Slowing down

Probehalber dann doch mal das verteufelte RSS-Dingensda ausprobieren. Nach drei Wochen wieder die Finger davon lassen. Lieber die eigenen Bookmarks absurfen oder sich durch fremde Blogrolls hangeln als alle 20 Minuten nachgucken, ob irgendwo was Neues ist. Eigene Geschwindigkeit des Lesens. Selber Dinge finden anstatt sie finden zu lassen.

Die Liebe zu Papier wiederentdecken. Der Spiegel ist sowieso immer im Rucksack. Neuerdings gesellt sich die FAZ dazu und die FAS. Sich seltsam sentimental zuhause fühlen in der alten Rechtschreibung. Wie alte Fotos angucken oder Weihnachslieder singen. SpOn seltener anklicken. Salon wird weiter gerne und abgöttisch verehrt und verschlungen. Aber nicht gleich morgens, sobald der Rechner an ist. Erst nach der Zeitungslektüre.

Ausgiebig kochen. Auch wenn der Tag lang war, nach dem Tag noch frisch einkaufen und frisch zubereiten. Geschmack wiederfinden, der schon längst von Fertiggerichten überdeckt worden schien. Kräuter auf der Fensterbank züchten, die man nur aus Streudosen kannte. Dauert länger. Schmeckt aber auch länger.

Spazierengehen. Immer noch gerne mit dem Auto durch die Gegend fahren und den Fluss der Bewegung genießen. Inzwischen aber auch die Wege durch Hamburg zu Fuß erkunden. Merken, dass Brennnesseln nach dem Regen wie Waldmeister duften. Das frische Holz an Baustellenabsperrungen überdeckt den Asphaltgeruch. Auf der Lieblingsstrecke die Grünphasen der Fußgängerampeln besser kennen als die der Autoampeln. Einen Laden für Bonsais entdecken, einen anderen, der Lampen und Diaprojektoren aus den 70er Jahren verkauft. Ein kleines Büro im Souterrain wird auch am Wochenende von eifrigen Designern an leuchtenden Computern bevölkert. Der Dönerladen daneben hat anscheinend immer geöffnet.

Pseudoshoppen. Durch Hamburgs Passagen gehen und in Imbisse reinschnuppern, in Bagelläden und Chinamänner. Im Kopf die ganze Speisekarte genießen und weitergehen. An Klamotten entlangstreicheln, ohne sie anzuprobieren, dutzende von Duftstreifen proberiechen, ohne sich für ein Parfum zu entscheiden, in CDs reinhören, ohne sie mitzunehmen.

Die Welt vor der Tür lassen. Den Bücherstapel auf Nacht- und Schreibtisch niedriger lesen. Überhaupt: mehr lesen, weniger Kino. Mehr Bücher, weniger DVDs. Aber auch: weniger Weblogs, weniger iPod, weniger Summen im Hintergrund, weniger Geflacker. Leiser tippen.

13 Antworten:

  1. Beim Einkaufen zum Kochen plötzlich Zutaten erkennen (ach das ist Oregano), wissen, daß es auch Zitronenbasilikum gibt, Rezepte von Jamie Oliver mögen und sich plötzlich auch an Lamm und ein ganzes Huhn herantrauen. Mit der Süßen abends auf dem Balkon bei Kerzenlicht sitzen anstatt vorm Rechner oder aufm Sofa fernsehend!

  2. Es gab eine Zeit in meinem Leben, da war der PC mein Fenster zur Welt. Heute ist er ein Fenster in die Welt.
    Dinge ändern sich.
    Menschen ändern sich.
    Ist aber gut.
    Für mich wars gut.
    Bei mir begann der Prozess, als ich nicht mehr allein durchs Leben ging.
    Zu den Bücherstapeln, die kleiner werden (ich warte jetzt seit Tagen auf das passende Stichwort):
    wie fandest denn jetzt den Harry Potter?

  3. Ochjo. Auf jeden Fall besser als der überdimensionierte fünfte Teil, aber nicht so gut der vierte, den ich bis jetzt am besten fand.

    Ich hab den sechsten Teil wie einen einzigen Anlauf aufs Finale empfunden. Ich meine, man wusste ja schon beim ersten Band, wie ungefähr der siebte aussehen muss (Stichwort Showdown), aber trotzdem hat jeder Band eine eigene Geschichte zu erzählen gehabt. Hier hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, eine verdammt lange Exposition zu lesen.

  4. “Die Welt vor der Tür lassen.”
    Ein guter Anfang. Selbst wenn Sie dies wahrmachen werden – und mir somit tägliche Momente der Teilnahme und Freude vorenthalten – ich werde Sie auch schweigend vernehmen können.
    … Singen – Lesen –
    Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Lied
    Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
    die uns die Einsamkeit beschert …

  5. entschleunigung? mein vorschlag: job kündigen!
    das zynische werbedings macht auf dauer das hirn weich. stattdessen vielleicht freiberuflich filmreviews schreiben.
    die sind nämlich klasse!

  6. Right on, Anke, but don’t let anyone think you can’t make a tyranny out of any good idea. En otras palabras: take it easy, but as you do, let others go their own way. Erzieherisch soll es nicht werden, Leute…

  7. Zum Potter:
    Ja, der Vierte ist auch mein Favorit.
    Okay die vielen Rückblicke jetzt und die Erklärungen – okay. Vermutlich sind die nötig gewesen fürs Finale. Aber es schien mir auch wie das tiefe Luftholen, bevor man den Luftballon endlich zum Platzen bringt.

  8. War da jemand in der Gärtnerstraße unterwegs?

    Kräuter auf der Fensterbank sind übrigens wirklich eine hübsche Sache. Aber richtig Rock’n’Roll sind Kräuter erst auf dem Balkon. Flasche Rotwein dazu und schon ist man in der Toskana (oder in der Provence oder in Omas Kräutergarten – je nach Kräutervorliebe, versteht sich).

  9. Und die ganze Stadt is’n Flugzeugträger

    Ich geh’ durch die Straßen und friere dermaßen
    doch der Sandmann verkauft nur noch Seifenblasen
    und ich fühl’ mich so – überall.
    Alles ist nur noch tödlich hektisch
    und die meisten Stühle sind elektrisch
    und ich fühl’ mich so – ü…

  10. Beim Bonsai-Laden kann man übrigens seinen Bonsai auch in Pflege geben, wenn man in den Urlaub fährt, das nenne ich mal Service! :-)

  11. “pseudoshoppen”. heisst das so? schade. aber das “weniger” ist ueberall jetzt spuerbar. vielleicht gut so.

  12. Ich glaube nicht, dass „pseudoshoppen“ ein offizieller Begriff ist. Ich hab’s für mich so genannt. Wie nennst du es?

  13. Bummeln?