The Curious Case of Benjamin Button


© Warner Bros./Paramount Pictures

The Curious Case of Benjamin Button (Der seltsame Fall des Benjamin Button, USA 2008, 166 min)

Darsteller: Brad Pitt, Cate Blanchett, Julia Ormond, Taraji P. Henson, Jason Flemying, Mahershalalhashbaz Ali, Rampai Mohadi, Jared Harris, Tilda Swinton
Musik: Alexandre Desplat
Kamera: Claudio Miranda
Drehbuch: Eric Roth & Robin Swicord, nach einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald
Regie: David Fincher

Trailer

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The Curious Case of Benjamin Button ist gespickt mit Sätzen, die so gedrechselt sind, dass man sie sich offensichtlich merken soll. You never know what’s comin’ for ya. Some things last. Our lives are defined by opportunitites, even the ones we miss. Das Thema des Films – Vergänglichkeit, Festhalten, Dinge, die uns zustoßen und Dinge, die wir ändern können – wird einem gefühlt alle zehn Minuten nochmal unter die Nase gerieben, als ob man vergessen könnte, worum es in der Geschichte geht. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wer das vergessen könnte, der einmal dabei zugesehen hat, wie Brad Pitt jünger und Cate Blanchett gleichzeitig älter wird.

Die Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald dient nur als Ausgangspunkt. In ihr wird relativ schlicht beschrieben, wie ein Baby zu Welt kommt, das aussieht wie ein 80jähriger Greis, aber dabei ein Kind ist, es optisch immer jünger, innerlich aber immer älter wird, bis es als Baby stirbt, aber sein ganzes Leben dement vergessen hat. Der Film erfindet eine Rahmenhandlung dazu, die mir zuerst ziemlich auf die Nerven gegangen ist, weil ich sie als unnötig empfunden habe, mich aber zum Schluss fast demütig im Kino hat sitzen lassen, weil auf einmal alles gepasst hat. In ihr liegt eine kaum zu erkennende Cate Blanchett in New Orleans im Sterben, und ihre Tochter (Julia Ormond) liest ihr aus einem alten Tagebuch vor: dem von Benjamin.

Sie beginnt zu lesen, und das Film verabschiedet sich vom Krankenbett und führt uns in das New Orleans der 20er Jahre, in denen Benjamin in einem Altersheim aufwächst. Sein Vater hatte ihn auf den Stufen ausgesetzt, und eine Angestellte des Heims hat ihn zu sich genommen. Hier beginnt der visuelle Kontrast, der den Film durch die Jahrzehnte hindurch auszeichnet: das ständige Aufeinanderprallen von Alt und Jung. Benjamins „Mutter“ ist anscheinend Mitte 20, und ihr „Sohn“ sitzt klein und faltig im Rollstuhl neben den anderen alten Männern und Frauen, die ihre letzten Tage gemeinsam erleben. Hier beginnt auch das erzählerische Grundmuster des Films: Die Szenen im Krankenhaus und die vorlesende Julia wechseln sich ab mit Spielszenen, in denen eine untergegangene Welt lebendig wird. Anfangs bin ich jedesmal zusammengezuckt, wenn ich aus der weichbeleuchteten Vergangenheit ins Neonlicht des Krankenhauses geholt wurde und war innerlich wütend auf Regie und Drehbuch, weil ich es mir gerade so schön gemütlich gemacht hatte mit den warmen Bildern, die wie aus einem Familienalbum aussehen, das man Sonntagnachmittag durchblättert. Aber nach und nach nähern sich die beiden Zeiten einander an, und zum Schluss war schlicht und ergreifend keine Vergangenheit mehr da, in die man zurückkehren bzw. an die man sich erinnern konnte. Stattdessen zitiert der Film zum Schluss eine Szene, die ganz am Anfang stattfand, bei der ich mich den ganzen Film lang gefragt habe, was sie sollte, bis sie mir noch einmal kurz vor Augen geführt wurde – und ich innerlich bei Regie und Drehbuch um Verzeihung gebeten habe.

