Freitag bis Montag, 23. bis 26. Dezember 2022 – Weihnachten
Ein Ersatz-ICE machte aus unseren schönen Großraumtickets im Ruhebereich Abteiltickets, immerhin auch dort für leise Gäste. Im vollbesetzten Abteil war es zwar etwas eng, weil wir sehr viel Zeug dabei hatten (Champagnerflaschen, Brantnerbrote), aber immerhin ruhig und freundlich. Dazu trugen auch die Durchsagen des Zugpersonals bei, die ich als wirklich zugewandt und aufmerksam empfand. Auch den Appell, pfleglich miteinander umzugehen: „Wir sind gut ausgebucht; bitte schauen Sie sich um, ob es jemanden gibt, der einen Platz benötigt und bieten Sie ihn selbständig an. Ich vertraue auf Ihr gutes Urteilsvermögen.“ (Aus dem Gedächtnis zitiert.)
Wir kamen fünf Minuten vor der geplanten Zeit in Hannover an und selbst die S-Bahn fuhr mal pünktlich, das ist seit dem Betreiberwechsel im vergangenen (?) Jahr nicht mehr ganz so selbstverständlich. Aber wir mussten mit dem ganzen Geraffel zwei Minuten vor Ankunft des Zugs noch das Gleis wechseln. Nun ja. Im Vergleich zu dem, was ich auf Mastodon über Zugfahrten zu Weihnachten las, hatten wir anscheinend Glück. Ich kam einigermaßen entspannt in Hannover und äußerst entspannt wieder in München an. Auf der Rückfahrt gab es auch die auf der Hinfahrt sehr vermisste Lieblingsgast-Schokolade, die ich doch immer als Mittagessen einplane.
Am 23. gab’s heißgeräuchterten Lachs und einen schönen Rosé, was F. beides ebenfalls noch im Gepäck hatte (ich sag ja, viel Geraffel). Ich deckte im Esszimmer die Goldrandteller ein und zündete eine Kerze an, weil ich weiß, dass das Mütterchen sich freut, nicht in der Küche zu sitzen und sich vor allem an einen gedeckten Tisch setzen zu können.
Am Heiligabend gab’s das übliche Low-maintenance-Essen, nämlich Raclette. Schwester und Schwager waren zu Gast und brachten Geschenke, wir ebenfalls, großes Auspacken, Freude, ein paar Kurze zum Verdauen, dann besinnliches Baumgucken und den Wachskerzen dabei zuschauen, wie sie runterbrennen, neben den elektrischen, die hoffentlich nie runterbrennen.
Ich hatte am Vormittag den Baum geschmückt; normalerweise nehme ich dafür nur die vielen roten Kugeln und die wenigen goldenen und lasse den meist üppigen grünen Riesenbaum (im Vergleich zu meinem städtischen Miniding) so wie er ist.
Dieses Mal sah ich in den vielen Kistchen und Kästchen mit Schmuck goldene Walnüsse. Papa hatte vor Jahren mal die Schalen von Walnüssen, die er so schön geknackt bekommen hatte, dass die Hälften heile blieben, wieder zusammengeklebt und mit Goldlack besprüht. Die mussten jetzt natürlich an den Baum. Wir sprachen über Papas Eigenheiten, auch dass er der einzige war, der die komisch violettroten Kugeln mochte, die überhaupt nicht zu allen anderen roten passen. Die hatte ich jetzt mal weggelassen, in den letzten Jahren hatte ich sie immer aufgehängt. Außerdem im Baum: gläserne Glocken, rote Herzen und Sterne sowie goldene Engel.
Am ersten Feiertag luden Schwester und Schwager an den Tisch, es gab eine tagelang in Salzlake mürbe gebeizte Pute mit Rotkohl und Knödeln. Wie schon im letzten Jahr ganz hervorragend.
Meine Schwester hat sogenannte Tropfkugeln, die jedes Jahr unter den Wachskerzen hängen und immer weiter volltropfen dürfen. Außerdem tragen ihre Mainzelmännchen wieder ihr Weihnachtsoutfit.
Ich verlor im Doppelkopf haushoch, aber das ist ja nichts Neues. Dafür konnte ich mich über die Grobi-Puppe vom Schwager stundenlang freuen, die ich bisher einfach nur als Stofftier wahrgenommen hatte, aber man kann in den Kopf und die Plüschhände menschliche Hände stecken. Erstmal Blödsinn damit gemacht.
Der Steinmetz hatte es noch vor Weihnachten geschafft, die Stele auf Papas Urnengrab zu setzen. Er hat auch schon einen Nachbarn bekommen und liegt nicht mehr alleine in seiner Ecke des Friedhofs. Wir legten rote Rosen auf den Stein, Omi, Oma und Opa bekamen rosafarbene.
Die Stimmung war ruhig und gelöst. Ich hatte ein bisschen Angst vor viel Traurigkeit gehabt, aber die war im letzten Jahr deutlich spürbarer gewesen. Papa ist im August 2021 ins Heim gekommen, er war also im letzten Jahr auch schon nicht mehr direkt bei der Familienfeier dabei. Wegen der Corona-Vorschriften durften wir auch nur einzeln zu ihm. Er war geistig aber noch halbwegs fit, der Einbruch kam Anfang Mai, zu seinem Geburtstag hat er mich, glaube ich, schon nicht mehr wirklich wahrgenommen. Aber am Heiligabend 2021 konnte ich noch mit ihm sprechen und ich habe ihn gefilmt; er erkannte sich und mich auf dem Handy im Selfiemodus und streckte uns die Zunge heraus. Ich bin heute noch froh über meine Idee, im Januar einen Videokurs zu machen, weswegen ich im Dezember mal die Videofunktion des Handys antesten wollte. Nur deswegen habe ich noch bewegte Bilder von ihm, an die ich in diesem Jahr sehr oft gedacht habe.