Donnerstag, 8. April 2021 – Im Impfzentrum gewesen. Nicht geweint!
Ehrlich gesagt hatte ich damit gerechnet, dass ich weinen würde, denn sobald die E-Mail des Impfzentrums am vergangenen Donnerstag auf meinem Handy aufpoppte mit dem Hinweis, dass ich jetzt online einen Termin buchen könne, heulte ich schon los. Aber dann: Tränchen getrocknet, an den Rechner gesprintet, auf der Seite für die bayerischen Impfungen eingeloggt, alles bestätigt, was die Website bestätigt haben wollte, egal, komm, gib Termin, dann die riesige Schaltfläche „Nächstmöglicher Termin“ angeklickt, kurz gewartet, außer mir waren vermutlich noch tausende andere Menschen der Prio 2 an den Rechner gesprintet, aber da! Ein Termin! Mittwoch, 7. April. HABEN WOLLEN! KLICK! MEINS! Ich bekam eine Mail und eine SMS mit den zwei Terminen für Erst- und Zweitimpfung, und schon heulte ich wieder, weil sich dieser Termin wie das Licht am Ende des langen Tunnels anfühlte.
Aus Gründen, über die ich hier verschämt schweigen möchte, lehnte ich diesen Termin dann allen Ernstes am Ostersonntag ab, besann mich aber kurze Zeit später wieder und klickte erneut auf der Website herum. Dieses Mal dauerte es 90 Minuten und ungefähr 800 Refreshs der Seite, um einen neuen Termin zu bekommen, und der war dann gestern. Ich hätte diese Aktion vermutlich verschwiegen, denn sie ist mir und meinem hysterischen Hühnerhirn sehr peinlich, aber vielleicht hilft es dem einen oder der anderen da draußen zu wissen, dass man bei einem abgelehnten Termin nicht wieder nach ganz hinten in die Schlange rutscht. Man muss halt nur sehr … sehr … sehr oft die Seite neu laden.
Gestern machte ich mich um kurz nach 13 Uhr auf den Weg, um mit der U-Bahn zum Messegelände München zu fahren, wo mein für mich zuständiges Impfzentrum eingerichtet wurde. F.s Vater wurde netterweise am Dienstag geimpft, sein Mütterchen ist heute dran, und Vaddern berichtete Dienstag schon per Mail vom leider etwas vollen Shuttlebus, der einen von der U-Bahn-Station zur betreffenden Messehalle bringt. Seitdem schob ich Panik vor diesem Bus und vor der Halle sowieso.
Ich hatte in den vergangenen Tagen mal nachgezählt, mit wievielen Menschen ich in den letzten dreizehn Monaten Kontakt hatte, der über eine zufällige gemeinsame Busfahrt oder einen Supermarktbesuch hinausging, der also mindestens eine halbe Stunde dauerte; Bibliotheksbenutzer:innen nicht mitgerechnet. Es sind zwölf, inklusive Doktorvater. Und das Tantris im November, das ich im Nachhinein immer weniger nachvollziehen kann. Großes Glück gehabt. Je länger die Pandemie dauerte, je öfter ich vom vorhandenen Impfstoff las und hörte, der aber nie für mich da zu sein schien, desto panischer wurde ich, was Menschen angeht. In den letzten Wochen hätte ich ins Museum oder ins ZI gehen können, was ich aber nicht tat, weil ich es nicht noch auf den letzten Metern versauen wollte. Und nun warteten eine 20-minütige U-Bahn-Fahrt auf mich sowie der Shuttlebus. Ich war so angespannt, dass ich in der – netterweise nur mäßig besetzten – U-Bahn bei knapp über 0 Grad das Fensterlein kippte und nicht mal lesen konnte, so nervös starrte ich in der Gegend rum und atmete so flach wie möglich in meine Maske. Der Bus war dann gut gefüllt, Abstand war nicht möglich, aber ich würde ihn als halb besetzt bezeichnen. Und netterweise wussten alle, wohin wir wollten, hielten daher die acht Minuten Fahrtzeit die Klappe und bemühten sich, sich nicht unbedingt anzuatmen.
