Tagebuch Donnerstag, 7. Mai 2020 – Fried Chicken und rote Haut
Sehr unkonzentriert gearbeitet, nicht mal mit 1936 fertiggeworden, wobei das auch das dickste Kapitel ist und jetzt so langsam die ganzen Autobahngemälde kommen. Trotzdem erfreulich wenige Korrekturen gemacht, es ist inzwischen mehr ein kritisches Überprüfen von jedem Satz, jedem Absatz und jedem Unterkapitel und dem Check, ob auch alle Erkenntnisse in den drei Zwischenfaziten erwähnt werden oder wenn nicht, warum nicht. Wenn es nicht wichtig genug für das Fazit ist, kann ich dann vorne kürzen? Und so weiter. Der Textbrocken bleibt ein Textbrocken und ich weiß überhaupt nicht mehr, wie ich jemals so viel schreiben konnte, obwohl ich das Ding ja erst vor zwei Wochen vorerst beendet hatte. Mein Reste-Dokument, also das, in das ich alle gekürzten Dinge reinwerfe, ist inzwischen 39 Seiten lang.
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Dann wollte ich eine Mail an ein städtisches Archiv schicken und musste mich kurz über die blöden Kontaktformulare auf der Website aufregen, weil ich persönlich lieber mit dem eigenen Mailprogramm arbeite – auch weil ich Mails gerne in bestimmte Ordner lege, um sie wiederzufinden bzw. einen Überblick zu haben, wen ich denn jetzt schon mit wilden Fragen belästigt habe. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, gefühlt zum hundertsten Mal, nicht mehr auf Twitter rumzumeckern, sondern dort nur noch nette Dinge zu schreiben, aber natürlich meckerte ich auf Twitter. Und bekam dafür sehr schlaue Antworten, warum Website-Formulare durchaus Vorteile haben. Sogar die angemeckerte Stadt meldete sich, obwohl ich den betreffenden Nachfolgetweet nach ungefähr einer Minute wieder gelöscht hatte. Nach den Antworten streute ich brav Asche auf mein meckerndes Haupt und nehme mir zum gefühlten einhundertersten Mal vor, nicht mehr auf Twitter zu meckern.
Alle erschöpft. pic.twitter.com/eilvEjsZTX
— Boris Rosenkranz (@der_rosenkranz) May 7, 2020
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Gestern hätten F. und ich einen Tisch im Werneckhof gehabt, weil es dort vor einem Jahr so nett gewesen war, aber das Restaurant ist natürlich noch geschlossen. Der dortige Koch hatte sich vor ein paar Wochen aber einen lustigen Imbiss überlegt, mit dem er sich und sein Personal beschäftigen kann, und so schmachteten F. und ich schon länger auf Fried Chicken aus einem Schwabinger Hinterhof. Gestern schien mir ein guter Tag zu sein, um endlich mal eine Portion für uns zu holen. Ich musste eh in die Stabi, also setzte ich mich auf mein Fahrrad, brachte zwei Bücher weg und holte zwei neue. Inzwischen sitzt vorne am Eingang jemand mit Klickzähler, dann noch jemand an der Ausleihe und einer an der Rückgabe. Alles ist mit Absperrbändern und Hinweisschildern versehen und es fühlt sich immer noch creepy an, vermutlich weil es so irre leer ist. Ich halte die Maßnahmen immer noch für sinnvoll und trug auch gestern meinen Mundschutz; nicht nur im Gebäude und beim Imbiss, sondern, ein bisschen aus Faulheit, ein bisschen aus Angst, gleich ab der eigenen Haustür. Bei diesen Temperaturen beschlägt die Brille auch nicht mehr und ich kann okay atmen.
Beim Imbiss hatte ich mich auf etwas längere Wartezeit eingestellt, auch weil gerade vorgestern das ZDF berichtet hatte, wie Nakamura in seinen Insta-Storys verriet, aber 16.30 Uhr war anscheinend eine perfekte Zeit: Der Mittagspausenrush war durch, der Abendessenrush noch nicht da, und so stand kein einziges Menschlein vor mir. Familybox geordert, auf dem Gepäckträger verstaut und zu F. geradelt.
Der Autoverkehr in München scheint wieder beim Stand vor den Ausgangsbeschränkungen angekommen zu sein, die herrliche Zeit, in der man angstfrei radeln konnte, ist vorbei. Alles war voll, alle waren genervt, aber ich hatte immerhin Fried Chicken, das ich genussvoll mit F. auf dessen Balkon verspeiste. Das wurde natürlich auf Insta gepostet – und Nakamura kommentierte, woraufhin ich ein einziges Herzchenaugen-Emoji wurde, ich Huhn.
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Die ungefähr 30 Minuten Radfahrt bei 20 Grad, von denen ich zehn noch mit Jacke bestritt, sorgten dann auch unfassbarerweise für den ersten Sonnenbrand des Jahres. Ich weiß ja, dass meine Haut Sonne doof findet, aber nach sechs Wochen zuhause mit Ausnahme des kurzen wöchentlichen Einkaufstrips hat sie anscheinend völlig verlernt, mit diesem Feuerball umzugehen. Ich tippe diese Zeilen mit Wund- und Heilsalbe auf Armen und Nacken und freue mich im Nachhinein über den Mundschutz, denn meine Wangen, sonst auch gerne feuerrot, sind top und schmerzfrei.