geht sie auf …

… und da ist der Kasper mit dem DFB-Pokal im Arm, um ihn herum Ballons und Konfetti und ein laut klatschendes Stadion.

Wer will, kann sich den nichtssagenden Dreiminüter von Sky auf YouTube über das Spielgeschehen angucken. Für mich sah das im Stadion und TOTAL OBJEKTIV natürlich anders aus. Mir kam Leipzig deutlich unfairer vor als ich sie sonst gesehen hatte, gefühlt dauernd beschwerte sich irgendwer, und bei manchen Schiedsrichter-Entscheidungen (oder Nicht-Entscheidungen) bin ich mir auch nicht so sicher, aber was weiß denn ich. Ich meinte vor dem Spiel noch zu F.: „Wahrscheinlich wird’s ein schlimmes Gewürge, und in der 80. schießt dann halt irgendwer ein Tor.“ Fast richtig. Gewürge ja (Augsburg halt), aber Leipzig traf bereits in der 74. Minute zum 1:0. Zu diesem Zeitpunkt war ich griffig genug um zu pöbeln. Vor dem Spiel, ich schrieb es bereits, waren wir beide recht entspannt und erwarteten nichts. Nach der ersten nickeligen Halbzeit wollten wir Augsburg zum Sieg brüllen, denn sie waren absolut auf Augenhöhe.

Nach dem 0:1 warf der FCA auch noch alles nach vorne, aber die Minuten liefen fies und ohne Tor runter, die Nachspielzeit wurde angesagt, Leipzig tat, was alle Mannschaften tun, die kurz vor Schluss knapp führen, sie hielten den Ball, tanzten ewig um die Eckfahnen, wechselten, der übliche Kram halt. Aber als ich schon fast dabei war, den Schal in die Jackentasche zu stopfen, gab es einen Einwurf, einen schönen Doppelpass, und dann schlenzte der Herr Finnbogason mit seiner Fußspitze in letzter Sekunde noch den Ball ins Dosentor und das Stadion eskalierte total. Alles brüllte und jubelte, als ob der FCA schon gewonnen hätte, F. klatschte sogar mit den nervigen Labernasen hinter uns ab, es war so großartig! Fußball, ey. So geil! Und wie gut, dass wir mit dem verdammten Auto da waren!

In der Verlängerung ging es weiter hin und her, Chancen auf beiden Seiten, aber nichts, und wieder kurz vor Schluss, als wir alle schon im Kopf beim Elfmeterschießen waren, beging Gregoritsch im Strafraum ein Handspiel (aka der Ball sprang ihm an den Oberarm, als er zum Kopfball hochging und das ist dann halt Hand und ich hasse diese Handregel ja sowieso SCHON IMMER), dem Schiedsrichter blieb nicht anderes übrig, als auf den Elfmeterpunkt zu deuten, irgendein Leipziger verwandelte, und Augsburg war raus. Fußball, ey. So scheiße!

Wir sammelten noch unsere weitere Mitfahrerin ein, die mit dem Zug in die Stadt gekommen war, und nölten in einer Tour auf dem Weg zur Tram, wie vermutlich 25.000 um uns rum auch. Dann nölten wir im Auto noch bis kurz vor München, und erst dann redeten wir über nette Dinge, während ich die Getränke von F.s Mutter plünderte und mir eine Leberkassemmel für heute morgen zum Frühstück mitnahm. F. brachte mich vor die Haustür, ich war um halb zwei im Bett, meine Schulter tat weh, ich war heiser, und die Scheißpollen hatten auch abends keine Ruhe gegeben, weswegen meine Jackentaschen mit nassen Taschentüchern voll waren. Verschwitzt war ich natürlich auch; acht Grad im April sind anscheinend was anderes als acht Grad im März, ich war viel zu dick angezogen und beende jetzt hiermit offiziell die Winterklamottensaison im Stadion.

Heute morgen bin ich immer noch stinkig, was mich noch mehr stinkig macht. Wie gesagt, eigentlich war mir das Spiel egal, ich hatte eh mit einer Niederlage gerechnet, aber die Art und Weise war halt scheiße. Ich hätte nie mit dem Quatsch anfangen sollen. Sagte sie und legte schon mal den Schal für Sonntag raus, wenn Hoffenheim nach Augsburg kommt.

(VERFICKTE KACKSCHEISSE!)