The first rule of Food Club is:
You do not talk about Food Club.
Isa schreibt gerade eine schöne Serie über das bessere Leben. Also das bewusstere, vielleicht auch gesündere, aber das ist egal, erstmal geht’s um Bewusstmachen von Dingen, die wir gerne ausblenden. Fleischkonsum und was alles an Ekligem dahintersteckt, zum Beispiel.
Jenny schrieb am Dienstag einen Gastbeitrag, in dem sie über ein Experiment berichtet, das ihr Mann und sie gerade durchführen: einen Monat lang vegan zu leben. Bei der Lektüre fiel mir wieder einmal auf, wie ungern ich solche Texte lese, selbst wenn ich ihre Intention schätze und sie gut geschrieben sind. Aber bei Sätzen wie „da kommen harte Zeiten auf mich zu“ oder „Heute ist das Schlumpf-Lakritz-Keksregal tabu“ zieht sich bei mir innerlich alles zusammen.
Ich kommentierte schon drüben und ich sage das noch mal: Ich weiß, dass Jennys Artikel kein Diätartikel ist und sie schreibt auch sehr deutlich, dass ihr jede Hinwendung in diese Richtung, zum Beispiel bei einem veganen Kochbuch, richtig auf den Zeiger geht. Trotzdem macht sie mit ihrer Nahrungsumstellung natürlich nichts anderes: Sie verkneift sich bestimmte Lebensmittel, obwohl sie Lust darauf hätte. Aus welchem Grund sie das tut, ist für mich als Leserin erstmal egal, bei mir kommt nur an: Ich verzichte gerade auf was.
Seit meinem Foodcoaching und dem Gutfinden meines eigenen Körpers, das einfach so lustig passiert ist, ohne dass ich damit gerechnet hätte, habe ich nie wieder auf irgendetwas verzichtet. Anfangs ploppte immer noch das Diätteufelchen auf, das ich psychotisch jahrzehntelang als Diätengelchen bezeichnete, und flüsterte bei jeder Avocado was von Fettgehalt oder bei Pizza was von Kalorien oder bei Schokolade was von OMGwirwerdenallesterben. Ich hörte dem Teufelchen natürlich zu, denn ich habe ihm schließlich sehr lange brav zugehört, aber dann nahm ich allen Mut zusammen und sagte: „Mir ist es 25 Jahre lang schlecht gegangen, weil ich auf dich und deine beknackten Phobien gehört habe. Jetzt geht’s mir so gut wie nie zuvor, also halt’ die Fresse und hunger’ wen anders aus.“ Und dann aß ich Avocados und Pizza und Schokolade und nahm dabei sogar ab, aber das war sehr egal, denn ich war glücklich damit beschäftigt, alles, was mit Essen zu tun hat, toll zu finden anstatt fürchterlich.
Dabei ist es geblieben. Allerdings gab es auch hier Entwicklungen. Direkt nach der Foer-Lektüre fuhr ich meinen Fleischkonsum extrem runter bzw. lebte eine Zeitlang wirklich vegetarisch. Zumindest in den eigenen vier Wänden. Wenn ich abends essen ging, orderte ich durchaus schon mal ein Steak. Vegan habe ich nie gelebt, dazu esse ich zu gerne Käse und kippe zu viel Milch in den Kaffee. Gemüse wurde brav beim Bioladen oder auf dem Markt gekauft, bis die eigene Bequemlichkeit zuschlug und doch wieder die Gewächshauspaprika im Körbchen landete. Was mir allerdings auffiel: Die schmeckte genauso gut wie die aus dem Biosupermarkt – manchmal sogar besser. Und das ist schließlich irgendwann mein Kompass geworden: Was schmeckt mir?
Nachdem ich jahrzehntelang Diätscheiß in mich reingeworfen habe, der genauso schmeckt wie er heißt, genoss ich mit seligem Lächeln 3,5-prozentige Milch und 42-prozentigen Käse statt der 0,3-Plörre und den Chemobröseln, die sich „fettreduziert“ nennen. Jetzt wo ich weiß, wie toll Gemüse schmeckt, indem man es in Olivenöl anbrät anstatt in fettfreiem Pfannenspray, genieße ich auch hier in vollen Zügen. Und wenn die Milch und das Gemüse nicht bio sind, ist mir das, Vorsicht, böses Wort: egal. Eigentlich kaufe ich wirklich nur Kartoffeln bewusst in Bio-Qualität, weil ich weiß, dass sie besser schmecken, und Eier, weil das kein Aufwand ist; die liegen ja direkt neben den schlimmen Eiern. Bei allem anderen achte ich zuerst auf den Geschmack und dann auf die Herkunft. Und so leid mir das für viele Biobauern und -bäuerinnen tut: Mir schmeckt manches unbiologische Lebensmittel besser als ihre Produkte.