Schon in der U-Bahn-Haltestelle war der Weg zum Impfzentrum großflächig und alle fünf Meter erneut ausgeschildert, der Bus hielt direkt vor dem Eingang. Dort gab es vier Drehtüren, vor denen Freiwillige den Ankommenden zuriefen: „Erstimpfung hier lang, Zweitimpfung da vorne“, sehr praktisch. Direkt hinter den Drehtüren stand was zum Desinfizieren, darüber hing ein riesiges Schild, dass man den Perso bereithalten sollte, aber man hatte genug Zeit, ihn aus dem Portemonnaie zu zuppeln, denn erstmal wurde kontaktlos die Temperatur gemessen. Erst bei der zweiten Station möchte jemand den Ausweis sehen: Hat Frau Gröner denn wirklich einen Termin? Ja, sieht so aus, bitte geradeaus und dann nach links. Eigentlich rennt man die ganze Zeit an Absperrbändern und Freiwilligen entlang und achtet auf die Abstandsmarkierungen am Boden und das klappte alles hervorragend.
Im Vorfeld hatte ich gedacht, dass die Anmeldung der Flaschenhals sein würde, an dem sich alles staute, aber als ich in die große Halle trat, in der geschätzt 40, vermutlich noch mehr Anmeldeplätze in kleinen Häuschen warteten, zu denen man von erneut Absperrbändern und Freiwilligen gelotst wird, ahnte ich, dass dem nicht so sein würde. In amerikanischen Pathosfilmen wäre das die Aufnahme, wo die Kamera vom POV der Hauptperson aufzieht und den Blick auf eine immer größer und höher werdende Halle freigibt, dazu kraftspendende Musik mit vielen Bläsern in Dur. Ich gebe zu, ich war beeindruckt und hatte das Jurassic-Park-Theme im Kopf.
Man muss in Bayern und vermutlich auch in den anderen Bundesländern mehrere Dinge vorlegen: offensichtlich den Perso, sonst kommt man gar nicht rein. Die Krankenkassenkarte wollte niemand sehen. Was der freundliche Herr im Häuschen von mir haben wollte, was ich natürlich, NATÃœRLICH, alles in einer Sichthülle, immer und immer wieder TEAM SICHTHÃœLLE, dabei hatte, waren der Aufklärungsbogen, den man unterschreiben musste, sowie den Anamnesebogen mit der Einwilligungserklärung. Der Häuschenmann zeigte sich hocherfreut darüber, dass ich beides von der Website des RKI geladen hatte und nicht von der des bayerischen Gesundheitsministeriums, „denn beim RKI sind die Daten immer schön aktuell“. Das gebe ich euch hiermit weiter. Ich hatte außerdem noch eine Bescheinigung vom Arzt über meine Vorerkrankungen dabei, da wurde ein flüchtiger Blick drauf geworfen, „oh, ganz neu!“, dann bekam ich die beiden Bögen neu ausgedruckt nochmal (keine Ahnung warum), musste beide unterschreiben, aber nicht mehr ausfüllen, und der Herr malte einen Smiley auf die erste Seite: „Damit wissen meine Kollegen, dass Sie alle Dokumente dabei haben. Bitte zwischen den Häuschen durchgehen und nach rechts, da laufen Sie schon den nächsten Mitarbeitern in die Arme, die Ihnen sagen, wo’s weitergeht.“ Und so war es dann auch.
