Tagebuch Donnerstag/Freitag, 30. April/1. Mai 2020 – Nähen und Nähe
Donnerstag war Schreibtischtag, eher unkonzentriert, aber immerhin ist mir eine Sache fürs Abbildungsverzeichnis eingefallen, über die ich tagelang gegrübelt habe. Für den Rest des Lebens merken: vielleicht einfach mal Dinge machen anstatt ewig Pro-und-Contra-Listen im Kopf aufstellen und paralysiert rumsitzen.
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Am Freitag habe ich dann Dinge gemacht.
Donnerstag holte ich nach einem kurzen Spaziergang zur Packstation die erste Stofflieferung meines Lebens für mich ab und packte sie zuhause sehr ehrfürchtig aus.
Nach dem Bewundern kam alles in die Waschmaschine und Freitag wurden die drei Stücke erstmal gebügelt. Ich hatte nach günstigen Stoffen geschaut, weil ich ahnte, dass die Mundschutze daraus keine Design- und Schönheitspreise gewinnen würden, aber ich mochte Muster und Farben natürlich, sonst hätte ich kein Geld dafür ausgegeben.
Der Akademikerinnenschreibtisch wurde hergerichtet, wie ein Foto aus der Hüfte für F. zeigt. Auf dem Rechner holte ich das vorgestrige Hauskonzert von Herrn Levit nach.
Omas Nähkiste hatte ich vor ein paar Tagen sortiert; was ich mit dem ganzen Stopfgarn anfange, weiß ich noch nicht, aber wenn die Pandemie mich irgendwas gelehrt hat, dann: erstmal aufheben. Außerdem habe ich Nähgarn in vielen Farben, ein paar Spulen (? wie nennt man die Papierröllchen, auf denen das Garn wohnt?) hatte ich selbst auch schon angeschafft für die wenigen Näharbeiten, die ich mir in der Vergangenheit zugetraut hatte, hier mal eine aufgerissene Naht am Lieblingsshirt, da ein Knopf an der Bluse locker.
Neben den Stoffen hatte ich bei einem anderen Laden ein bisschen Zubehör gekauft: Schneiderkreide, einen Nahtauftrenner und 200 Stecknadeln. Stoffschere und Bügelbrett sind vorhanden, eine Nähmaschine leider nicht. Bestellt hatte ich bei Butinette – die machen Bandenwerbung beim FC Augsburg und den Namen hatte ich mir gemerkt, weil er so albern klang und ich ihn deshalb googeln musste. Bandenwerbung wirkt, People!
Den gebügelten Stoff zurechtgelegt und dabei gemerkt, dass mein Schreibtisch kein Nähtisch ist, vielleicht nächstes Mal doch in der Küche arbeiten weil mehr Platz? Dann die Maskengröße abgemessen. Beim letzten Basteln hatte ich mir die Maße von 17 x 34 cm gemerkt, die passt mir gut. Außerdem zwei Ohrengummis mit je 20 cm Länge. Danke, Oma, dass du Gummiband aufgehoben hast. Meine Mutter erzählte neulich am Telefon, sie habe im Radio gehört, dass Gummiband knapp wird, weil gerade alle Mundschutze nähten. Noch ein Lerneffekt der Pandemie: Dieses Just-in-Time, also eine Produktion nach momentanem Bedarf, hat auch seine Tücken. Hey, generell hat der Kapitalismus Tücken, irre Erkenntnis.
Beim letzten Mal hatte ich einfach die Stofflage gefaltet und zusammengenäht, wobei ich außen nicht unbedingt hübsche Nähte produzierte. Noch ein Lerneffekt, ich lerne momentan ja dauernd: den Stoff auf die hässliche Seite drehen, dann zusammennähen, dann umdrehen – unsichtbare Nähte. Toll. Irgendeinen Denkfehler hatte ich beim Gummibandannähen gemacht, womit auch der Nahtauftrenner zum Einsatz kam (sehr vorausschauend eingekauft), aber mir fällt schon nicht mehr ein, was genau ich verdaddelt habe.
Mit meinen schicken und fies spitzen Stecknadeln, wundert mich, dass ich den Stoff nicht vollgeblutet habe, konnte ich auch eine Falte mehr anstecken als bei der letzten Produktion. Ich gab mir auch mehr Mühe beim Rand, aber mit dem bin ich immer noch unglücklich, weil er so fransig aussieht. Auf Insta kam der Tipp, die Ränder einzuschlagen, um sie zu versäumen, das teste ich mal. Ist das etwa die legendäre Nahtzugabe, von der ich schon so viel gehört habe? Oder ich nähe fies einen Stoffstreifen über den Rand, den ich natürlich auch erstmal säumen müsste. Mit Maschine in zehn Sekunden gemacht (glaube ich), aber per Hand dauert das halt.
Auch den Drahtbügel für die Nase nähte ich anders ein als beim letzten Mal, wo ich einfach um den Bügel rumgenäht hatte. Hier nähte ich unter ihm eine Naht, allerdings nicht über die ganze Breite; an den Seiten wird er eh von den Gummienden am Platz gehalten.
Das hat viel Freude gemacht, auch wenn ich alle zehn Minuten „Au!“ gesagt habe. Diese sehr neue Beschäftigung fühlt sich an wie meine ersten Kochversuche vor über zehn Jahren: Da fand ich es sehr hilfreich, jemanden mit mir am Herd und auf dem Markt zu haben, der mich an die Hand nimmt. Hier finde ich es gerade sehr spannend, Dinge selbst herauszufinden. Hey, falls jemand in München seine Nähmaschine zu einem pandemiegerechten Preis loswerden will und sie mir an die Haustür bringt (kein Auto zum Abholen), täte ich die mit Kusshand nehmen. Mail genügt. Ansonsten stümpere ich einfach weiter vor mich hin.
Nebenbei: Eine Bekannte von mir näht gerade Mundschutze und verkauft sie, falls noch jemand einen braucht. Das ist die Lebensgefährtin des Herrn, dessen Dauerkarte vom FCA ich besitze. Sag noch mal jemand, dass Fußball alberner Zeitvertreib ist. Ich bin trotzdem dagegen, dass die Bundesliga ihren Spielbetrieb wieder aufnimmt. Aber falls sie es trotz meines Unwillens tun, sitze ich natürlich beim Anstoß am Laptop, ist klar.
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Abends hatte ich ein Date mit F. Darüber breite ich den Mantel des Schweigens, aber das war sehr schön und wir waren etwas weniger viktorianisch als die beiden Male davor. Trotzdem getrennt geschlafen, weil wir beide gerade unruhige Nächte haben. Aber das hat mich sehr gefreut, dass wir uns beide getraut haben, dem anderen wieder näher zu kommen.