Auch Gemüsekisten, ob nun bio oder nicht, haben bei mir keine Chance. Hier spielt ebenfalls meine Diäterfahrung eine Rolle. Ich habe mich recht lange an Ernährungspläne gehalten, habe Tagebuch darüber geführt, was ich esse, habe wochenweise eingekauft, um bloß nicht in Versuchung zu geraten, in den Supermarkt zu müssen, wo die böse Schokolade auf mich lauert. Generell finde ich die Idee von Gemüsekisten genial und sie käme auch meiner Faulheit entgegen, was schwere Tüten in den zweiten Stock zu schleppen, betrifft, aber: Ich habe dann eben Zeug für eine Woche im Haus und muss das irgendwie wegbekommen. Das fühlt sich für mich genauso an wie eine Woche nach Plan zu leben, und genau das will ich nicht mehr. Ich genieße die Freiheit sehr, mehrmals in der Woche in den Supermarkt gehen zu können und spontan zu entscheiden, was ich abends kochen werde. Wenn ich in der Agentur sitze, bekomme ich meist gegen 17 Uhr Hunger und überlege dann, worauf ich jetzt gerade, in diesem Moment, Lust habe. Und genau das wird dann gekauft. Meist bleiben Reste für den nächsten Tag, oder ich kaufe Kram, den man für zwei Rezepte verwenden kann; auch gut. Aber ich plane nie mehr als einen Tag im Voraus. Und ich genieße das mehr, als ihr euch wahrscheinlich vorstellen könnt.
Ich habe so lange verzichtet bzw. vollkommen bescheuerte Essensregeln eingehalten, dass ich darauf schlicht keine Lust mehr habe. Ich will mir nichts mehr verkneifen, sondern ganz im Gegenteil alles mitnehmen, was geht. Dass das manchmal (oder, wenn ich ehrlich bin, meistens) auf Kosten von Biolebensmitteln geht, ist mir klar. Die einzige Einschränkung, die ich hinnehme, ist Fleisch, das ich selbst zubereite. Da wird fast ausnahmslos Bioware gekauft – aber auch hier gilt: „fast“. Letzte Woche hatte ich fürchterlichen Schmacht auf eine Cabanossi, und die habe ich nicht gefragt, ob sie von einem glücklichen Tier kommt oder nicht. Und wenn ich essen gehe, frage ich das mein Schnitzel auch recht selten.
Das klingt jetzt wahrscheinlich etwas überraschend für einige von euch, denn in meinem Buch schreibe ich ja schön was von Bio und Märkten. Ich schreibe aber auch den Satz, der bei mir alles in Bewegung gesetzt hat und den ich für den wichtigsten im ganzen Buch halte – das sich, ich sollte das vielleicht noch mal sagen, an dicke Menschen richtet, die den ganzen Tag damit beschäftigt sind, sich mies zu fühlen, und nicht an Menschen, die aus anderen Gründen über ihr Essen nachdenken. Der Satz lautet: „Du darfst alles essen, was du willst.“ Ohne schlechtes Gewissen, ohne mich selbst dafür runterzumachen, ohne mir etwas vorzuwerfen. Deswegen stellen sich bei Artikeln wie den oben beschriebenen immer sofort meine Nackenhaare hoch, weil sie von Verzicht reden. Ich bin mir sicher, dass die meisten Menschen, die bewusst vegetarisch oder vegan leben, das nicht tun, um sich in Selbstvorwürfen zu winden, wenn doch mal Fleisch oder Milchprodukte auf dem Teller landen, weil es jetzt in diesem Moment nicht anders geht, aus welchen Gründen auch immer. Deswegen ist das natürlich eine andere Rangehensweise an Essen als die, die ich jahrelang gepflegt habe. Aber noch einmal: Der Grundtenor ist der gleiche – ich verzichte auf etwas, ich versage mir etwas. Ich glaube, dass Verzicht leichter ist, wenn er aus moralischen Gründen geschieht, aber er bleibt ein Verzicht.
Der einzige Verzicht, den ich leiste, ist der, mir mieses Essen zu verkneifen. Ich bestelle nur, was mir schmeckt, genau wie ich nur mit Zutaten koche, die mir schmecken. Klingt nach einem selbstverständlichen Satz, aber jeder, der mal versucht hat, im Rahmen eines Diätplans lauter Leckerzeug mit lauter Null-Kalorienzeug zu ersetzen, weiß, was ich meine. Dann bereitet man aus Eiweiß statt ganzem Ei, Süßstoff und fettreduzierter Milch einen Pfannkuchen zu und brät ihn ohne Fett an, und der schmeckt dann natürlich genau so wie ihr euch das gerade vorstellt. Das tut man, weil es von den Kalorien in den Plan passt, und den Plan interessiert es nicht, ob es mir schmeckt. Arschlochplan.
Ich knobele seit drei Tagen an diesem Blogeintrag rum, ohne genau zu wissen, was eigentlich mein Punkt ist. (Wolf Schneider würde mich erschießen.) Ich glaube, mein Punkt ist: Ich freue mich, dass andere sich den Luxus erlauben, sich beim Essen Dinge zu verkneifen. Das ist ein Luxus, denn wir leben in einer Überflussgesellschaft. Niemand muss sich etwas verkneifen; wenn wir das tun, hat das Gründe, wovon Diät der beknackteste ist und Moral ein ziemlich guter. Ich würde gerne einer dieser moralischen Menschen sein, aber ich muss mir nach fast vier Jahren „Normal“essens eingestehen, dass ich es nicht bin. Mir persönlich ist es wichtiger, nach Jahren der idiotischen Futterpläne genussvoll zu essen. Das kann ich vor mir damit rechtfertigen, dass es mir seit dem Foodcoaching endlich gut geht mit mir und meinem Körper und meiner Nahrung. Das kann ich allerdings nicht vor den Masttieren rechtfertigen, der miesen Umweltbilanz meines Tropenobstes oder den Milchkühen. Damit muss ich leben.