Hinter den Häuschen standen bergeweise Stehtische, an denen die Nichtmitglieder des TEAM SICHTHÜLLE ihre Bögen ausfüllten. Außerdem stehen gefühlt alle zehn Meter Desinfektionsspender, von denen ich einige benutzte, zum Beispiel jetzt, nachdem ich den Stift des freundlichen Häuschenmenschens in der Hand gehabt hatte. Es ging durch eine weitere Tür in eine weitere Halle, und hier trafen sich die beiden Schlangen aus der ersten Halle wieder: Die Menschen, die schon zum zweiten Mal hier waren, musste nicht noch einmal durch die Häuschenhalle, aber in der Impfhalle waren wir wieder alle vereint. Hier trennten sich die Schlangen in die Astra-Zeneca- und die Biontech-Schlange, bei den Zweitimpfungen las ich noch Moderna. Die AZ-Schlange war eindeutig kürzer, aber, sorry, Impfstoff, du bist bestimmt super, ich war unlogisch und egoistisch doch ganz froh, bei Biontech zu stehen. Was man voraussichtlich bekommt, steht auf dem Impfbogen mit den Terminen des Impfzentrums, den man auch mitbringen muss und den ich weiter in der Hand hielt.
Die Impfhalle war eindeutig voller als die Häuschenhalle, es hielten aber alle Abstand, und hier war der einzige Zeitpunkt, an dem ich wirklich mal ein paar Minuten warten musste. Die Impflinge wurden gefühlt schwallweise in die vielen Kabinen in mehreren Gängen gebeten, auch hier wieder Absperrbänder und Freiwillige, ich fühlte mich sehr umpuschelt. Als ich fast dran war, rief ein Mitarbeiter der Dame am Einlass zu den Impfkabinen zu: „Fünf!“ Und die Dame winkte dann die fünf nächsten durch, es war ein bisschen wie früher bei McDonald’s, wo man hinten am Grill dem Mensch vorne am Pass zuruft: „Auf zwölf?“ Was bedeutet: Auf wieviele von den zwölf Hamburgern auf dem Tablett vor mir hättest du gerne Käse für einen Cheeseburger, und vielleicht ruft der Pass dann „Auf fünf!“ und so marschierten wir fünf Impflinge mit Käse dem freundlichen Freiwilligen hinterher, der uns Vorhänge zu Kabinen aufzog, und dann saß ich in einer. In den letzten Monaten hatte mein störrischer Glaube an die deutsche Effizienz sehr gelitten; das Impfzentrum gab ihn mir höflich, freundlich und gut organisiert wieder.
Jacke aus, umgucken. Ich wartete immer noch auf die große Rührung, aber eigentlich war ich viel zu gespannt. Die fiese Nervosität aus der U-Bahn war weg, dafür war ich auch zu viel in Bewegung gewesen und hatte viele Schilder gelesen und mich großäugig umgeschaut und das ganze Impfballett sehr fasziniert beobachtet. Eine Ärztin setzte sich zu mir, nahm mir die Dokumente ab, wollte wissen, ob ich Fragen hätte, hatte ich nicht, dann fragte sie nach meinem Impfpass und klebte das Comirnaty-Schildchen ein. Sie sah meine Stempel der Grippeimpfungen und meinte, wenn ich die gut vertragen hätte, sollte die Covid-Impfung auch kein Problem sein. Bisher scheint das zu stimmen, die Einstichstelle ziepte gestern etwas, am frühen Abend wurde ich schlagartig müde und hatte gerade in den Schultern ein paar Schmerzen. Die erinnerten mich aber eher an das Gefühl, nachdem ich zu heftig an meinen Therabändern gezerrt habe, und nicht an eine Grippe. Ich ahne, dass einfach sehr viel Anspannung von mir abgefallen ist, und heute, nach acht Stunden tiefem Schlaf, fühle ich mich pudelwohl.
