Tagebuch Mittwoch, 22. Mai 2019 – Bällebad und Gackerflash

Gemeinsam aufgewacht, neues Lieblingsduschgel genossen, einen hübschen, aber ungelenken Farn auf den Flat White gegossen, entspannt in den Tag gekommen.

Ab kurz nach 9 saß ich im ZI und wie immer, wenn ich dort sitze, vergesse ich die Zeit, die Welt und dass ich Hunger habe. Also bis gegen 15 Uhr, dann kann ich letzteres meist nicht mehr ignorieren. Wie schon des Öfteren gesagt: Das ZI ist mein Bällebad.

So langsam verfestigt sich die Struktur, die ich mir für die Diss überlegt habe. Ich wusste, dass ich noch einiges umschmeißen würde, sobald aus der Struktur ein Text wird, und genau damit fing ich gestern an. Vorgestern lautete meine Reihenfolge noch: Einleitung, Biografie, Ausstellungsbeteiligungen, Bildbesprechung einzelner Werke Protzens. Dann kommt der ganze Autobahnsumms und dann geht’s in die Bundesrepublik, wo eben dieser Autobahnsumms als Beispiel für ganz schlimmes Zeug an der Wand hing, was ich anprangern will. Wie genau meine Arbeit derzeit heißt, könnt ihr demnächst hier lesen, da müsste das irgendwann im Juni stehen. Ich brülle dann schon.

Am biografischen Kapitel hatte ich die letzten Wochen vom heimischen Schreibtisch aus gearbeitet, weil ich im Kunstarchiv Nürnberg wirklich eine Menge Dokumente abfotografiert hatte, an denen ich mich jetzt langhangele. Einige Daten hatte ich aus Protzens Spruchkammerbogen, wo er zum Beispiel Vereinsmitgliedschaften angab (diese Quelle ist natürlich mit Vorsicht zu genießen). Von diesen Vereinen ließ ich mir im Stadtarchiv Pressesammlungen rauslegen und konnte so teilweise abgleichen. Bei manchen Einträgen im Bogen merkte ich auch, dass der Herr da vielleicht ein bisschen geschummelt hatte, wer hätte es gedacht. Andere konnte ich hingegen nicht verifizieren, ihm aber auch keine Falschaussage nachweisen, weil ich noch keine Quellen oder Belege dafür oder dagegen gefunden hatte. In meine Fußnoten tippe ich derzeit wild Literaturtipps oder Dinge, die ich nachschlagen möchte, wenn ich nicht mehr am heimischen Schreibtisch sitze, und gestern war dazu mal wieder Gelegenheit.

Im ZI sammelte ich erstmal die ganzen Bücher und Zeitschriften zusammen, die mir vielleicht weiterhelfen, um biografische Details abzuklären. Das klappte mal mehr, mal weniger, aber wie immer, wenn man Zeug vor der Nase hat, stößt man auf Dinge, die man gar nicht gesucht hat. So habe ich schöne Zitate für die Selbstdarstellung der einzelnen Kunstvereine gefunden bzw. ihre politische Ausrichtung oder auch Künstlernamen, die mir bereits begegnet waren, die ich aber noch nirgendwo hinstecken konnte.

Dann begann ich mit dem Ausstellungskapitel, an dem ich zeigen will, dass Protzen kein ganz kleines Licht in der Kunstszene Münchens war – aber eben auch kein so großes, wie die Ausstellungspolitik der Bundesrepublik aus ihm gemacht hat. Ich habe immer noch keine Ahnung, ob mir diese These um die Ohren fliegt, aber ich erinnere mich gerne an einen Satz von F.s Doktorvater: When you know what you’re doing more than half of the time, it’s not research. Also suchte ich mir alle Ausstellungskataloge zusammen, die wir aus München ab circa 1925 im Regal stehen haben und blätterte.

