Was schön war, KW 34 – Arbeit und Essen

Arbeit tut gut. Also nicht nur die Kunstgeschichte, sondern auch die schnöde Werbung. Gerade habe ich mehrere kleine Jobs auf dem Tisch, die meinen Kopf in unterschiedliche Richtungen schicken, und das gefällt mir sehr gut. Es lenkt außerdem vom Norden ab, ich denke nicht ständig daran, ob alles in Ordnung ist.

Was sich dort schon verändert: das Mütterchen ruft öfter an als vorher, obwohl es gar nichts zu erzählen hat. Aber jetzt ist eben kein Ansprechpartner mehr für die kleinen Nichtigkeiten des Alltags im Haus, an den sie diese loswerden kann. Und, und das freut mich außerordenlich: Sie sagt Sätze wie „Wenn ich denn nach München komme …“ oder „Wenn ich wieder in die Oper gehe …“, was sie über zwei Jahre nicht sagen konnte.

Sehr interessiert gelesen: What if friendship, not marriage, was at the center of life? Der Untertitel, ein Zitat zweier Freundinnen, um die es auch geht, verdeutlicht, was der Kern ist: „Our boyfriends, our significant others, and our husbands are supposed to be No. 1. Our worlds are backward.“

Im Artikel wird das Konzept hinterfragt, alle Bedürfnisse, die man hat, auf ein einziges Paar Schultern zu legen, was mir immer sinnvoller vorkommt, je älter ich werde. Vermutlich denke ich eh nicht mehr ganz so in diesen engen Konzepten, seit ich weiß, dass ich mir selbst genüge. Wobei das natürlich einfacher ist, wenn man weiß, dass im Hintergrund genügend andere Menschen sind, denen ich auch genüge. Aber alleine die Idee abzuschütteln, man bräuchte jemand anderen, um sich selbst zu komplettieren, ist harte Arbeit, vor allem, wenn man sie jahrelang eingetrichtert bekommen hat.

Ich fand am Artikel auch spannend, dass sich das Konzept von Freundschaft über die Jahrhunderte verändert hat:

„Intimate friendships have not always generated confusion and judgment. The period spanning the 18th to early 20th centuries was the heyday of passionate, devoted same-sex friendships, called “romantic friendships.” Without self-consciousness, American and European women addressed effusive letters to “my love” or “my queen.” Women circulated friendship albums and filled their pages with affectionate verse. In Amy Matilda Cassey’s friendship album, the abolitionist Margaretta Forten inscribed an excerpt of a poem that concludes with the lines “Fair friendship binds the whole celestial frame / For love in Heaven and Friendship are the same.” Authors devised literary plot lines around the adventures and trials of romantic friends. In the 1897 novel Diana Victrix, the character Enid rejects a man’s proposal because her female friend already occupies the space in her life that her suitor covets. In words prefiguring Kami West’s, Enid tells the man that if they married, “you would have to come first. And you could not, for she is first.” […]

These friendships weren’t the exclusive province of women. Daniel Webster, who would go on to become secretary of state in the mid-1800s, described his closest friend as “the friend of my heart, the partner of my joys, griefs, and affections, the only participator of my most secret thoughts.” When the two men left Dartmouth College to practice law in different towns, Webster had trouble adjusting to the distance. He wrote that he felt like “the dove that has lost its mate.” Frederick Douglass, the eminent abolitionist and intellectual, details his deep love for his friends in his autobiography. Douglass writes that when he contemplated his escape from slavery, “the thought of leaving my friends was decidedly the most painful thought with which I had to contend. The love of them was my tender point, and shook my decision more than all things else.”

One question these friendships raise for people today is: Did they have sex? Writings from this time, even those about romantic relationships, typically lack descriptions of sexual encounters. Perhaps some people used romantic friendship as a cover for an erotic bond. Some scholars in fact suspect that certain pairs had sex, but in most cases, historians—whose research on the topic is largely confined to white, middle-class friends—can’t make definitive claims about what transpired in these friends’ bedrooms. Though we will never know the exact nature of every relationship, it’s clear that this period’s considerably different norms around intimacy allowed for possibilities in friendship that are unusual today. […]

Beliefs about sexual behavior also played a role. The historian Richard Godbeer notes that Americans at the time did not assume—as they do now—that “people who are in love with one another must want to have sex.” Many scholars argue that the now-familiar categories of heterosexuality and homosexuality, which consider sexual attraction to be part of a person’s identity, didn’t exist before the turn of the 20th century. While sexual acts between people of the same gender were condemned, passion and affection between people of the same gender were not.“

Mit diesem Artikel guckte sich die Mini-Serie „It’s a sin“ noch schmerzlicher weg, als es eh schon war. Trotzdem große Empfehlung.

