2008 in Büchern (April bis Juni)
Martin Gregor-Dellin – Richard Wagner: Sein Leben, sein Werk, sein Jahrhundert
Soweit ich weiß, immer noch die Biografie über Wagner (1980 erschienen). Ich hatte sie vor gefühlten 20 Jahren schon mal durchgelesen, aber ne Menge wieder vergessen bzw. konnte es noch nicht richtig würdigen, weil ich damals noch nicht alles von Wagner gesehen hatte. Hab ich inzwischen – außer Rienzi, aber was nicht in Bayreuth läuft, ist mir egal. Dellin schreibt manchmal wahnwitzig ausführlich; jede Begegnung mit wemauchimmer und jede Wanderung wohinauchimmer ist aufgeführt, was das Buch teilweise etwas langatmig werden lässt, gleichzeitig aber ein sehr dichtes Bild von Wagner und seinen Lebensumständen zeichnet. Die deutsche Geschichte bekommt einen ihr angemessenen Teil zugewiesen, genau wie Wagners Schriften neben seinen Opern. Auf das Kapitel mit seinen gesammelten Träumen, die Cosimaus brav aufgeschrieben hat, konnte ich allerdings querlesend verzichten. Trotzdem Empfehlung. Logisch.
Jutta Ditfurth – Ulrike Meinhof. Die Biografie
Man merkt Frau Ditfurth manchmal sehr die Liebe zu ihrer Titelheldin und deren politischen Auffassungen an, aber trotzdem ist das Buch ziemlich ausgewogen, soweit ich das beurteilen kann. Auf jeden Fall ist es sehr spannend und vor allem nachvollziehbar geschrieben. Denn ich muss zugeben, dass ich nie so recht verstehen konnte, wie eine Gruppe gutbürgerlicher Studenten plötzlich Lust hat, als Stadtguerilla durch die Bundesrepublik zu ziehen. Ditfurth beschreibt sehr ausführlich die politische Stimmung im Nachkriegsdeutschland und die selten bis nie stattgefundene Auseinandersetzung mit den Menschen, die eben noch ihr NSDAP-Parteiabzeichen trugen und nun feist und bequem für etablierte Parteien in der Regierung sitzen. Die subjektiv empfundene Ohnmacht von politischen Menschen wie Meinhof wird sehr deutlich spürbar, ganz besonders in den Kapiteln über die Studentenunruhen und die Tage der APO. Ich hab die knap 500 Seiten in zwei Tagen verschlungen – und ringe gerade mit mir, ob ich den Baader-Meinhof-Komplex nochmal anfassen sollte. Scheint ja das Jahr des Mehrfachlesens zu sein.
Hape Kerkeling – Ich bin dann mal weg
Ich hab mich ewig um das Buch rumgedrückt, aber in meinem derzeitigen Biografien- und Lebensgeschichtenrausch hab ich es dann doch irgendwann in der Hand gehabt, kurz reingelesen, es gekauft – und es nicht bereut. Stilistisch ist es kein Riesenwurf, mir waren ungefähr 800 Ausrufezeichen zu viel im Buch, aber komischerweise war mir das nach 20 Seiten ziemlich egal, denn die Geschichte, die Kerkeling erzählt, ist viel zu schön, um sie sich durch ortografisches Genöle kaputtzukopfen. Denn das ist auch eine der vielen Erkenntnisse, die er auf dem 600 Kilometer langen Jakobswegs gefunden hat: Drop the thought. Weg mit dem Gedanken, der dich nervt, denn dann nervt er nicht mehr. So einfach kann das sein. Ich bin dann mal weg ist eine sehr persönliche Aufzeichnung, die ständig schwankt zwischen tiefen Einsichten in das individuelle Gotterleben und banalen Erkenntnissen über schmerzende Füße. Und genau das macht es sehr, sehr lesenswert. (Und wer beim Nachwort keine Träne verdrückt, hat kein Herz.)
Wally Lamb – She’s Come Undone
Dolores lebt in den 60er Jahren in Rhode Island, teilt sich mit ihrer geschiedenen Mutter und verwitweten Großmutter ein altes Haus und wird mit 13 vergewaltigt. Daraufhin futtert sie sich einen Schutzpanzer von 120 Kilo an und muss nun damit irgendwie im Leben klarkommen. Das Buch zerfällt gefühlt in mehrere Teile, was es für mich schwierig gemacht hat, es in seiner Gänze zu mögen. Zunächst war ich ziemlich angetan vom sehr gradlinigen, beschreibenden Stil, der mich als Leser einfach mit den Figuren alleine gelassen und mir damit Gelegenheit gegeben hat, mir selbst Gedanken zur Story zu machen. Der Bruch kommt, als Dolores in Therapie geht, denn leider hat She’s Come Undone nun nichts Besseres zu tun, als mich seitenlang an den Therapiegesprächen teihaben zu lassen, die mir nochmal die vergangenen 100 Seiten erklären. Erst als Dolores ihr Leben halbwegs im Griff hat, kehrt das Buch wieder zur alten Stärke zurück. Trotzdem bleibt der erste Teil der beste am Buch; danach wollte ich zwar noch wissen, wie es endet, aber ich habe etwas teilnahmsloser mitgelesen und -gelitten. Und die dick (haha) aufgetragenen Metaphern (z.B. strandende Wale – geht’s noch?) sind mir die ganze Zeit auf die Nerven gegangen.
