Tagebuch Samstag, 14. November 2020 – Schreibtischtag

Die Diss fertig gelesen, viele Notizen gemacht. Einiges auf Karteikarten übertragen, die ich jetzt auswendig lerne. Das meiste weiß ich eh, aber dann habe ich das Gefühl, mich anständig vorzubereiten. Das Skript für den Vortrag präzisiert und gekürzt, die Präsentation finalisiert.

In meiner Diss zitiere ich den aus Österreich stammenden Komponisten Ernst Krenek (1900–1991), der 1938 in die USA emigrierte, mit folgendem Satz von 1935: „Man könne mit dem Nationalsozialismus nicht teilweise sympathisieren, denn er strebe danach, ein allumfassendes totalitäres System zu sein, und er sei es auch schon.“ Das wird auch in der Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrums hier in München sehr deutlich, wenn es wieder geöffnet hat, empfehle ich immer einen Besuch.

Gestern musste ich an diesen Satz denken, als ich folgenden Artikel las:

Wie die Nazis ein Kochbuch stahlen

„Im Sommer 1949, elf Jahre nach ihrer Flucht vor den Nazis, kehrte die jüdische Wienerin Alice Urbach erstmals in ihre Heimatstadt zurück. Sie streifte durch Wiens Gassen, stand weinend vor einem Haus, das einst eine Synagoge gewesen war, in der sie viele Jahre zuvor Hochzeiten gefeiert hatte, und kam irgendwann an einem Buchladen vorbei. Im Schaufenster lag ein Buch: „So kocht man in Wien!“ Es sprang ihr sofort ins Auge. Der Grund: Sie hatte das Buch verfasst. Doch auf dem Umschlag stand ein anderer Name: Rudolf Rösch. Wie konnte das sein?

Diese Frage stellte sich die Köchin bis zu ihrem Tod im Jahr 1983. Und noch heute fragt es sich ihre Enkelin Karina Urbach. Die Historikerin forscht in Princeton und lehrt in London, im Streit um das Vermögen der Hohenzollern förderte sie wichtige Quellen zutage. Nun hat sie die Geschichte ihrer Großmutter aufgeschrieben. Dafür durchforstete sie alte Tagebücher und Briefe, und in Archiven in Wien, London und Washington fand sie längst verloren geglaubte Schriften, Tonbänder und Filme. Aus den Recherchen ergibt sich das Bild einer Frau, die es ihr Leben lang nicht übers Herz brachte, über das Schicksal ihrer drei Schwestern zu sprechen, die im Getto von Lodz und im Konzentrationslager von Treblinka ermordet wurden, aber bis ins hohe Alter immer wieder ihr Kochbuch zurückforderte. „Dahinter steckte wohl die Hoffnung, wieder Kontrolle über ihr Leben zu erlangen“, sagt Karina Urbach, „als eine Art Wiedergutmachung.“ Alice Urbach war diese Kompensation Zeit ihres Lebens nicht gegönnt. Ihre Enkelin hat sie nun doch noch erreicht, fast 40 Jahre später.“