Ich erwähnte letzte Woche, wie gerne ich die Serie „High on the hog“ geschaut hatte, die auf dem gleichnamigen Buch beruhte. Ich zitiere mich selbst und möchte festhalten, dass ich durchaus das Gefühl hatte, die Formulierung sei sehr an der Grenze zur Bettelei: „Das Buch […] liegt auf meiner Merkliste. Es steht hier nur in einer Fachbereichsbibliothek, ich kann es aber nicht ausleihen.“

Seit Donnerstag liegt es stattdessen hier, und die Botschaft der freundlichen Schenkerin lautete: „Der Wink mit dem Zaunpfahl wurde verstanden :-)“ (Hier die errötende Anke vorstellen.) Vielen Dank, ich habe mich sehr gefreut.

Diese Woche war die erste in diesem Jahr, in der ich ein frisch gezapftes Bier in der Gastronomie genießen konnte. (Okay, fünf.) Bei allen Gästen wurde ein Impfzertifikat kontrolliert. Das Obacht ist eben ein guter Laden.

Mehrere Tweets wiesen mich diese Woche auf die unterschiedliche Inzidenz für Geimpfte und Ungeimpfte hin, hier in Bayern waren das laut Tweet in der vorletzten Woche 5,75 versus 58. Ich suchte ein bisschen nach Infos und fand diese Pressemitteilung der bayerischen Staatsregierung, in der die aktuellen Inzidenzen (gerundet) lauten: Bei Geimpften 9, bei Ungeimpften 111. Na bravo.

Ich las zusätzlich einen der wöchentlichen Situationsberichte des RKI, bei dem ich verschreckt feststellte, dass bei den Menschen unter 60 Jahren noch satte 35 Prozent nicht geimpft sind. Was ist mit den Leuten?

In Berlin läuft derzeit im DHM eine Ausstellung zu den sogenannten „Gottbegnadeten“, also Künstler*innen, die Hitler als wertvoller als den Rest ansah und die zum Beispiel nicht eingezogen werden konnten. Die Ausstellung zeigt verschiedene Lebenslinien und verweist auf die Nicht-Zäsur von 1945.

Der Katalog wird mich nächste Woche erreichen, bis dahin verweise ich auf den folgenden Monopol-Artikel, der natürlich totales Wasser auf allen meinen Mühlen ist.

„Einige der Künstler durften dann sogar NS-Gedenkstätten ausgestalten. So etwas wurde nicht kritisiert?

Nein, und das ist wirklich bemerkenswert. Anfang der 1960er gestaltete Willy Meller eine Monumentalskulptur für das erste westdeutsche NS-Dokumentationszentrum, in Oberhausen. Die Entrüstung darüber blieb aus, erstaunlicherweise, denn Meller war einer der erfolgreichsten Bildhauer im Nationalsozialismus gewesen. Er wurde unter anderem mit der Bauplastik für NS-Ordensburgen oder dem KdF-Seebad Prora beauftragt. Dass dieser Künstler eine figürliche Plastik vor diesem Dokumentationszentrum errichten durfte, das war einer der Momente während der Recherche, in denen ich dachte, ich werde bekloppt. Kunst war im Nationalsozialismus sehr populär. Es gab viele Ausstellungen, Kunstzeitschriften, Postkarten, Kunstdrucke – in Sachen Merchandising waren die Nationalsozialisten wirklich durchaus modern. 1962 müssen viele Leute gewusst haben, wer Willy Meller ist. Trotzdem gab es keinen Widerspruch.“

In meiner Diss verweise ich auf die Vorarbeiten, die Protzen – 20 Jahre nach seinen Arbeiten für die Reichsautobahn – für die Bundesautobahn leistete, zu denen ich leider nichts in den Archiven finden konnte, was über die wenigen Schriftstücke im Nachlass hinausging. Das Volkswagenwerk kaufte bereits 1950 mehrere Werke von Erich Mercker, die Kopien oder Varianten zweier Werke von 1936 und 1939 waren. VW nutzte zusätzlich ein Gemälde Werner Peiners, einer der Gottbegnadeten, als Hintergrund für eine Bulli-Werbung; die Werbung erschien Anfang der 1950er-Jahre, das Gemälde stammte aus der Zeit zwischen 1936 und 1938.

Ich habe mich sehr über eine Reply gefreut.

Die cool people unter uns wissen natürlich, dass das ein Zitat aus „Tristan und Isolde“ ist. Sehr gelacht, vielen Dank an den Autor.

Gestern hatte der FC Bayern sein zweites Heimspiel in dieser Bundesligasaison. Zufällig waren F. und ich draußen unterwegs und trafen auf einige Fans mit Schals. Das hatte ich auch schon lange nicht mehr gesehen: Menschen, die offensichtlich zu Fußballspielen gingen. Das war schön.

Der Wochenhöhepunkt war der gestrige Abend, denn F. führte mich mal wieder groß aus. Es ging in den Salon Rouge, für den bzw. dessen Vorgängerwirkungsstätten Tohru Nakamuras wir mehrere Reservierungen hatten, aber dann, na ja, Sie wissen schon. Statt im Mai 2020 oder im Dezember 2020 saßen wir halt jetzt in seinem Restaurant, ich freute mich über die Kontrolle des Impfstatusses und die laut Website vorhandenen H14-HEPA-Filter, wir schlemmten daher kaiserlich.