Baru – Lauf, Kumpel!
Baru – Der Champion
Beim Zappen bei arte hängengeblieben, einen Beitrag über den französischen Comiczeichner Baru aufgeschnappt, comicsammelnden Kerl gefragt, ob er den kennt – woraufhin le Kerl fünf Bände Baru aus dem Regal zog. Drei davon auf französisch (ich hab’s versucht, bin aber gescheitert) und die zwei obengenannten auf deutsch. Ich fand sie sehr gut, kann sie aber nicht einordnen, da ich überhaupt keine Ahnung von Comics habe. Aber mir hat das Cineastische an ihnen gefallen, die große Geschichte und die sehr filmischen Panels. (Ich merke gerade, dass ich nicht über Comics schreiben kann.)
Marcel Proust – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 1: In Swanns Welt
Laut meiner eigenen Eintragung auf der ersten Innenseite habe ich dieses Suhrkamp-Taschenbuch bereits 1992 gekauft – und seitdem ungefähr fünfmal angefangen, ohne über die erste Seite hinauszukommen. Dieses Mal hat’s mich erwischt: die seitenlangen, elegischen Beschreibungen von Düften, Orten, Menschen, Geschehnissen um den namenlosen Ich-Erzähler, Monsieur Swann und den vielen, vielen weiteren Personen, die auftauchen, unglaublich viel Eindruck hinterlassen, weil sie so ausgiebig beschrieben werden, und wieder wegtauchen. Der zweite Band liegt schon auf dem Nachtisch, aber erstmal brauche ich eine Pause. Und ein Buch ohne Sätze, die über 20 Zeilen gehen. Ich weiß nicht, ob es nur der große Name ist oder das Wissen, dass man gerade ein Meisterwerk liest, aber ich habe das Buch teilweise umarmt und es nicht wieder loslassen wollen, weil es einen so einfängt, wenn man es zulässt. Die Welt fühlt sich anders an, wenn man Proust gelesen hat. Und ja, ich weiß, dass der Satz total doof ist. Aber so fühlt sich’s halt an.
Muriel Barbery – Die Eleganz des Igels
Eine ältere Concierge arbeitet in einem piekfeinen Pariser Wohnhaus und tut so, als wäre sie nicht besonders gebildet, damit alle sie in Ruhe lassen. In Wirklichkeit liest sie Tolstoi und guckt japanische Filme. Im Haus wohnt auch die 13jährige Paloma, die beschließt, sich umzubringen, weil sie keinen Sinn in ihrem Leben sieht. Bevor sie ihren Plan umsetzt, will sie aber noch die perfekte Bewegung finden und ein paar schlaue Sätze zu Papier bringen. So verkopft wie sich der Inhalt anhört, liest sich Die Eleganz des Igels auch; die Geschichte wird unterbrochen – nein, Moment, sie bekommt einen seltsamen Hintergrund durch viele, kleine philosophische Einschübe. Die sind manchmal von ergreifender Schlichtheit und manchmal völlig versponnen, so dass ich auf manchen Seiten schon das Gefühl hatte, dass die Autorin anstatt der Concierge mal kurz ihre Bildung durchscheinen hat lassen. Das tut der kleinen Story aber keinen Abbruch, denn neben dem vielen Kram für den Kopf gibt’s auch genug fürs Herz.
Sándor Márai – Die Glut
Den Titel schleppe ich seit fast vier Jahren mit mir rum – seit diesem Eintrag und dem Kommentar von emile_mo dazu. Gute Sache, denn: gutes Buch. Man dankt mit vier Jahren Verspätung.
Kleines Update zum verlinkten Eintrag: Säulen der Erde bis heute nicht gelesen, Alchimist bis heute nicht gelesen, Schatten des Windes gelesen, Illuminati gelesen, Asche meiner Mutter steht immerhin schon im Regal, Hundert Jahre Einsamkeit … naja, Wand gelesen, Schwarm gelesen.