Salon Summer School

Salon hat ein etwas seltsam anmutendes, neues Feature: die „Salon Summer School“. Jeden Montag liefern Salon-Autoren eine Buchbesprechung ab, aber nicht zu den gerade aktuellen Neuerscheinungen (das wäre ja nichts Besonderes), sondern über ein Buch, das der jeweilige Autor schon immer lesen wollte, in der Schule verpasst hat, sein Jahren auf seinem Nachttisch verstauben lässt oder ähnlich. Genaueres erfährt man hier. Die Serie erscheint jeden Montag bis in den August. Den Anfang macht Laura Miller mit einer Rezension von Krieg und Frieden von Tolstoi.

Ihre Besprechung liest sich gut, aber sie fühlt sich schon ein bisschen seltsam an. Es ist ungewohnt, ein Buch besprochen zu sehen, das schon ein Jahrhundert auf dem Buckel hat. Irgendwo habe ich mal zum Thema Filmkritiken gelesen: „Besprich einen Film sofort bei Filmstart oder lass es ganz.“ Denn sofort nach Veröffentlichung sind alle Eindrücke noch unverfälscht, noch nicht durch andere Kritiken oder Stimmen von Freunden gefiltert. Man erlebt einen Film anders, wenn man zu den ersten gehört, die ihn sehen. Und genauso ist es mit Büchern. Die Kritik zu Krieg und Frieden liest sich vielleicht auch deshalb so seltsam, weil man den Film dazu schon kennt. Oder weil man sich fragt – besser: weil ich mich frage, warum man noch eine Besprechung für ein Werk braucht, das schon dutzende von König’s Erläuterungen nach sich gezogen hat.

Mir ist schon klar, dass der Antrieb hinter der Summer School ein anderer ist als der hinter aktuellen Kritiken: Was sagen uns die Klassiker? Sollte man sie wirklich gelesen haben oder kann man auch beruhigt sterben, ohne jemals einen Blick in Der Zauberberg geworfen zu haben? Ohne groß darüber nachzudenken, würde ich sagen: Ja logisch. Ich werde wahrscheinlich in meinem Leben noch mehrere Versuche unternehmen, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit durchzulesen, werde aber garantiert wie immer bereits bei In Swanns Welt scheitern. Genau wie ich nie The Great Gatsby durchhalte oder Ulysses oder Dantes Inferno.

Aber immerhin kann ich die genannten Werke fast unbenutzt weitervererben.

9 Antworten:

  1. m.E. ist das Projekt überflüssig, die anvisierten Klassiker sind bekannt genug.

    Spannender fände ich – auf Deutschland übertragen – einen Rückblick auf die (Spiegel-, SZ-) Bestenliste von vor 20, 30 Jahren, um zu sehen, welche Titel ein kleines bißchen Unsterblichkeit erlangt haben. Eine Art literarisches “Damals …” sozusagen (so hieß doch eine Sendung, in der Ende der 70er Jahre die Ereignisse vor genau 40 Jahren, aka WW2, anhand von zeitgenössischen Filmauschnitten abgehandelt wurde).

    Wenn denn etwas mehr Patina gewünscht ist, rate ich zur Schatzsuche in den Bücher von Rolf
    Vollmann.

  2. Das mit den Bestenlisten wäre bestimmt interessant. Genau wie sich alte Filmkritiken zu heutigen Klassikern durchzulesen und zu sehen, ob sie damals (ohne den Ruf als Klassiker) auch schon als gut empfunden wurden oder als totaler Müll. Oder umgekehrt: die Jubelhymnen auf beim Start erfolgreiche Filme durchlesen und sie heute nochmal kritisch Revue passieren lassen.

  3. … Beim Gatsby würde sich die Mühe auch nicht lohnen – finde ich. Vermutlich hab ich nicht alles Wichtige mitbekommen, denn das Lesen ist richtig in Arbeit ausgeartet.

  4. Vom Gatsby erinnere ich nichts, nada – abgesehen von meiner Verzweifelung angesichts unendlicher Langeweile und einem Zitat: “She was the kind of woman who was meant to be kissed upon the eyes.” Und das ist auch nur erfunden, aber immerhin von der wundervollen Anna
    Madrigal.

  5. Alte Filmkritiken: Vanity Fair gibt (gab?) einen jährlich aktualisierten Movie Guide heraus, der neben den wichtigsten Daten zu allen Filmen jemals auch die eigenen Erstrezensionen aufführt. Seeeehr lustig.

  6. Naja, 1.000 Seiten Zauberberg, 1.100 Seiten Ulysses, 4.200 Seiten Auf der Suche — da ist der Gatsby mit 190 Seiten in Kürze zu bewältigen. Ich mag Buch und Penguin-Audiobuch des Gatsby sehr gern und fand den Coppola-Redford-Film grausam langweilig; kann es sein, dass die schulische Zwangslektüre manchem das Buch verleidet hat?

  7. Ich will meine Bücher nicht vererben, ich will mal mit ihnen verbrannt werden.

    (Ich find die Aktion gut, die mit den Rezensionen mein ich jetzt)

  8. Die schulische Zwangslektüre hat mir Gatsby erst verleidet, bevor die universitäre nicht-ganz-Zwangslektüre dafür gesorgt hat, daß ich inzwischen gar nicht genug positive Adjektive für eine adäquate Bewertung finden kann. Das Buch ist halt nicht dafür geeignet, mal eben am Strand gelesen zu werden, sondern man muß sich wohl eingehender mit dem strukturellen Aufbau der Erzählung und teilweise auch mit Fitzgeralds Biographie (da gab’s gerade erst einen schönen Artikel im Kulturteil der WamS), seinen Briefwechseln mit dem Redakteur seines Verlegers und mit zeitgenössischen Rezensionen beschäftigen, um die Größe des Werkes und den in ihn gesteckten Arbeitsaufwand ermessen und würdigen zu können. Wenn man sich die Zeit nimmt und sich einigermaßen für sowas begeistern kann, ist das aber äußerst lohnenswert.
    Die Redford-Verfilmung kann man aber trotz der durch die Bank idealen Besetzung zweifellos nur dann ertragen, wenn man die Geschichte kennt und mag.

  9. Hab ich da oben Vanity Fair geschrieben? Verzeihung, das ist falsch, es war Variety, der Variety Movie Guide. Anscheinend auch online, aber für Geld.