Freitag bis Sonntag, 12. bis 14. März 2021 – Paul, Baldwin, Wenzel
Für die freitägliche Date Night griff ich endlich mal zu Stevan Pauls japanischem Kochbuch, das schon viel zu lange hier nur durchgeblättert, aber nicht nachgekocht wird. Lustigerweise kochte Juliane von „Schöner Tag noch“ genau dasselbe Rezept nach, das ich auch zubereitete, aber sie konnte das auch fotografisch belegen. Das hätte ich auch gekonnt, wollte ich aber nicht, weil ich totaler Honk die Nudeln als letztes in die Schüssel mit Ramen gab anstatt den ganzen hübschen Kleinkram wie ein halbiertes Ei, Möhrenstreifen, Mais, Tofuwürfel und Frühlingszwiebeln, weswegen der Teller fürchterlich aussah. Diese geistigen Aussetzer passieren quasi immer, wenn F. am Tisch sitzt; ich bin so daran gewöhnt, nur für mich und Insta zu kochen, das dauernd was schiefgeht, wenn noch jemand anders einen Teller haben will.
Daher muss das Interweb jetzt auf ein Foto bei gelblichem Küchenlicht verzichten, aber ich hatte immerhin einen schönen Freitag. Zeitgleich mit dem bereits verbloggten Himbeer-Marmorkuchen (da füge ich gleich noch kleine Edits ein, weil ich den Kuchen gestern gleich nochmal buk, aufgepasst!) kochte ich zunächst eine Gemüsesuppe, die dann ewig abkühlen musste. Gleichzeitig setzte ich ein Dashi an, wobei das nur ein halbes Dashi war: auf die Kombu-Alge hatte ich verzichtet (Schilddrüse, Jod, blablabla), daher war das eigentlich nur heißes Wasser mit Bonitoflocken, in das irgendwann noch ein Haufen Ingwer, Sake und Miso-Paste durften. Beides zusammen ergab mit den oben erwähnten Toppings ein ganz herrliches Essen, das ich mit frischem Koriander etwas ruinierte; ich dachte, Koriander passt zu allem, aber nein.
Gemeinsam eingeschlafen, beide erschöpft von der Woche, der Pandemie, Sie wissen schon, Sie kennen das.
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Samstag konnte ich mich nicht zum Putzen aufraffen, egal, Pandemie, das ist jetzt meine Go-to-Ausrede. Stattdessen gab’s Himbeerkuchen, ich schwitzte wie noch nie auf der Yogamatte, fand es aber masochistischerweise total super, las ein weiteres Buch quer, das die Staatsbibliothek diese Woche zurückhaben möchte und schaute abends endlich „I am not your negro“, was null gute Laune machte. Soll der Film vermutlich auch nicht.
Die Bibliotheken, auch mein geliebtes ZI, haben seit letzter Woche in München wieder geöffnet, und ich könnte mir auch endlich ein Ticket fürs Lenbachhaus gönnen, um mal wieder in der Neuen Sachlichkeit rumzuhängen, oder für die Pinakothek der Moderne, um bei Herrn Protzen vorbeizuschauen und ihm zu erzählen, dass er als mittelbegabter Maler und NS-Profiteur jetzt ne fertige Diss hat, aber das verkneife ich mir alles, auch wenn’s weh tut. Die Inzidenzzahlen sind jetzt wieder da, wo sie Oktober waren; wo München im Februar mal kurz unter 30 war, sind wir jetzt wieder knapp unter 70, und ich ahne, dass das launig weiter nach oben gehen wird, bis ich mich nicht mehr in Züge traue, um im April das Mütterchen zu unterstützen. Danke, Öffnungspolitik, du bist so toll. Ich weiß, dass ich aus einer sehr privilegierten Perspektive argumentiere, ich muss hier nicht drei Kleinkinder bespaßen oder mich mit anderen Leuten um Ruhe in der Wohnung streiten, aber so ganz langsam fühle ich mich von diesem Land, in das ich trotz allem Gemeckere immer ein absolutes Grundvertrauen hatte, im Stich gelassen. An die Bevölkerung zu appellieren, doch bitte diszipliniert zu bleiben, aber gleichzeitig schulpflichtige Kinder in den Präsenzunterricht zu zerren und alle Gartencenter (und Bibliotheken) wieder zu öffnen, in der bescheuerten Hoffnung, niemand würde diese Angebote wahrnehmen, wenn man nur lange genug „bitte“ sagt, ist einfach irrsinnig und es macht mich sehr wütend und gleichzeitig kraft- und mutlos.
