Singer in the dark
Lars von Trier sollte eigentlich 2006 Der Ring des Nibelungen in Bayreuth inszenieren. Letztes Jahr gab er den Regieauftrag überraschend zurück. Im Tagesspiegel erläutert er nun seine Gründe und beschreibt seine Regieidee, die nun leider nie verwirklicht werden wird: Das schwarze Theater.
Das Grundlegende der Illusion ist, dass sie nur im Bewusstsein der Zuschauer existiert. Wie aber können wir sie dort zum Leben erwecken? Indem wir andeuten. Indem wir Dinge zeigen, die die Zuschauer dazu bringen, die Illusion zu „sehen“, die eben nicht gezeigt wird. Wenn A über B zu C führt, dann zeigen wir A und C und überlassen B dem Zuschauer. Das Erfolgsrezept des Zauberkünstlers. Wir sehen die Grundlage und das Ergebnis, die Verwandlung aber sehen wir nie.
Alles, was am Ring wirklich interessant ist, kann also nicht gesehen werden! Die visuelle Mythologie ist ein klares „B“! Daraus folgerte ich, dass sich die ultimative Inszenierung in totaler Finsternis abspielen müsste! Indem man keine Personen, Bühnenbilder und Handlungen zeigt, wird das Publikum in die Lage versetzt, sich davon Bilder zu machen. Wobei die totale Finsternis für einen Regisseur zwar konsequent ist, aber auch leicht armselig und unbefriedigend.
Meine Konklusion: das „schwarze Theater“. Oder: Eine Inszenierung der „bereicherten Dunkelheit“. Die moderne Operninszenierung bedient sich stets des maximalen bildlichen Ausdrucks. Sie greift zu gewaltigen, teilweise abstrakten Bühnenbildern. Das Ergebnis ist, dass die Bühne innerhalb weniger Augenblicke dem Publikum vertraut und zu einem Ort wird, an dem sich alles abspielt. Das war nicht immer so. Zu Wagners Zeit wurde bei Gaslicht gespielt, er hat also für ein um einiges niedrigeres Lichtniveau geschrieben. Die Bedingungen für das Mystische waren dadurch viel besser. Erst nach Einführung des elektrischen Lichts konnte man wirklich die Gesichter der Sänger unterscheiden (und Wagner hätte erst recht Probleme mit dem Konkreten bekommen).
Ich hatte nun vor zurückzugehen. In die Dunkelheit zu gehen, die wir dank unserer modernen Techniken um einiges präziser einsetzen können. Dieses Konzept ist im Grunde filmisch. Vor allem im Thriller ist die Technik, etwas anzudeuten, ohne es zu zeigen, oft benutzt worden, weshalb sie auch mit großem Erfolg auf die Computerspiele übertragen werden konnte. Wir kennen aus beiden Medien das dunkle Haus, in dem der dünne Lichtstrahl einer Taschenlampe die einzige Lichtquelle darstellt. Und mehr noch gilt das für die Wirklichkeit: Nachts bevölkert sich die sichere Geborgenheit unserer vertrauten Umgebung mit Dämonen. Und wie wir alle wissen, ist das, was niemals ans Licht kommt, immer viel wirklicher und entsetzlicher.
Die Idee des „filmisch“ umgesetzten Rings ist nicht neu. Der im Tagesspiegel angesprochene Ring von 1976–1980 in der Inszenierung von Patrice Chéreau gilt als „Jahrhundert-Ring“, weil er eine neue Bildsprache in die Oper transportierte. Wenn ihr Glück habt, gibt’s die DVD-Box noch auf ebay. Schade, dass die Visionen von Lars von Trier nicht auch zu sehen sein werden. Klingt für mich spannend. Jedenfalls spannender als der Quatsch, der mich bei Schlingensiefs Parsifal erwartet. Wobei bei dem Stück, wie ich gerade festgestellt habe, Pierre Boulez dirigieren wird – der Dirigent des Chéreau-Rings. Na immerhin.
Wie schade, aber vielleicht kommt es ja noch irgendwann zu dieser Heimholung des Rings ins Dunkel. Der Schlingensief-Parsifal, liebe Frau Gröner, ist aber wirklich großartig – die Absurdittät der Bildsprache schadet weder ihrer Eindringlichkeit noch wirken die Bilder gesucht oder gar störend.
Modeste am 03. June 2005
Ich kann es zwar noch nicht ganz glauben, aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren.
Anke am 03. June 2005
Hat Lars von Trier nicht seine eigene Idee
auf die Spitze getrieben?
Eine Oper die nicht nur im Dunklen stattfindet,
sondern vielmehr eine Oper die garnicht
aufgeführt wird?
Name am 04. June 2005