Samstag, 3. Februar 2024 – Erinnern und gedenken
F. und ich besuchten eine Veranstaltung der Kurt-Landauer-Stiftung und lernten so auch mal den Freizeittreff Freimann kennen. „Stellt ihr eure Flaschen bitte wieder nach hinten, wir müssen um 12.30 Uhr hier raus sein, dann kommt eine Hochzeit.“ Nice.
Das Podiumsgespräch fand zum Erinnerungstag 2024 statt. Die Stiftung hatte Ronny Blaschke als Moderator eingeladen, was eine sehr gute Idee war. Manche Podiumsgespräche scheinen mir nach dem Motto „Wir laden spannende Menschen ein und gucken mal, was passiert“ entwickelt worden zu sein, was durchaus interessant sein kann, aber ein gut geführtes Gespräch war dem Thema Gedenken und Erinnerung angemessener.
Zuerst kam Andreas Wittner, langjähriger Mitarbeiter beim FC-Bayern-Museum, zu Wort, der sich um die Biografien von Spielern und Mitgliedern des FCB kümmert, die während der NS-Zeit ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden. Diese Tätigkeit mündete in das Gedenkbuch, das bei der Stiftung auf der Website abrufbar ist. Seit dem 8. November 2023 werden am jeweiligen Geburtstag der Ehemaligen ihre Lebensläufe auf der Website, auf Instagram und auf Facebook vorgestellt, mal länger, mal kürzer, je nachdem, wie groß der Wissensstand gerade ist.
Um diesen zu erhöhen, arbeiten Wittner und die Stiftung mit dem Stadtarchiv zusammen sowie dem Kulturreferat. Daniel Baumann, Leiter des Stadtarchivs, erwähnte das Gedenkbuch verfolgter Münchner Juden und Jüdinnen, das seit 20 Jahren existiert und heute – natürlich – als Datenbank online verfügbar ist. Auch dort fand Wittner Informationen zu einigen Bayern-Spielern oder Mitgliedern. Maximilian Strnad vom Kulturreferat führte das Gespräch dann vom Gedenken und Erinnern ins heutige München: Was machen wir aus diesem Vermächtnis? Was macht der Verein aus seiner Geschichte?
Benny Folkmann, Geschäftsführer beim FCB und im Vorstand der Deutschen Sportjugend, berichtete unter anderem von Anti-Rassismus-Trainings, die für die Mitarbeitenden des Vereins durchgeführt wurden, auch zum Beispiel für die Menschen in den Shops oder die Jugendspieler. Bei den Lizenzspielern schien das Training nicht verpflichtend zu sein, „das sind erwachsene Männer“. Natürlich kam der Fall Mazraoui zur Sprache, und das Podium und das Publikum waren sich nicht ganz einig, ob die Reaktion des Vereins die richtige war.
Folkmann erwähnte auch, und das war für mich einer der wichtigsten Punkte gestern, dass Sport eben nicht in einer Blase existiert, gerade Fußball nicht als Massensport und Aktivität, die jedes Wochenende hunderttausende bewegt. „Dass Sport nicht politisch ist, ist Bullshit.“ Sport bzw. Fußball seien nicht parteipolitisch, aber auf jeden Fall gesellschaftspolitisch. Auch meine Meinung: Wie sich Sportler*innen und Vereine verhalten und positionieren, kann durchaus Einfluss auf die Gesellschaft haben – die sich ja schon im Stadion befindet. Darauf wies auch Patrick (Nachname vergessen) von der Kurt-Landauer-Stiftung hin: „Die Gesellschaft steht in der Kurve.“ Auch das wird meiner Meinung nach gerne unterschätzt: dass dort eben nicht nur 16-jährige Jungs stehen. Oder 40-jährige Familienväter. Oder 60-jährige Frauen, die ihren Kerl begleiten. Oder nur Heterosexuelle oder nur Weiße oder nur nicht-behinderte Menschen. Die Gesellschaft steht in der Kurve, und jedes Plakat, das die Spieler hochhalten, jede Choreo und jede Gedenkminute vor den Spielen kann Signalwirkung haben, weil sie Menschen erreichen, die vielleicht sonst nur die Bildzeitung lesen oder mit Geschichte nichts am Hut haben.
Folkmann erwähnte auch, dass es nach der Rede von Uli Hoeneß bei der Abschiedsfeier für Franz Beckenbauer, bei der er die AfD deutlich verurteilt hatte, mehrere Vereinsaustritte gab. „Die bekommen von uns noch einen Brief, dass wir es gut finden, dass sie nicht mehr bei uns sind.“ Auch so kann man sich positionieren. Und man kann von Hoeneß halten, was man will, aber bei einer Gedenkfeier, die auch im Fernsehen übertragen wurde und damit nicht nur den Stadionbesuchern vorbehalten war, sich so deutlich auszudrücken, ist genau das richtige Zeichen.
Auf der Bühne war auch Alvaro von Lill-Rastern, Sportdirektor bei Maccabi München, der nach dem 7. Oktober ein so deutliches Zeichen vermisste. Dass sich direkt am 8. Oktober 500 Menschen am Odeonsplatz versammelt hatten, hätte gut getan, aber das waren eben nicht die Massen, die jetzt gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen. Was er natürlich sehr begrüßte. Lill-Rastern wurde gefragt, ob er noch mit seinem Maccabi-Schal unterwegs wäre, was er bejahte; er meinte aber auch, dass man früher nach Spielen oder dem Training, deutlich als Maccabi-Mitglied erkennbar, durch die Stadt gegangen wäre; das würden einige im Verein gerade nicht tun. Der Polizeischutz bei Spielen sei erhöht worden, denn, und das hatte ich zum Beispiel gar nicht auf dem Schirm, auch die Gegner würden gerade aufwendiger beschützt. Ein Irrsinn.
Lill-Rastern machte aber sehr deutlich, dass auch die Terroranschläge vom 7. Oktober nicht dazu führen sollten, neue Gräben aufzureißen. Muslimische Mitmenschen seien ebenfalls Anfeindungen ausgesetzt, genau wie Antisemitismus sei das falsch. Wir sollten uns hüten, alle und alles über einen Kamm zu scheren, nicht alle Muslime seien antisemitisch. Natürlich nicht. Aber gut, dass es nochmal erwähnt wurde.
Wie es überhaupt gut war, Dinge zu hören, die ich wusste. Aber ähnlich wie bei der großen Demo in München hat es sich gut angefühlt, nicht allein zu sein. Darauf wies auch Strnad noch einmal hin, als es um den Ausblick ging. Gedenken und Erinnern reiche nicht, wichtig sei das gemeinsame Zusammenleben. In was für einer Gesellschaft wollen wir leben und wie gestalten wir sie aktiv mit? Auch ihm habe das Demonstrieren wieder Mut gemacht und verdeutlicht, dass die AfD nicht unvermeidbar ist. Genauso mutlos habe ich mich in den letzten Monaten oft gefühlt und mich gefragt, wie man den Weg zu seiner friedvollen, gleichberechtigten, antirassistischen Gesellschaft gemeinsam hinbekommt. Ich nehme an, das Stichwort ist „gemeinsam“. Auch um mir das noch einmal zu vergegenwärtigen, hat sich der gestrige Vormittag gelohnt.