Tagebuch Freitag, 8. Januar 2021 – Der Baum ist weg

Mein Weihnachtsbaum hatte die letzten Tage abgeschmückt auf dem Balkon verbracht, weil ich ihn nicht mehr in der Bibliothek haben wollte, Weihnachten ist lange vorbei. Gefühlt eine Ewigkeit. Seit dem 7. Januar hätte ich ihn auf einen der Sammelplätze bringen können, mein nächster ist netterweise nur wenige hundert Meter von der Haustür entfernt. Am Donnerstag konnte ich mich nicht dazu aufraffen, aber gestern war das mein erster Tagesordnungspunkt. F. hatte eine große Plane mit Kabelbindern vorbeigebracht, damit ich den Baum nadelfrei durchs Treppenhaus kriegen könnte, aber, wie ich interessiert feststellte, nadelte das gute Ding so gut wie gar nicht, als ich es brachial vom Balkon ins Arbeitszimmer zog. Daher verzichtete ich auf die Plane, trug ihn durchs Treppenhaus und zur Sammelstelle und musste danach nur wenige Minuten in der Wohnung staubsaugen. Mach’s gut, Bäumchen, schön, dass du da warst.

Im letzten Jahr war ich übrigens eine der ersten gewesen, die den Baum ablegten, gestern quollen mir schon die Bäume bis auf den Gehweg entgegen. Ich nehme das als Zeichen dafür, dass viele Menschen Weihnachten zuhause geblieben sind und sich vielleicht mal ein Baum gelohnt hat. Oder es war Zufall, aber ich möchte mal wieder an das Gute im Menschen glauben.

F. hat auch wieder etwas Hoffnung. Wenn auch weniger auf die Menschen.

Meine Diss ist zerhackt, die Biografie Protzens neu geschrieben, die neue Struktur funktioniert bis jetzt. Ein Tipp vom Lektorgirl war, beim Umschreiben an die Leserin zu denken, und ich musste mir eingestehen, dass ich die ernsthaft vergessen hatte. Stattdessen hatte ich die Prüfungskommission im Kopf, der ich zeigen wollte, in wievielen tollen Archiven ich irre viel gelesen hatte. Darüber ärgere ich mich jetzt wieder wochenlang, dass ich als Werberin meine Zielgruppe verfehlt habe. Aber gut, dann denke ich daran eben jetzt.

Zwischendurch aus dem Roggensauerteig ein Mischbrot gebacken, das die Nacht im neuen Gärkörbchen verbringen durfte. Das sah dementsprechend hübscher aus als alles, was ich bisher produziert hatte. Leider war es innen, ähnlich wie mein erstes reines Roggenbrot, viel zu dicht und klietschig, schmeckte aber trotzdem gut.

Ich buk trotzdem abends noch ein schnelles Toastbrot, weil ich Lust auf ein unkompliziertes Brot hatte. Dafür griff ich zum Buch, aus dem ich das Rezept hatte, anstatt meine Abschrift nachzulesen und stellte wieder fest, dass der Teig viel zu flüssig war. Habe jetzt gnadenlos im Buch notiert, dass ich erstmal ein Ei statt zweien in den Teig werfe. F. panisch: „NIMM DOCH EIN POST-IT!“ Ich bockig: „In meine Bücher darf ich so viel reinmalen wie ich will.“

Nachmittags ein schönes Zoom-Gespräch gehabt und mich als Kunsthistorikerin ernstgenommen gefühlt, das ist immer noch neu für mich.

Abends war wieder unsere wöchentliche Date Night. Wir besprachen die Situation in den USA, aber bevor wir endgültig schlechte Laune bekamen, zogen wir wieder Karten mit Gesprächsthemen.

Ich erfuhr entsetzt, dass F. den Klassiker „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ noch nicht gelesen hatte und drängte ihm sofort mein Exemplar auf, das weniger Unterstreichungen aufwies als ich dachte. Ich musste mich fragen lassen, was ich im Louvre anschauen wollte, wenn wir denn endlich mal wieder hinkämen, denn, peinlich, ich weiß, aber egal, ich mach ja nix mit Kunstgeschichte, ich war noch nie im Louvre. Dabei fiel mir auf, dass ich eigentlich nur zwei Werke wirklich sehen wollte: die Nike von Samothrake sowie das angeblich einzige Reiterstandbild aus karolingischer Zeit, von dem uns ein Dozent im, keine Ahnung, dritten Semester mal erzählt hatte. Auch die Mona Lisa würde ich gerne sehen, aber die kann man ja gar nicht vernünftig anschauen, und dann isses auch egal. In diesem Zusammenhang fiel mir auf, wie toll das war, dem Milchmädchen im Rijksmuseum so nahe gekommen zu sein, und wir vermissten kurz gemeinsam Amsterdam. F. wies zu Recht auf die Freiheit, die das Volk anführt hin, ja, klar, guck ich mir an. Und eben beim Googeln sah ich, dass auch Ingres’ Odaliske da hängt, die nehme ich auch noch mit. Und den ganzen italienischen Flügel. Aber eigentlich möchte ich mehr das Gebäude ansehen und mal die langen Gänge runterbummeln.

Über Tim & Struppi und Hellboy gesprochen (meine Lieblingscomics), Bone und Asterix (F.s Lieblingscomics), Calvin & Hobbes (außer Konkurrenz), Alan Moore, klassische amerikanische Filme, Kinoerlebnisse und bestimmt noch mehr.

Gemeinsam eingeschlafen.