Tagebuch Montag/Dienstag, 27./28. Januar 2020 – Zielgerade
Montag war ich, Achtung, totale Ãœberraschung, in einem Archiv, es ist so irre! *seufz*
Dabei hatte ich wieder Akten aus dem ehemaligen Haus der Deutschen Kunst in der Hand, die nach 1945 bis Ende 1949 nun den Absender „Abwicklungsstelle Haus der Deutschen Kunst (Neuer Glaspalast)“ trugen. Ich blätterte diverse Korrespondenzen durch, wobei ich nicht auf Protzen stieß, aber dafür auf Verwaltungsvorgänge, die ich persönlich spannend fand.
Da war zum Beispiel ein Schreiben an Gottfried Rasp vom 16. August 1949:
„Wir empfingen Ihr Schreiben vom 31. Juli 1949 und teilen Ihnen dazu mit, daß sämtliche im Haus der Kunst befindlichen Kunstwerke bei Kriegsschluß von der hiesigen Militärregierung beschlagnahmt und nach dem Central Collecting Point Munich verbracht wurden, wo sie auch jetzt noch lagern. Die Freigabe dieser Arbeiten wird seitens der Militärregierung von einer Vorlage einer beglaubigten Abschrift eines Spruchkammerbescheides abhängig gemacht, weshalb wir Sie mit unserem Schreiben vom 12. Juli 1949 um Einsendung dieser Unterlage baten, damit Sie wieder in den Besitz Ihres Bildes gelangen können.“
Rasp findet sich nicht in der Datenbank zur GDK; vermutlich hatte er Bilder eingereicht, die aber nicht ausgestellt wurden und sie aus welchen Gründen auch immer bis Mai 1945 nicht abgeholt. Die GDK 1944 fand eigentlich vom 29. Juli bis zum 26. November 1944 statt, blieb aber weiterhin temporär geöffnet, wie alle GDK seit 1941. Der letzte Kauf dieser Ausstellung wurde Ende April 1945 getätigt. Wie im Schreiben steht, blieben danach alle Bilder erstmal im Museum und wurden erst nach Erhalt des Spruchkammerbogens aka Entnazifizierungsbescheids ausgehändigt. Bis auf die mit eindeutig ideologischem Inhalt, diese und tausende weitere waren zu der Zeit längst in Washington (deutlich kürzere Erklärung zur German War Art Collection hier).
Wer sich nicht selbst ans Haus der (Deutschen) Kunst wandte, bekam auch Post, wie Edeltraut Quade, die zwei Zeichnungen auf der GDK 1944 hatte, vom 12. Juli 1949:
„In unserem Gewahrsam befinden sich noch zwei von Ihnen zur „Großen Deutschen Kunstausstellung 1944“ eingesandte Arbeiten. Wir bitten Sie um baldigstmögliche Einsendung einer beglaubigten Abschrift Ihres Spruchkammerbescheides, damit wir die Freigabe dieser Bilder beantragen können. Da unsere Abwicklungsstelle demnächst aufgelöst werden soll, wären wir für schnelle Erledigung dankbar.“
Aber selbst wenn alles in Ordnung war, gab es im Jahr 1949 manchmal Umständlichkeiten, wie das Schreiben an Otto Polus zeigt, der drei Zeichnungen ausgestellt hatte. Ich habe mir blöderweise das genaue Datum nicht notiert, kaum schreibt man was nur fürs Blog auf, wird man nachlässig, schlimm:
„Wir empfingen Ihr Schreiben vom 28. Januar 1949 und teilen Ihnen mit, daß auf Grund der von Ihnen eingesandten Bescheinigungen die Freigabe Ihrer hier befindlichen Arbeiten in Kürze erfolgen dürfte. Inzwischen bitten wir Sie um eine Bekanntgabe einer Anschrift in der Westzone, an die wir Ihre Bilder zum Versand bringen lassen können, da eine Zusendung nach Berlin z. Zt. leider nicht möglich ist.“
In einigen Briefen wird nach einer Kontoverbindung gefragt, da Bilder 1944 verkauft wurden, das Geld aber 1949 immer noch nirgends hingeschickt werden konnte. Andere Künstler schrieben, dass sie keinen Wert auf die Rücksendung ihrer Werke legten, die könnten vernichtet werden, wie zum Beispiel Paul Wynand, der sich am 25. Januar 1949 dementsprechend äußerte.
Wieder viel gelernt. Nicht für die Diss, aber fürs Leben. Und dafür machen wir diesen Kram ja schließlich.
(Alle Zitate BayHStA, Haus der Deutschen Kunst 33.)
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Gestern saß ich dann im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, wo mich der Herr Doktorvater empfing. Er war mit meinem bisherigen Stand sehr zufrieden, nur die generelle Forschungsfrage war ihm inzwischen etwas zu klein geworden. So ging es mir auch, aber ich kam nicht mehr auf den großen Bogen des Werks, weil ich mich in den letzten Monaten dermaßen in Detailfragen verloren hatte, dass ich zwar noch wusste, wo ich hinwollte, aber nicht mehr, warum eigentlich. Das erarbeiteten wir gestern gemeinsam und ich ging sehr beschwingt nach Hause. Auf dem Aufgabenzettel: die gewünschte Zweitprüferin anmailen, ob sie Zeitprüferin sein möchte und dann zur Abgabe der Diss anmelden. Vielleicht vorher noch fertigschreiben.
Im Gespräch kamen wir auf Forschungsliteratur zur NS-Kunst. Die hatte ich bewusst aus meinem Forschungsstand rausgelassen und nur die äußerst spärliche zur Autobahnmalerei aufgeführt, aber Vati hätte doch gerne noch eine etwas weiter gefasste Einordnung – „nicht lang, drei, vier Seiten. Das geht ja schnell, gibt ja nicht viel.“ ICH WEISS! Wir tauschten die Titel aus, die wir kannten, bis er ein Buch von Joseph Wulf nannte, das mir erstmal nichts sagte. Als er es aus dem Regal zog, wusste ich aber, dass ich das auch schon mal in der Hand gehabt und mich über sein frühes Entstehungsdatum gewundert hatte: Die bildenden Künste im Dritten Reich war bereits 1963 erschienen, und aus der Zeit kennt man eigentlich immer nur Hildegard Brenners Standardwerk Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Auch auf Wulf war ich eher durch Zufall, Umwege und eine mitteilungsfreudige Suchmaschine im ZI gestoßen. Nach Brenner nennt man dann Berthold Hinz, dessen Die Malerei des deutschen Faschismus: Kunst und Konterrevolution (1974) die nächste größere Auseinandersetzung mit dieser Kunst war (ich stehe etwas auf Kriegsfuß mit dem Ding). Aber wie gesagt, Wulf ist mir eher selten bis vermutlich gar nicht untergekommen, bis ich ihn selbst zitieren konnte.
Die Lebensgeschichte von Wulf lest ihr bitte in der Wikipedia nach. Das war am Tag nach dem 27. Januar genau die falsche, über die ich was erfahren wollte. Mein Doktorvater gab sie in Kürze wider, und ich war erneut kurz davor, alles hinschmeißen zu wollen. Der Mann überlebte Auschwitz und verzweifelte an der Bundesrepublik. Manchmal möchte ich wirklich sehr viel anzünden.