Tagebuch, Freitag, 1. April 2016 – Die Böhmermann-Edition
Ich habe gestern sehr lange über Böhmermanns Be Deutsch nachgedacht.
Der Clip landete vorgestern in meiner Twitter-Timeline, ich fand ihn spontan gut und verlinkte ihn. Im Laufe des Tages hatte ich ihn noch dutzende Male in meiner Timeline, aber auch die ersten kritischen Stimmen (beides Twitter*innen, auf die ich sehr gerne höre, weil sie noch Metaebenen aufbohren, wenn ich es mir schon längst auf der obersten Ebene bequem gemacht habe). Gestern las ich dann, was zum Beispiel die Vice (ja, schon gut) oder Sascha Lobo zu sagen hatten. Ich versuche mal zusammenzufassen:
– Das Video ist scheiße, weil es den Nazi-Nationalstolz durch einen „Wir sind jetzt nicht mehr stolz und darauf stolz“-Nationalstolz ersetzt.
– Das Video ist scheiße, weil es den Holocaust als Sprungbrett für den guten Deutschen (TM) nutzt à la „Wir haben gelernt“ – und damit nicht genug: Weil wir gelernt haben, können wir dem Rest der Welt jetzt helfen, genauso zu lernen bzw. die Fehler der Deutschen gar nicht erst zu machen.
– Das Video ist scheiße, weil es gar keine Satire ist, sondern Böhmermann das ernst meint mit dem „Wir sind jetzt gute Deutsche, habt uns lieb“.
– Das Video ist scheiße, weil wir Deutschen nach Auschwitz überhaupt kein Recht mehr haben, in irgendeiner Weise auf dieses Land stolz zu sein.
Was das Video bei mir ausgelöst hat, war zunächst Belustigung, weil ich beim ersten Sehen hauptsächlich auf die ganzen Witze geachtet habe: dass wir komische Hütchen oder Fahrradhelme tragen und die Liegestühle mit Handtüchern sichern, dass wir Jack Wolfskin, Birkenstocks, Fanta und Scooter mögen und selbst als Veganer*in noch Wurst essen. Alles verpackt in den Sound der deutschesten aller Bands, Rammstein. Das Englisch fand ich albern, tat mir aber nicht weh. Was mir weh tat, war der blöde Kant/Cunt-Witz, den ich nicht witzig fand, weil ich cunt als Schimpfwort scheiße finde. Meine cunt ist großartig, sie ist alles andere als eine Beleidigung. (TMI.)
Beim zweiten Sehen fand ich es immer noch unterhaltsam, aber es mischte sich ein leichtes Unbehagen in den Sehgenuss, weil die erste Metaebene – wir sind jetzt darauf stolz, auf nichts mehr stolz zu sein – zwar klar intendiert war, aber nicht so recht funktionierte. Alleine die Nennung „Weltmeister“ ließ mich an die schwarzrotgoldene Fanmeile am Brandenburger Tor denken, wo der ach so lustige „So geh’n die Gauchos“-Song vor zwei Jahren ein Aufreger war. Gerade beim Fußball, bei Olympischen Spielen oder anderen Wettbewerben, bei denen eine Gruppe als Vertreterin ihrer Nation auftritt, kippt der launige Party-Patriotismus (was auch immer das sein mag) in echten Patriotismus um. Dann ist Twitter wieder voll von Klischeeschimpfwörtern über andere Nationen, wenn Italien, Spanien oder die Niederlande es wagen, der Mannschaft ein Tor einzuschenken oder gar zu gewinnen.
Beim weiteren Sehen kam noch ein anderes unbehagliches Gefühl dazu: das Gefühl, dem Video gnadenlos auf den Leim gegangen zu sein. Be Deutsch bejubelt die guten Deutschen (TM), die verständnisvoll, tolerant und aufgeschlossen sind und sich dem blöden Faschomob entgegenstellen. Das fühlt sich natürlich toll an, wenn man sich selbst als gute Deutsche sieht und jetzt mal auf die Schulter geklopft bekommt. Ich musste mir eingestehen, dass das genau meine Sichtweise auf mich und auch auf große Teile unseres Landes ist: Wir haben gelernt, wir sind jetzt okay, wir machen sogar Witze über uns. Und ich frage mich, ob das nicht eine genauso gefährliche Ecke ist wie die derjenigen, die sagen, wir sind auf Deutschland stolz, weil wir alles Nicht-Deutsche draußen halten wollen (auch hier: was auch immer das ist).