Den Impfbogen mit den beiden Terminen aus der Häuschenhalle ließ ich hier und bekam dafür einen neuen ausgedruckt, auf dem nur noch der zweite stand („Dokumentation Erstimpfung“). Den soll ich dann in sechs Wochen wieder mitbringen. Ich dachte kurz daran, dass neben den ganzen Aerosolen auch die Dämpfe von 1000 Laserdruckern hier rumwabern, aber das war mir dann doch eher egal und wir trugen ja alle Masken. Auf dem Bogen steht auch die Chargennummer meines Impfstoffs, die aufgezogene Spritze lag schon bereit, als ich die Kabine betreten hatte. Nun krempelte ich einen Ärmel hoch, als Rechtshänderin hätte ich die Nadel gerne in den linken Arm, auf dem seit über 25 Jahren eine blaue Sonne tätowiert vor sich hinleuchtet. Ärztin: „Ich stech nicht in die Sonne“, den Satz werde ich jetzt ewig mit mir rumtragen. Es piekste kurz und ich grinste sehr breit unter meiner Maske. Nicht geweint, ganz im Gegenteil. Ich durfte aus der Kabine gehen, „Alles Gute!“, dann bekam ich bei der nächsten Freiwilligen den Stempel in den Impfpass und erreichte damit die letzte Halle, in der man noch 15 Minuten rumsitzen sollte, falls es einem doch nicht gut ging. Ich war kurz erstaunt darüber, dass ich den Stempel nicht gleich in der Kabine bekommen hatte, aber so war die natürlich schon wieder frei für den nächsten Impfling.
In der letzten Halle standen dutzende von Stühlen in schönem Abstand, ich suchte mir einen freien, zückte das Handy, schickte erstmal F. ein Foto des Impfpasses und twitterte dann. Oder wollte es zumindest, aber mitten im Satz sprach mich der letzte Freiwillige des Tages an: Ob es mir gut gehen würde? Ich sei doch sehr rot im Gesicht. Ich lauschte erstaunt in mich hinein, meinte, dass es mir gut ginge, der Herr brachte mich aber trotzdem lieber zur Ecke mit dem Notarztzelt, wo ich erneut gefragt wurde, wie’s mir ginge und ich erneut sagte, mir geht’s prima. „Ich war fürchterlich nervös, ich habe heute mehr Kontakte in 30 Minuten als in den letzten 13 Monaten, ich trage eine nagelneue Maske mit sehr engen Bändern, ich wiege viel und es ist hier recht warm – ich ahne, dass ich eher deswegen rot im Gesicht bin. Ich fühle mich wirklich wohl.“ Alle waren zufrieden, ich sollte mich aber trotzdem bitte nochmal 15 Minuten ausruhen, klar, mache ich, schnell getwittert und dann das Handy weggesteckt und brav meditativ rumgesessen und sehr auf meinen Körper gehört. Der hatte aber nur Hunger und Durst und es war ihm wirklich zu warm.
Durch den Ausgang aus dieser Halle kam man direkt ins Freie, dort setzte ich die Maske ab und nahm einen großen Schluck aus der mitgebrachten Wasserflasche. Maske wieder auf, ab zum Bus, den Fußweg zur U-Bahn, den ich mir eigentlich vorgenommen hatte, ließ ich doch lieber bleiben, vielleicht war ich doch angeschlagenener als ich dachte. Also Bus, dann Bahn, dann die 300 Meter Fußweg nach Hause, alles gut.
Den Champagner zur Feier der Impfung gibt es erst heute abend während der Date Night; ich gönnte mir gestern kochfaul eine kleine Bringdienstpizza und verdöste quasi den Rest des Tages, weil auf einmal sehr viel Spannung von mir abgefallen war. Eins erledigte ich aber noch neben diesem Blogeintrag: die ersten Notizen in der SafeVac-App. Dort wird man direkt nach der Impfung, eine Stunde danach und dann nochmal nach sechs Stunden gefragt, wie’s einem denn so geht, und es folgen noch ein paar weitere Termine bis zur Zweitimpfung. Die ersten beiden konnte ich gestern nachtragen, das hatte ich nicht auf dem Schirm, dass man da sofort etwas anklicken muss.
Im Impfzentrum darf man übrigens nicht fotografieren, deswegen ist dieser Eintrag hier Bleiwüste, aber das ist echt egal, denn: erstgeimpft. Ich bin endlich erstgeimpft. Mir fielen schon in der U-Bahn ungefähr acht Gebirge vom Herzen, und jetzt als Mitglied der Comirnaty Ultras fühlt sich die Pandemie ein ganz winziges bisschen bezwingbarer an als noch gestern morgen. Wir enden erneut auf dem Jurassic-Park-Thema.