Benjamin lernt mit circa zehn Jahren die gleichaltrige Daisy kennen und verliebt sich in sie. Der Film erzählt die Geschichte der beiden – wie Daisys Großmutter Benjamin anfaucht, er solle sich schämen, als sie den Greis mit ihrer kleinen Nichte des Nachts in einer Höhle aus Decken und Tischen findet. Wie sich die gut 20-Jährige dem optisch 30 älteren Mann an den Hals wirft und er sie abweist. Wie er dann in ihre noch jugendliche Welt einbricht und sie ihn wiederum abweist. Und wie sie sich schließlich in der Mitte treffen, als alles passt, als alles so sein soll. Das hätte eigentlich schon gereicht, aber leider muss der Film noch ein paar kleine Umwege machen, die ihn auf zweieinhalb Stunden Spielzeit bringen, von denen ich auf mindestens eine halbe hätte verzichten können. Vor allem die Szenen an Bord des Schleppers, auf dem Benjamin seinen ersten Job hat und mit dem er den 2. Weltkrieg miterlebt, haben den Rhythmus meiner Meinung nach unnötig gestört, einfach, weil Daisy nichts mit diesem Teil von Benjamins Leben zu tun hat. Einiges war nötig – seine ersten Erfahrungen mit Alkohol und Frauen zum Beispiel –, aber in der epischen Breite musste ich das nicht alles sehen.

Und so hat mich Benjamin Button auch erst richtig erwischt, als Daisy und Benjamin sich finden. Davor kann man schon mal die Gedanken schweifen lassen und das Make-Up bewundern, das die beiden nicht nur älter macht – das ist ja schon fast nichts Besonders mehr –, sondern auch glaubwürdig jünger. Cate Blanchett sieht in ihren Zwanzigern aus, als ob sie von innen leuchten würde, und ich glaube, gerade in dem Alter tut man das auch: Man geht die ersten Schritte in ein selbstbestimmtes Leben, verliert sein Herz zum ersten Mal so sehr, dass es nachhallt, man verdient das erste Geld, man erwacht, man wird zu dem, der man sein will. Und so sehen wir Cate auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit, begleiten sie auf einer großen Karriere – nur um dann dabeizusein, wenn sie langsam erlischt, der Körper nicht mehr mitspielt und sich ihr Leben dem Ende zuneigt. Das ist eigentlich nicht der Rede wert, denn wir alle wissen, dass es uns genauso gehen wird. Was es so schmerzhaft macht, ist, direkt daneben ausgerechnet Brad Pitt zu sehen, dessen Schönheit bereits zu ahnen ist, wenn man ihn in der Maske des alten bzw. älteren Mannes sieht. In dem Moment, in dem er zum ersten Mal auf der Leinwand zu sehen ist in dem Alter, in dem Daisy und Benjamin füreinander bestimmt sind, strahlt er all das aus, was ihn nicht nur für Daisy so attraktiv macht: alles, was er erlebt hat, steht ihm genauso ins Gesicht geschrieben wie ihr, und deswegen ist diese kurze Zeitspanne so perfekt. Und während sie von immer mehr Leben zerfurcht wird, scheint seines ausradiert zu werden – die Falten auf der Stirn verschwinden, die Wangen werden voller, die kleine Narbe am Auge ist das einzige, was davon zeugt, dass er schon Jahrzehnte hinter sich hat. Es ist nicht nur ergreifend, dabei zuzusehen, wie sich ihrer beider Leben wieder trennen muss, sondern grausam. Wenn die alte Frau sich schließlich um das Kleinkind kümmert, das einmal ihr Liebhaber gewesen ist, zerreißt es einem fast das Herz: Er hat vergessen, während sie sich an alles erinnern muss.

The Curious Case of Benjamin Button entschädigt mit wunderbaren Schauspielern für seine kleinen Längen, er bezaubert mit einer liebevollen Ausstattung, die die Zeitsprünge klug bebildert anstatt bunte Kulisse zu sein, und er ist sich nicht zu schade, teilweise die ganz großen Gefühle auszupacken. Wie gesagt, auf die Kalendersprüche hätte ich verzichten können, denn die braucht der Film überhaupt nicht. Die Gesichter der beiden Hauptdarsteller tragen die ganze Geschichte, und viele Dialoge erzählen nur noch mal, was wir gefühlt schon begriffen haben. Dass wir alle nur eine begrenzte Zeit haben und dass wir sie so gut nutzen sollten, wie es eben geht. Und wenn wir sie auch noch teilen können, passt alles, weil alles so sein soll.