Im Video wird textlich der 9. November erwähnt, unter anderem der Tag des Hitlerputsches 1923 und der Reichspogromnacht 1938 (deren Datum bewusst gewählt wurde). Es ist aber auch der Tag des Mauerfalls 1989, und wenn man fies ist, kann man Böhmermann vorwerfen, nicht ganz eindeutig zu argumentieren. „Broken glass, fire, and plot“ sowie „our own treason“ weisen intuitiv auf die Pogrome hin, könnten aber auch auf 1989 bezogen werden; auch dort gingen Scheiben zu Bruch, und die ostdeutsche Bevölkerung beging durch ihren Aufstand im großen Stil Landesverrat. Das mag spitzfindig sein, aber wenn man sich den restlichen Kontext des Videos anschaut, der auf Clausnitz und die AfD-Wahlergebnisse in Ostdeutschland anspielt, könnte man Böhmermann unterstellen, dass er genau diesen Bevölkerungsteilen sagen möchte: Wir haben nicht vergessen, warum ihr zum jetzigen bundesdeutschen Gebiet gehört („Remember, remember“), reißt euch mal zusammen, um auch so gute Deutsche (TM) wie wir zu werden. Was sehr ironisch ist, denn die Bundesrepublik hat sich in ihrer Gründungszeit durch eine sehr lässige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hervorgetan, während in der DDR weitaus radikaler entnazifiziert wurde. Ich zitiere als Beispiel die FAZ vom November 2015:
„Nach den Untersuchungen des Instituts für Zeitgeschichte […] waren 54 Prozent aller Mitarbeiter ab Referatsleiterebene [im bundesdeutschen Innenministerium] zwischen 1949 und 1970 früher Mitglieder der NSDAP gewesen; im Juli 1961 waren es sogar 66 Prozent. Im Innenministerium der DDR waren es 14 Prozent, ein vergleichsweise geringer Wert, der aber höher als bislang vermutet ist.“
In diesem Zusammenhang finde ich es sehr gewagt, ausgerechnet „Wake up, Deutschland“ – also „Deutschland, erwache“ – als Textzeile zu nutzen und davon zu sprechen, aus Pflichtgefühl wiederzukommen; im Bild erheben sich dazu Menschen aus der Erde. Nazi-Zombies, diesmal in Gut? Auch weitere Textstücke wie „maniacs with wicked hair“ oder „assholery“, die beide auf Hitler anspielen, werden mir zu lässig genutzt. Hitler als ein Arschloch mit komischer Frisur zu beschreiben und ihn bildlich fragmentiert und mit Neonblitzern versetzt zu zeigen, verharmlost ihn zu sehr.
Außer dem aufblitzenden Hitler sehen wir kein einziges Bild, das genau sagt, dass Böhmermann sich hier auf die NS-Zeit bezieht. Und das ist meiner Meinung nach (die volle zwei Tage für ihre Bildung gebraucht hat) das größte Versäumnis des Videos, aber auch der einzige Grund, warum es funktioniert und ich es beim ersten Ansehen als lustig empfunden habe. Jede Erinnerung an die NS-Verbrechen wie den Holocaust hätten das Video zu sehr geerdet und seine bräsige Geschmacklosigkeit sehr deutlich werden lassen. Das Bild Hitlers haben wir zu oft parodiert, als dass man es alleinstehend noch als bedrohlich oder als Mahnung wahrnehmen kann. Trotzdem ist es interessant, dass die Macher*innen Hitler nicht einfach so zeigen, sondern verfremden und zerschnipseln, so als ob sie wüssten, dass es eben dem ganzen lustigen Treiben einen argen Dämpfer verpassen würde, wenn man ihn, wenn auch nur für wenige Sekunden, ohne bildliche Verfremdung sehen könnte.
Stellt man sich nun vor, im Video wären Bilder von zum Beispiel Anne Frank oder dem Jungen aus dem Warschauer Ghetto mit den erhobenen Händen zu sehen gewesen, wäre genau das passiert, was ich eben andeutete: Die ganzen Witze mit Scooter und den Fahrradhelmen ziehen nicht mehr. Kein Bild dieser Welt kann die erstgenannten weniger schmerzhaft machen. Und kein gutes Deutschsein (TM) kann dieses Land von seiner Vergangenheit befreien oder sie gar entschuldigen.
Im Prinzip macht Böhmermann mit diesem Video genau das, was auch die AfD mit ihrem Parteiprogramm will: Wir sollten aufhören, die deutsche Geschichte auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 zu beschränken und auch mal wieder das Gute sehen, was wir so geschafft haben. Die AfD meint damit die sprichwörtlichen Dichter und Denker, die sie gerne wieder mehr auf deutschen Bühnen sehen möchte; Böhmermann meint damit uns (ja, mich) aufgeklärte Deutsche, die aus der Geschichte gelernt haben und nun wieder selbstbewusst (aber bloß nicht stolz) deutsch sein können.
Ich muss gestehen, dass ich immer noch nicht weiß, was genau Böhmermann mit dem Video wollte – für wen soll es sein und was will es mir sagen? Vielleicht wollte es nur genau diese Unbehaglichkeit rauskitzeln, die ich eben lange beschrieb; dann hätte es wunderbar funktioniert und mir als nach Selbsteinschätzung guter Staatsbürgerin und Verfassungspatriotin einen schönen Spiegel vorgehalten.
Blöderweise glaube ich nicht, dass das die Intention war. Durch den englischen Text und dem Rumreiten auf typisch teutonischen Klischees ist dieses Video auch außerhalb des deutschen Sprachraums verständlich, und deshalb kommt es mir inzwischen wie eine Werbung fürs gute Deutschland (TM) vor und keine ironische Brechnung eben dessen. Und dann frage ich mich wieder: Warum das ganze? Für wen? Vielleicht doch genau für die Menschen, die AfD gewählt haben, um ihnen zu sagen, hey, du kannst ruhig auf Deutschland stolz sein, aber dann doch bitte auf andere Dinge. Dann kannst du dich entspannt als gute*n Deutsche*n (TM) sehen und wir müssen keine Videos mehr machen.