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Deswegen war Sonntag auch Sofatag angesagt. Ich buk nebenbei den Himbeerkuchen noch einmal, um ein paar Dinge anzutesten, und las Olivia Wenzels „1000 serpentinen angst“, von dem ich auf 54 books das erste Mal etwas gehört hatte. Die Site besprach das Buch anhand einer weiteren Besprechung im Literaturclub, was mich schlicht neugierig machte. Dort wurde das Buch der Schwarzen Autorin anscheinend aus eher ignoranter Perspektive rezensiert, was zu solchen Absurditäten wie den folgenden endete:
„Im Literaturclub versucht die Gastgeberin Nicola Steiner, Philipp Tingler dann doch noch von der Legitimität Wenzels Erzählweise zu überzeugen. Es sei auf eine Art sperrig, auf eine andere aber auch sehr verspielt und spreche junge Frauen zwischen 20 und 30 sicher an. „Ist das jetzt meine Schuld, dass ich keine junge Frau zwischen 20 und 30 bin“, fragt Tingler. Nicht jedes Buch spreche Leser gleichermaßen an, entgegnet Steiner und Heidenreich bekundet am Bildschirm ihre Zustimmung. Steiner sagt:
„Ich kann mir vorstellen, dass junge Frauen das jetzt entdecken können und mit dieser Art der Literatur auch etwas Universales entdecken können, nämlich diese Ausgrenzung und Schablonen-Denken. Wir haben das ja auch – man wird festgelegt auf etwas, da ist man die Blondine oder der Bodybuilder und man versucht zwischendurch, diese Etiketten von sich zu werfen und zu sagen: ich bin ganz viele und ganz viele kaleidoskopmäßig.“
Im Folgenden greift Tingler seinen seltsamen Universalismusanspruch an die Literatur noch einmal auf. „Universalismus in der Literatur ist ein Aspekt, eine Kohorte von Frauen zwischen 20 und 30 ist ein anderer Aspekt“, so Tingler. „Warum bin ich nicht mitgemeint in diesem Buch?“ Reina Gehrig versucht dagegen zu halten, meint, dass das Buch nicht nur für Frauen zwischen 20 und 30 interessant sei. Ihr Einwand wird von Heidenreich auf dem Monitor abgeschnitten, die das bunte Cover des Buches vor die Kamera hält und in die Runde fragt, ob das Buch nicht „absurd hässlich“ sei. Ohne Umschlag sei es noch viel hässlicher, ergänzt Tingler.“
Ich finde das gelbe Schutzcover okay und das grell pinkfarbene Buch darunter sogar ziemlich super, das ist natürlich im Bezug auf den Inhalt total egal, aber ich kombinierte es trotzdem mit gelber Teetasse und gelbem Lesezeichen.
Ich muss gestehen, dass ich auch etwas mit dem Buch fremdelte, was aber nicht am Inhalt, sondern der Erzählweise lag. Zunächst liest es sich wie ein Dialog, bei dem wir erst herausfinden müssen, wer überhaupt spricht. Kaum hat man sich das irgendwie zurechtgelegt, wechselt das Buch in längere Beschreibungen von Fotos, die Heidenreich laut Eigenaussage quälend gelangweilt hätten; ich empfand sie als willkommene sprachliche Ruheinseln inmitten der vielen gesprochenen Sätze (und sie erinnerten mich natürlich an gewohnte kunsthistorische Bildbeschreibungen). Dann kommen wieder Dialoge, aber die Sprechenden scheinen ihre Plätze gewechselt zu haben; wo zunächst die Ich-Erzählerin gefragt wird, wo sie denn jetzt sei, fragt sie plötzlich selbst: „Wo bin ich jetzt?“ Dieses Dialogische, was eher an Skripte oder Theaterstücke erinnert, ließ mich zunächst etwas angestrengt zurück, weil ich mich auf einen klassischen Roman eingestellt hatte, aber es liest sich alles sehr schnell und unwiderstehlich weg, dass es mir nach wenigen Seiten kaum noch auffiel, eben keinen klassischen Roman zu lesen.
Ich mochte, dass man sich die Geschichte oft selbst zusammenstückeln muss, die mir aus Halbsätzen und Fotobeschreibungen angeboten wird, ich mochte die Perspektivwechsel und das Hin- und Herspringen in der Zeit, man wird als Leserin selten für dumm gehalten. Nur manchmal schleichen sich Absätze in die unterschiedlichen Textformen, die ein bisschen wie ein Wikipedia-Artikel klingen, mit denen der Leserin Rassismus beigebracht werden soll. Die haben genervt und ich weiß auch nicht, warum Wenzel sie einfügte, denn ihre Dialoge und Schilderungen von erfahrenem Wissen sind weitaus eindringlicher als angelesenes. Das Buch geht clever auf innere Kritik ein, indem es die bis zum Schluss nicht aufgelösten Dialogpartner Sätze sagen lässt wie „Immer wieder diese Geschichten, in denen dir fast etwas passiert, aber letztlich doch nicht“, was völlig verkennt, dass ein Leben in konstanter Erwartung von Gefahr ein ständiges Passieren ist. Auch ein launiges „Du sitzt am Ufer, die Sonne scheint, keine Nazis in Sicht. Was genau ist dein Problem?“ fassen gut zusammen, wie wenig ich als weißer Mensch die Situation von Schwarzen Menschen nachvollziehen kann. Insofern sind Sätze wie oben – „Warum bin ich nicht mitgemeint?“ – von so dusseliger Egozentrik, das man sich fragt, wie oft marginalisierte Menschen ihre Geschichte eigentlich noch erzählen müssen: Du bist nicht mitgemeint, weil es dir nie so ergehen wird wie der Erzählerin. Aus dem simplen Grund, dass du weiß bist. Setz dich hin und hör zu. Oder lies das Buch nochmal. Auch wenn du dich nicht für Hautfarben interessierst; vielleicht magst du ja ein cleveres Buch über Angststörungen, Selbsterkenntnis ohne Esoterik, DDR-Geschichte, Liebe und Freundschaft lesen. Das ist es nämlich auch.