Tagebuch Dienstag/Mittwoch, 26./27. Januar 2021 – Schreib- und Gedenktag

Zwei Tage im Autobahnkapitel verbracht, mindestens zwei werden es noch werden. Meine innere Deadline „Ach, bis Ende Januar bin ich mit der Gesamtüberarbeitung durch“ verschiebt sich möglicherweise um einen Hauch nach hinten. Totale Überraschung.

Je länger ich an meinen eigenen Texten herumdoktore, sie verschiebe, auseinanderrupfe, neu zusammensetze und mit mehr Meta-Ebene und kunsthistorischer Theorie versehe, desto mehr kommt mir meine abgegebene Dissertation wie eine Stoffsammlung vor und das Ding, an dem ich jetzt sitze und veröffentlichen werde, erst wie das richtige Werk. Dann passt das ja eigentlich. Wäre nur schön, wenn mir das schon früher aufgefallen wäre.

Gestern war der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Yad Vashem erinnerte wie in jedem Jahr an seine IRememberWall, bei der man sich einen Namen eines Opfers der Shoah zuteilen lassen konnte, um an ihn oder sie zu erinnern. Ich lernte so Ester Shafran kennen und beschrieb sie auf Instagram, wie ich das in den beiden letzten Jahren auch schon getan hatte. Die Datenbank von Yad Vashem weiß nicht viel über sie bzw. vieles ist auf Hebräisch geschrieben, das ich nicht lesen kann. Sie wurde 1942 in Treblinka ermordet und wurde 17 Jahre alt.

Ich klickte auf Insta auf den Hashtag #iremember und las mir weitere Berichte durch und wie jedesmal, wenn ich ein einzelnes Schicksal kennenlerne, wird die Zahl von sechs Millionen nicht weniger greifbar.

Auch die Arolsen Archives riefen gestern auf Twitter verstärkt zur individuellen Hilfe auf. Ich beteilige mich seit Längerem an der digitalen Arbeit, bei der es darum geht, Häftlingsakten zu transkribieren – vielleicht mögen Sie auch ein paar Minuten Ihrer Zeit schenken?

Die SZ sprach mit einer Freiwilligen über ihre Tätigkeit und Motivation.

„Die Freiwilligen, die an dem Projekt mitarbeiten, können sich auch untereinander austauschen. Wie läuft das?

Wenn man die Dokumente eingegeben hat, kann man dazu einen Kommentar hinterlassen – da geht es vor allem um konkrete Fragen: Kann jemand diese Notiz entziffern, was bedeutet dieser Eintrag? Und auf diesen können andere wiederum antworten. Dieser Austausch im Forum ist sehr wertvoll – denn dabei stößt man auch auf Details, deren Bedeutung sich erst in der Zusammenschau erschließt. Auf den Dachauer Dokumenten fanden sich zum Beispiel bestimmte Kürzel, offenbar vom Wachpersonal, doch das war zunächst nicht klar. Darüber wurde dann im Forum diskutiert. Schließlich haben die Freiwilligen angefangen, diese Karten mit Hashtags zu versehen. Und Historiker haben dann festgestellt, dass ihnen das hilft. Sie sind dadurch auf Informationen gestoßen, die sie vorher nicht bemerkt hatten.

Warum machen Sie selbst bei der Aktion mit?

Die Zeit des Nationalsozialismus, der Holocaust, hat mich schon immer interessiert. Ich habe vor allem in früheren Jahren viel darüber gelesen, Filme gesehen. Aufgrund der ganzen rechtsextremen Tendenzen gerade in der jüngeren Zeit ist es mir ein Anliegen, daran mitzuwirken, dass die Gräuel zur Zeit des Nationalsozialismus nicht in Vergessenheit geraten. Diese Art von Verfolgung und Verunmenschlichung darf einfach nie wieder passieren.“

Johannes Gramlich hat ein Buch über die „Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die bayerischen Staatsgemäldesammlungen“ geschrieben. Gramlich war bei den Gemäldesammlungen mein Ansprechpartner, wann immer ich eine Frage zu Protzen oder der dort verwahrten Papierkopie seines Werkverzeichnisses hatte. Ich bin sehr auf sein Buch gespannt.

Die Rede von Marina Weisband im Bundestag zum Tag des Gedenkens.


(Direktlink)