Viele von Protzens Ausstellungen, jedenfalls zwischen 1933 und 45, kannte ich schon aus diesem hervorragenden Standardwerk, in dem man faul Namen oder Ausstellungsorte nachschlagen kann. Und natürlich gibt es ein paar Einträge zu Protzen in den einschlägigen Lexika, aber man weiß ja nie, und blättern ist super. Außerdem wird im Papenbrock/Saure nicht vermerkt, welches Werk genau ausgestellt wurde; es wird nur gesagt, der Mann oder die Frau hat in, Beispiel, München in der Sommerausstellung der Münchener Künstler-Genossenschaft 1933 zwei Bilder gehabt. Aber welche das waren, steht da nicht. Dafür muss man dann in den Katalog gucken, und wenn man Glück hat, sind die Werke sogar abgebildet – sind sie meistens nicht; wie ihr an obigem Bild seht, waren Ausstellungskataloge lange Zeit nicht die 300-seitigen farbigen Prachtbände wie heute, sondern nur eine postkartengroße Sammlung von Namen und wenigen schwarzweiß gedruckten Seiten. Titel wie „Stilleben“ helfen auch nicht wirklich weiter, selbst wenn man das vom Künstler selbst angelegte Werkverzeichnis hat – nur als Scan einer Kopie von den Pinakotheken, aber immerhin, wo das Original ist, weiß ich immer noch nicht und es macht mich IRRE! Jedenfalls riet ich gestern lustig in der Gegend rum, ob mit „Stilleben“ jetzt „Kaktus und Vase“ gemeint ist oder „Aloe und Äpfel“, versah halt beide Bilder mit ihren Maßen, dem Entstehungsjahr, der Werkverzeichnisnummer, dem eventuellen Alternativtitel, sowohl im Werkverzeichnis als auch in den Fotoalben der Werke, die ich im Nachlass gefunden hatte. Dann verargumentierte ich alles brav, legte einen Katalog weg und nahm mir den nächsten.

So fand ich ein Werk, das noch nirgends in der Literatur verzeichnet war, und ebenso eine Ausstellung, die noch keiner auf dem Plan gehabt hatte, ha! Bei einigen Werken musste ich eine kleine Beschreibung anfügen, um sie in den Kontext einzubetten, wobei mir einfiel, dass meine Struktur vielleicht doch nicht so clever war. Deswegen kommt jetzt nach der Biografie ein Überblick über Protzens Schaffen, und erst, wenn man ein paar Bilder kennt, erzähle ich, wo die mal hingen. Oder seine 500 anderen. Mal sehen, wie lange diese Struktur hält.

Nach sechs Stunden Blättern und Finden und „Ha!“ sagen und Schreiben trug ich 30 Kataloge ins Rückgabefach, zog die neuen Dokumente auf einen Stick, schob sie gleichzeitig in die Cloud und machte Feierabend.


Meine Fußnoten sind inzwischen bunt: rot heißt „nochmal checken, verifizieren oder eine bessere Quelle finden“, grün ist ein Hinweis, den ich vielleicht mal irgendwann in den Text schieben werde. Manchmal markiere ich auch Dinge gelb, das sind dann Bücher, die ich noch nicht kenne, in denen aber vielleicht noch was für mich zu finden ist. Die hatte ich aber gestern alle abgearbeitet, deswegen ist nichts Gelbes im Screenshot.

Wenn ich hungrig bin, will ich nicht kochen, dann will ich nur essen. Late Lunch daher Sandwich mit Salat, Hähnchenbrust, Käse und drei Schichten Gurken.

Neue Folge The Bold Type, neue Folge Bless This Mess, neue Folge Masterchef Australia, wo gestern Ottolenghi zu Gast war. Das war so niedlich, die ganzen Foodies zu Groupies werden zu sehen: „OMG IT’S YOTAAAAAM!”

Danach nickte ich auf dem Sofa ein, hatte mein Handy aber kongenial direkt neben dem Öhrchen liegen und stand daher sehr senkrecht, als es klingelte. Dem Lektorgirl verzeihe ich das aber, vor allem, weil ich während des Telefonats einen so lauten Gackerflash bekam, dass ich darauf wartete, dass besorgte (oder genervte) Nachbarn an der Tür klingelten.

Apropos Nachbarn: Meine Ex-Nachbarin und jetzt die Dame von schräg über mir legte mir gestern einen Strauß Pfingstrosen vor die Tür, worüber ich mich außerordentlich gefreut habe.