Eine knusprige Schale, Tomatenschaum, Wasabi und Kaviar. Der perfekte Bissen: knusprig, weich, kühl und gleichzeitig gefühlt warm durch den Schaum, scharf und mild. Genau das finde ich so irre an Nakamura: In jedem Bissen ist alles.


Ein kaltes, festes Tomatenviertel, darunter weiche Aubergine, darauf knusprige Kombu-Alge und ein kleines Scheibchen Habanero.


Die beste Tomate, die ich je hatte. Unter ihr Lachsforelle und Chawanmushi, eine Art Eierstich.


Bachforelle, Gurke, Verbene und Kapuzinerkresse. Irgendwo war noch Ingwer, und ich erinnerte mich wieder daran, wie großartig Ingwer zum Gurkensalat schmeckt. Ja, profan bei einen derartig schönen Teller, aber ich bin alt, ich vergesse manchmal, was mir gut geschmeckt hat. Deswegen muss ich essen gehen, um daran erinnert zu werden. Win-win!

Mit diesem Gang begann auch die Weinbegleitung, die, natürlich, natürlich, großartig war.


Huch, schon ein Fleischgang? Ozaki Wagyu mit Rettich, Grünkohl (alle Influencer haben mich für „kale chips“ verloren), Meerrettich und Beurre blanc. Ich hätte das Fleisch fast mit etwas weniger drumrum auf dem Teller haben wollen, aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau.


Der Gang nannte sich „Münchner Umland“, wir kommen also aus Japan kurz wieder nach Hause. Er war vegetarisch, bestand aus Artischocke, Karotte und Thai-Basilikum mit Safrandressing, das einem schon entgegenduftete, als der wie immer hervorragende Service sie frisch auf den Teller tropfte. Das fand ich sehr erfrischend, ein schöner „palate cleanser“.


Schlimmstes Gefäß, tollster Wein. Auf dem glitzendern Wulst, das sich Teller nennt, lag ein perfekt gegartes Stück weißer Heilbutt, darauf drei Muscheln, die mit Soja glasiert wurden, darunter ein Reisrisotto mit Pilzaioli. Der Wein dazu war die Premiumvariante der Weinbegleitung, die F. dringend haben wollte und ich habe so gar keine Gegenwehr geleistet. Ein Chardonnay aus dem Burgund, den wir laut Sommelier erstmal ein paar Minuten atmen lassen sollten. Kein Problem, wir haben Zeit. Er veränderte sich quasi mit jedem Schluck und jedem begleitenden Bissen und war einer der tollsten Weine, die ich je getrunken habe.


Der Hauptgang waren zwei Stücke Kotelette vom Pyrenäenschwein, dazu gab es gerösteten Mais und ein Bohnencassoulet, das auch am Tisch blieb, damit man das kleine Kupfertöpfchen leeressen konnte, was wir pflichtschuldig erledigten. Der Pinot Noir aus dem Burgund dazu war wieder ein Premiumweinchen, und ich gestehe, dass ich gewimmert habe, als das wirklich komplett leergeatmete Glas abgeräumt wurde, ich hätte es gerne in den Arm genommen. Ein unglaublicher Wein.


Das Fiese an den Sternengängen ist bei mir immer: Bei Gang 3 denke ich, OMG wir sind schon halb durch, wie haben doch gerade erst angefangen, aber beim ersten Dessert bin ich dann so erledigt, dass ich geistig abschalte. Daher habe ich zu diesem Gang – Melone, Earl-Grey-Geliertes, marinierte Blaubeere und Pistazienblättchen – kaum etwas beizutragen. Ich habe mich nur etwas geärgert, dass aus dem schönen Tageslicht inzwischen ein arg schummeriges Halbdunkel geworden war, das mich die vielen lustigen Baisertröpfchen und Kleckse und Dekoblümchen nicht mehr recht erkennen ließ. Das Restaurant ist nur noch bis Oktober in der vorläufigen Location im Werksviertel, danach warten wir alle brav, bis das Innenstadtgebäude renoviert wurde. Daher rechne ich beim nächsten Besuch wieder mit besserem Licht.


Das zweite Dessert haben sowohl F. als auch ich eher verwackelt bis gar nicht fotografiert, das war ein lustiges Wassereis mit Yuzu. Das hier war einmal Haselnusseis (TEAM HASELNUSS!) und davor … äh … irgendwas. Ich glaube, Himbeere. Ich war durch.

Zum Abschluss gab’s statt Espresso für uns einen äußerst weichen japanischen Whisky, dann schaukelten wir mit S- und U-Bahn nach Hause und fielen ohne große Umstände ins Bett. Essen ist anstrengend, aber irgendwer muss es ja machen.

Gute Woche, diese Woche.